Archive for April 2010

Wir Griechen

April 29, 2010

Vor allem, dass die vertrackten Griechen streiken und protestieren anstatt zu sparen, erregt mehr oder weniger eingestanden hierzulande die Gemüter. Dabei besteht zum Hochmut kein Analss: Der Reflex, der all dem zugrunde liegt, ist bei uns nicht geringer ausgeprägt als in Athen. Dass Bunde, Länder und Kommunen Jahr für Jahr mehr Geld ausgeben als sie haben, besