Archive for Januar 2010

Immer muss man alles selbst machen! Heute: den Islam reformieren

Januar 31, 2010

Beim Online-Auftritt der Süddeutschen Zeitung steht das Thema unter „Job & Karriere“. Junge Menschen, die noch etwas unentschieden in ihre berufliche Zukunft blicken, sollten demnach überlegen, ob Moscheevorstand nicht eine spannende Alternative zu Mediendesigner oder Versicherungskaufmann wäre. Kauffrauen kommen vermutlich nicht in den Genuss dieses Job-Angebots.

Auch der Leitartikel von Matthias Drobinski legt den Verdacht nahe, es handle sich vor allem um ein Personalproblem der muslimischen Welt dem hier Abhilfe geschaffen werden soll: „Dem Islam fehlen in dramatischer Weise Gläubige und Gelehrte, die in dieser Form fromm und aufgeklärt zugleich sind. Sie fehlen nicht, weil der Islam prinzipiell bildungsfeindlich, reformunfähig und aggressiv ist, wie jene platte Islamkritik annimmt, die sich derzeit ausbreitet und die sich der Stereotypen des 19. Jahrhunderts bedient, wonach Muslime so exotisch wie erotisch wie denkunfähig sind. Es gibt ja muslimische Gelehrte, die beschreiben, wie ein reflexionsbegabter und dialogfähiger Islam aussehen könnte, in der Türkei, in den USA, in Europa. Nur sind sie in der Minderheit, werden beschimpft und bedroht, müssen ihre Heimatländer verlassen, werden Märtyrer ihres Glaubens.“

Und das muss anders werden. Deshalb sollen deutsche Hochschulen nun also Imame ausbilden, um den Aufklärungs- und Reformstau der muslimischen Welt endlich zu beheben. Schon lästig, dass wir hier im Westen uns auch damit noch rumärgern müssen, aber wenn der Muselmann nun mal nicht zu Potte kommt mit seinem Glauben, müssen eben deutsche Fakultäten ran um die Mehrheitsverhältnisse zwischen „wahren“, aufgeklärten und falschen Moslems wieder ins Lot zu bringen. Nun ist nicht bekannt, ob die geistlichen Führer Arabiens, Persiens, im Pazifischen Raum oder in Afrika auf die deutsche Bildungsoffensive warten. Fakt ist, dass die einzurichtenden Lehrstühle, die der Wissenschaftsrat sich vorstellt, nicht nur recht teuer sind, sondern auch die „plurale Vielfalt des Islam“ widerspiegeln sollen. Ein oder zwei Hassprediger wird mal also wohl oder übel ihre Seminare abhalten lassen müssen.

Während die Finanzierung lösbar erscheint, etwa zu gleichen Teilen aus den Etats für Entwicklungshilfe (Niebel) und Antiterrorkampf (de Maiziere), ist das mit den Inhalten so eine Sache. Glaubt im Ernst wer, dass die Verfechter von Burka und Fatwah gegen Karrikaturisten sich durch eine abendländische Imam-Schwemme in die Minderheitsposition drängen lassen? Will man die Freizügigkeit, die christlichen Kirchen bei der Theologen-Ausbildung gewährt wird, kassieren, sobald unwillkommene Doktrinen vom Katheder verkündigt werden? Dann wäre es eine Farce. Und wie weit soll überhaupt die „Aufgeklärtheit“ des hiesigen Islam gehen? Kopftuch ja, Burka nein? Ausstoß vom Glauben Abgefallener (nach Hadith) ja, aber keine Steinigung? Oder wollen wir den guten Muslimen nicht gleich unsere Lebensweise per Hausordnung zur Absegnung vorlegen? Dann könnten wir die erwähnte Kauffrau auch zur Imamin umschulen.

Die deutsche Imam-Akademie ist eine gute Idee, sie ist zumindest gut gemeint. Die Probleme werden dort beginnen, wo sich die diversen Islam-Vertreter darüber einigen müssen, welche Gemeinschaft die Gelehrten für eine Uni stellen darf und welche nicht. Die Unis wiederum werden selbst auswählen wollen, welcher Islam da gepredigt wird, und auf deutsch soll es vermutlich auch noch sein. Entweder wird dieser deutsche Aufbaukurs Koran keine Akzeptanz unter den Muslimen finden oder er fügt ihnen eine weitere Splittergruppe hinzu.

Man wird sich wohl damit abfinden müssen, dass die jeweiligen Kultur- und Religionskreise sich ihre Nachwuchsseminare selbst aussuchen. Und genau genommen, würde ich mich auch dagegen verwahren, wenn Großayatollah Chamenei eine christliche Fakultät in Teheran eröffnen würde, die beispielsweise die antijüdischen Traditionen des Christentums wieder mehr in den Mittelpunkt rücken würde. Nur mal so als Beispiel.

Linke 2, 3, 4, 6

Januar 27, 2010

Es ist schon einigermaßen verblüffend, wie viele Leute man braucht, um einen Partei-Despoten zu ersetzen. Ansonsten repräsentiert die neue Führungsmannschaft der Linken eine Absurdität, die in den letzten Jahren zum politischen Alltag geworden ist: So, wie es in der Geometrie keine „breite“ Spitze geben kann und ein Hundeschlitten mit sechs Leithunden nicht funktioniert, kann „Führung“ nicht funktionieren, wenn man alle Strömungen in den Vorsitz schickt. Man kann eine Pyramide auf den Kopf stellen, aber die Basis wird niemals zur Spitze.

In der Politik zeigt sich das ganz offen in virtuellen Personalien: Joschka Fischer war der Leithund der Grünen – wer immer auch wo vor stand oder saß. Gregor Gysi zieht offensichtlich die Strippen bei der Linken. Schlagkräftig wird sie erst wieder, wenn einer aus dem Vorstand heraustritt und sich profiliert. Auch in der Politik ist Boxen kein Mannschaftssport.

Feierfrust: Warum die Einheit wenig Euphorie auslöst (für Neue Zürcher Zeitung)

Januar 26, 2010

 

Frustfrühling nach Wendeherbst, Einheitskater nach Befreiungstaumel – ganz so schlimm ist es denn doch nicht. Aber der Eindruck ist auch nicht falsch, dass den Deutschen die Feierlaune für die zwanzigste Wiederkehr des Jubeljahres 1989/1990 inzwischen ein wenig abhanden gekommen ist. Das hat durchaus Gründe, die jenseits jener national veranlagten Miesepetrigkeit liegen, die nur im Zusammenhang mit Fußball temporär kurierbar ist.

Da ist zunächst ein Medienbetrieb, der in den letzten Jahren eine Art Großindustrie des Gedenkens entwickelt hat, die unweigerlich die anrührendsten Momente der Geschichte früher oder später in Langeweile ummünzt. Historische Sternstunden sind auch im Rückblick besser in kleinen Dosen konsumierbar als von der Europlette. Natürlich haben wir den fünften, zehnten und fünfzehnten Jahrestag des Mauerfalls bereits kräftig gefeiert, haben die Vorgeschichte erzählt, Anekdoten ausgewalzt, Historiker, Experten, Zeitzeugen und Betroffene befragt, und all das läuft seit Januar 2009 bereits wieder auf Hochtouren. Wir Medienleute haben uns darin perfektioniert, bedeutsame Ereignisse so professionell in Szene zu setzen, den Countdown lange im Voraus zu beginnen, den letzten Überraschungsgast mit Tusch ins Rampenlicht zu schieben, dass wir schon bei den Planungssitzungen wussten: Wir werden froh sein, wenn der Trubel vorbei ist. Es einfach sein zu lassen oder eine Nummer kleiner anzugehen, geht aber nicht. Da ist die Konkurrenz vor. Und so beteiligen wir uns denn sehenden Auges an Wende-Festspielen, die ihrem eigentlichen Zweck zuwiderlaufen. (Ein Punkt übrigens, an dem sich Nachrichten- und Finanzmärkte ziemlich ähnlich sind: Die inneren Regeln sind mitunter stärker als der gesunde Menschenverstand.)

Ein weiterer Punkt, warum die ohnehin begrenzte Leidenschaft, die einem Deutschen zur Verfügung steht, nicht mehr voll abgerufen wird, liegt im Lauf der Dinge selbst. Nach dem welthistorischen Big Bang des Mauerfalls wurde Tag für Tag Protest wieder in Politik überführt, wurde aus Revolution und Aufruhr, Kompromiss und Verwaltung. Ein Prozess, der schon von sich aus weniger spannend, dafür aufreibend, ernüchternd und renormalisierend ist. Zum Aufstand, zu Massen-Exodus und Demonstrationen war es gekommen, weil zuletzt selbst die Parteigänger des Regimes erkannten, dass Methoden und Fähigkeiten des Politbüros zum Untergang dessen führen mussten, dem sie eigentlich dienen wollten. In der untergehenden DDR entstand mithin eine Massenbewegung mit gewaltiger Einigkeit und weitgehender Auflösung der vormaligen Nomenklatura-Kasten. Dieses Gefühl, mit voller Überzeugung Teil eines Großen und Ganzen zu sein, gibt es vermutlich nur Welt-Zehntelsekunden lang und wird an politischer Intensität in einem Menschenleben wohl nie wieder erreicht. Im Westen verfolgte man zur gleichen Zeit all das mit ungläubiger Spannung und der wilden Hoffnung, dass am Ende womöglich die stählern geschmiedeten System-Blöcke aufbrechen, in sich zusammenfallen und verschwinden könnten. Klar, dass nach diesem Weltgeschichte-Überdosis-Trip nur ein schmerzhafter Entzug mit Realität als Ersatzdroge folgen konnte.

Nach dem 9. November 1989 gab es die ersten Papiere zur Wiedervereinigung, es folgten Runde Tische, die ersten Volkskammerwahlen im März 1990, die Einführung der D-Mark im Osten als wohl letzter emotionaler Höhepunkt, Zwei-plus-Vier-Verhandlungen der Großmächte, die nur etwas für Diplomatie-Feinschmecker waren und schließlich der erschöpfte Zusammenschluss am 3. Oktober. All das durchleben die Deutschen nun auch im Rückblick wieder. Und es ist nicht verwunderlich, dass die Erinnerung heute weniger euphorisch ist an die Nach-Mauerfall-Phase, wo aus vereinten Aufbegehrern wieder politische Lager und Konkurrenten wurden, wo die SPD gemeinsam mit den Bürgerbewegungen in den ersten freien Wahlen bereits zum ersten Mal Wende-Verlierer wurde, wo sich zeigte, dass für viele Ost-Menschen freier Konsum schon den größten Teil des Freiheitsbegriffs ausmachte.

Und in all das mischt sich jener dritte Prozess der nachwendlichen „Persönlichkeitsveränderung“ im Osten. Der 3. Oktober 1990, die Wiedervereinigung, auf die dieses Jubiläumsjubeljahr unvermeidlich zusteuert, ist im Grunde nichts anderes, als die Rückkehr des Ost-Blocks vom bolschewistischen Irr-Gleis der Geschichte auf die Normal-Trasse. Ein ideologischer Abweg des 20. Jahrhunderts hatte sich (mit etwas Verzug auch in den vormaligen „Bruderländern“) erledigt, widerlegt, war an sich zugrunde gegangen. Das in dieser Nüchternheit zu akzeptieren, fällt den meisten Läufern, Mitläufern und selbst etlichen Geiseln der Roten Wandertruppe Ost bis heute schwer. Es mag psychologisch ein verständliches Missverständnis sein, dass viele Ostler den Untergang des Systems als nachträgliche Entwertung ihres Lebenslaufes fehlinterpretieren und sich inzwischen schönreden, was sie ehedem verfluchten.

Da werden kleine Raritäten-Beschaffungen in der Mangelgesellschaft romantisiert, als seien Magel und Misswirtschaft eine heute leider unterdrückte Errungenschaft gewesen. Private Inseln im durchideologisierten Parteistaat werden der kalten Herrschaft des Geldes heute gegenübergestellt, als seien es nicht die Ostdeutschen gewesen, die 1990 beim Sturm auf die harte D-Mark der Deutschen Bank die Türen einrannten. Kurz: Die Gemütslage „Es war nicht alles schlecht“ grassiert bis heute stärker als die Schweinegrippe in den Neuen Bundesländern, obwohl doch auf der Hand liegt, dass es eigentlich heißen müsste: „Es war zu wenig gut“. Und dass dieser Virus nicht nur Träger des verflossenen Systems heimsucht, die ja in der Tat etwas verloren haben, sondern auch solche, die zu deren Lebzeiten nie ein gutes Haar an der DDR gelassen haben, das verdrießt sowohl wache Wende-Ossis als auch die meisten Westdeutschen, die nicht nur mit dem Herzen dabei waren, als die Mauer fiel, sondern danach auch mit ihren Steuer-Milliarden. Jenen aber, die den Osten und seine Menschen bis heute verklären, muten Wende- und Einheitsfeiern als eine Art Inszenierung der geschichtlichen Siegerdoktrin an. Wer Mauertote benennt, sich seiner Freiheit in Reise, Wort und Rede freut und den Kopf darüber schüttelt, dass die DDR-Staatspartei heute unter anderem Namen ins ganz Deutschland wählbar ist, der hat es mitunter schwer im Osten.

Vielleicht sollte man auch so etwas wie eine Wende-Trauerfeier veranstalten, auf  der man der Tatsache gedenken kann, dass Klar- und Einsicht auch in einer freien Marktwirtschaft mitunter zur Mangelware werden können. Ganz ohne Kreditklemme und Finanzkrise.

Sonderbeitrag

Januar 26, 2010

Das Ungerechte am nun erstmals eingeforderten „Sonderbeitrag“ zur Krankenkasse ist nicht die vermeintliche Entsolidarisierung. Dass ein Gesundheitssystem, in dem immer neue Geräte und Therapien entwickelt und angewendet werden, zwangsläufig teurer werden muss, wird niemanden überraschen. Schon die Praxisgebühr war ein Sonderbeitrag, den nur die Patienten zu erbringen hatten, nun kommt für die ersten Versicherten noch einmal ein Schlag drauf. Mit anderen Worten, der Finanzierungsanteil des Patienten wächst im Vergleich zu demjenigen des Arbeitgebers.

Wenn ich mir aber selbst eine Versicherung suche, will ich über die Versicherungsbedingungen auch selbst entscheiden. Und genau hier liegt der Knackpunkt: Die Krankenversicherung wir immer mehr zu meinem Privatprojekt, auch wenn noch große Anteile vom Arbeitgeber und aus der Steuerkasse kommen. Je größer mein Anteil wird, desto mehr Mitsprache verlange ich auch über die Bedinungen. Da ändert der Sonderbeitrag aber überhaupt nichts. Weder kann ich neue Tarife suchen, die bestimmte Behandlungen aus der Kassenleistung nehmen, noch zu anderen Zuzahlungs- oder Familienversicherungsmodellen übergehen. Ich kann nur die Kasse wechseln und warten, wann dort der Sonderbeitrag kommt.

Fair wäre: Mehr privater Beitrag, mehr private Mitsprache. Je mehr ich zahle, desto mehr werde ich Kunde und will mir mein Produkt aussuchen.

Agenda Afghanistan

Januar 25, 2010

Manchmal hilft es, wenn man die Fragen in der richtigen Reihenfolge beantwortet. Die Entscheidung, Abziehen oder Bleiben, führt auf eine falsche Fährte. Es ist die Frage nach unserer Rolle, nach der Rolle der Bundeswehr und des Westens. Tatsächlich beginnt das Problem an einer ganz anderen Stelle. Die entscheidende Frage lautet:

1. Ist es gleichgültig, welches Regime sich in Afghanistan etabliert und welche Zustände dort herrschen? Wer diese Frage mit „Ja“ beantwortet, dass es uns egal sein kann, was am Hindukusch los ist, der ist „fein raus“ und kann sich frei für den Abzug entscheiden. Wer „Nein“ sagt, hat ein Problem. Er hat eine eigene Agenda abzuarbeiten.

2. Wenn nein: Welche Bedingungen müssen in Afghanistan als Mindestanspruch herrschen? Ist es uns genug, wenn Bürgerkrieg und radikaler Islam (Steinigungen, Burka, Warlords etc.) wüten, aber all dies folgenlos für den Westen bleibt und keine Attentäter mehr von Kabul aus in die Welt starten? Oder ist unser Anspruch doch noch etwas weiter gefasst, muss wenigstens ein Mindestmaß an Menschenrechten gewährleistet sein? Oder wollen wir gar mehr oder weniger demokratische Verhältnisse.

3. Welche Mittel sind geeignet, diese Ziele zu erreichen? Reichen Aufbauhilfen? Kommt man mit Sanktionen weiter? Oder muss mit militärischen Mitteln für die Stabilisierung der Ordnung gesorgt werden?

4. Sind wir bereit, diese Mittel auch einzusetzen? Erst hier stellt sich die Frage nach dem weiteren Einsatz der Bundeswehr. Wenn wir für unsere Sicherheit, für die Stabilität der Region (Pakistan) eine Ordnung am Hindukusch sehen wollen, die nur mit militärischer Macht durchzusetzen ist, werden wir nicht damit durchkommen, diesen Job von anderen machen zu lassen und uns daheim die Hände in Unschuld zu waschen.

Reden wir also darüber, wie es in Afghanistan aussieht und was uns dieses Land wert ist. Alles andere folgt daraus nach.

Fundstück aus dem DDR-Alltag

Januar 24, 2010

Vielleicht tut es all den Debatten über die DDR ganz gut, hin und wieder mal von den großen IM-Verstrickungen und den Blöcken im Kalten Krieg weg den Blick auf den Alltag zu lenken. Nehmen wir zum Beispiel einen ganz normalen Aufsatz aus dem „Niederschriften“-Heft von Christine L. (damals 8 Jahre alt, Klasse 3b in Berlin-Weißensee), der mehr über System, Atmosphäre und die Mitmacher daran sagt, als lange Historiker-Vorträge.

Montag, den 29. Oktober 1973 Die Feierstunde der Klasse 3b zum Tag der Republik (1.Niederschrift)

„Die Feierstunde zum Tag der Republik fand am 4. Oktober im Erdgeschoß unserer Schule statt. Die Klassen 1 – 3 nahmen am Appell teil. Zuerst begrüßte uns die Pionierleiterin mit dem Pioniergruß „Seid bereit“. Dann bat die Schülerin Katrin Wiesner um die Meldungen der Klassen 1- 3. Danach sangen wir das Lied: Unsere Heimat. Hinterher sagten 3 Schüler ein Gedicht auf. Einige Schüler der Klasse 3a lasen danach die Verpflichtungen vor. Anschließend wurde von zwei Pionierleiterinnen eine Gratulation für Willi Stoph und Horst Sindermann vorgelesen. Zum Abschluss sangen wir das Lied „Bunt geschmückt sind alle Häuser.“

Der Aufsatz stammt aus der 3. Klasse wohlgemerkt. Liegt es an mir, dass bei den Erinnerungen an solche Appelle Beklemmungen kriege?

Carte blanche für die Weste blanche

Januar 21, 2010

Dumm gelaufen. Da dachte man einst, wenn früheren Stasi-Mitarbeitern die Pflicht zur Selbstoffenbarung ihrer Biographie auferlegt, wäre der Aufarbeitung genüge getan. Tatsächlich hat man das völlig neue Mittel der Selbst-Absolution in den Politikbetrieb eingeführt. Nie waren in Brandenburg so viele ehemalige IMs oder gar MfS-Hauptamtliche in öffentlichen Funktionen, auf Kandidatenlisten oder hatten ein Mandat inne. Weil sich das Selbstverständliche offenbar nicht überall von selbst versteht, ist der moralischen Bürgerpflicht mit einer kurzen Meldung „Ich war dabei“ nun genüge getan, ganz gleich, wie schäbig sich die vormaligen Zuträger verhalten haben mögen.

Die eigentlich naheliegende Annahme, wer über Jahre schwer gespitzelt und etlichen Zeitgenossen übles nachgeredet hat, käme für Amt und Würden dann – Offenlegung hin oder her – nicht mehr in Frage, erweist sich als naiver Irrtum. Während sonst in der Politik allgemein auf Verfehlung Rücktritt ohne Chance auf Wiederkehr folgt, verhilft das Eingeständnis ehemaligen Stasisten zur erlösenden Ereigniskarte für die Fortsetzung der Karriere. Nach dem Motto: Gestehe, und die bis gerettet. Die Carte blanche für die Weste blanche.

Der Islam und die Karikatur der Freiheit

Januar 11, 2010

All die Debatten haben nichts gebracht. Der jüngste Angriff auf den Zeichner der sogenannten Mohammed-Karikaturen, Kurt Westergaard, hat in Deutschland Reflexe wieder aufleben lassen, als ob es nie eine Islam-Debatte gegeben hätte.

Am originellsten war da noch der Beitrag im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung, in dem feinsinnig zwischen der intelligenten Islam-Kritik eines Salman Rushdie („Die satanischen Verse“) und der plumpen Provokation durch die Karikaturen unterschieden wurde. Wenn also der intellektuelle Anspruch von Äußerungen zur Religion über deren Berechtigung entscheidet, müsste konsequenterweise eine Art Wächterrat über Zulassung und Zurückweisung solcher künstlerischen Wortmeldungen befinden. Man kann nicht glauben, dass der Autor des Beitrags dies wirklich meint und will. Dass bei abschlägigem Bescheid der heimische Angriff des Schmähkritikers mit Axt und Messer gerechtfertigt wäre, wird gleichfalls niemand ernsthaft vertreten wollen.

Verschiedentlich ist auch wieder auf das islamische Bilderverbot und die verständliche Empfindlichkeit der Muslime gegenüber solchen Darstellungen hingewiesen worden. All das ist richtig und doch keine Rechtfertigung. Vor allem aber ist es durchsichtig, weil die meisten der überaus sensiblen Islam-Versteher den gleichen Schutz religiöser Gefühle vermutlich nicht für Kardinal Meisner oder Bischof Mixa erkämpfen würden. So kommt denn über den Karikaturen-Streit am Ende doch wieder das allzu westliche, antikapitalistische, gesellschaftskritische Mütchen zum Vorschein, dass auch an diesem untauglichen Objekte gekühlt werden soll.

Denn während der Muslim den prallen, farbenfrohen Multikultur-Charme von Tausend-und-einer-Nacht und den daraus erwachsenden verständnisvollen Exoten-Schutz genießt, möchten sich die Kritiker sehr wohl das freiheitliche Recht zur Schmähung des vertrauten einheimischen Klerus‘ vorbehalten. Einen Schutzschirm für die religiösen Gefühle von Christen – bayerischen Katholiken wie norddeutschen Protestanten – hat zumindest vernehmbar noch niemand gefordert, obwohl doch die Hochburg des Islam-Verständnisses ziemlich genau dort zu finden ist, wo gleichzeitig das Kruzifix als „Latten-Sepp“ tituliert und die Amtskirche zum Inbegriff rückwärtsgewandter Heuchelei erklärt wird.

Am Ende wird man sich entscheiden müssen, zwischen Gottesstaat und freiheitlicher Ordnung. In beiden Fällen gilt das dann für alle – entweder stehen alle Götter unter Schutz oder alle Meinungen sind frei.

Blog-weise

Januar 8, 2010

Es gibt Wochen, an denen das Beste ist, dass sie vorbei sind. Je weniger man sich von dieser Sorte im Leben leistet, desto besser.

Manöver Schneeflocke

Januar 7, 2010

Klirrende Kälte über Deutschland – was die winterliche Akustik anbelangt, stimmt das nicht ganz. Aus Jack Londons „Alaska Stories“ wissen wir, dass die Spucke unterhalb der -40er Celsius-Grade auf dem Weg zum Boden in der Luft zu knistern beginnt. Davon sind wir noch weit entfernt. Wenn man genau hinhört, ist es eher stiller geworden, weil der Schnee die Geräusche dämpft. Bestenfalls das Knirschen der Schritte untermalt die weiße Kulisse. Seit Frost und Schnee sich im Alltag festgesetzt haben, begegnet manchem der Winter wohl am intensivsten im Auto. Hier wird die spirituelle Dimension der Jahreszeit vielfach unterschätzt: Wer sich bei der Annäherung an eine Nebenstraßen-Kreuzung klarmacht, dass es nicht mehr in der Macht des eigenen Bremsfußes liegt, ob der Wagen zum Stillstand kommt und wenn ja, wo, der gewinnt ein ganz neues Verhältnis zu Begriffen wie „Schicksal“, „Vorsehung“ und „Vollkasko“. Besonderen Spaß machen auch schmalere Fahrbahnen, bei denen man sich die mittlere Eis-Schnee-Rinne mit dem Gegenverkehr teilen muss. Immerhin eröffnet das die Gelegenheit, den eigenen Airbag mal persönlich kennenzulernen, während die ausgehärteten Wischerblätter noch lustige Augenbrauen in den Dreck der Windschutzscheibe kratzen.
Auch der Beitrag der Kälte zum Klimaschutz spielt in der öffentlichen Debatte kaum eine Rolle. Firmen wie Bo- oder Familyfrost können die energiefressenden Kühlautos gegen offene Pritschenwagen tauschen. Und wer seine Tiefkühlkombination mal in Ruhe abtauen will, hat jetzt auf Balkon und Terrasse ein geeignetes Ausweichlager. Wenn man Feinfrost-Spinat und Steinofenpizza bis – sagen wir – Anfang Februar dort liegen lässt, kann man zudem noch ordentlich Strom sparen. Mal abgesehen davon, dass man endlich mit jedem Schlitten fahren kann, mit dem man das schon immer mal tun wollte, ist der Winter aber auch im ganz normalen Alltag praktisch: Über Hundehaufen, in denen man früher ausrutschte, stolpert man jetzt, und die Rotznasen der Kinder kann man einfach durch abbrechen säubern.
Natürlich hat die strenge Witterung auch Nachteile. Beim Ausmisten der Klo-Ecke im Kaninchenstall braucht man jetzt ein Brecheisen, weil Einstreu und Ausfluss eine feste Verbindung eingehen, und die Nachbarin strickt nun auch schon den dritten Tag an der Wärmedecke für ihren Neufundländer. Schwangere bekommen verstärkt Schnee-Wehen, und vor ausschweifenden Herrenabenden muss gewarnt werden: Schließlich vereist in schattigen Hauseingängen schnell mal die Notdurft (in der „Not dürfen“ Männer das). Und wer weiß beim Losreißen schon, welches Ende der Bogenlampe zuerst abbricht…
Ein paar Tage jedenfalls sollen arktische Temperaturen und Flockenpracht noch anhalten, auch wenn mancherorts schon wieder von „Winterschluss-Verkauf“ die Rede ist. Und dann wüssten wir noch gern, wo Dieter Althaus in diesem Jahr Urlaub macht. Sicherheitshalber. Aber das ist eine andere Geschichte.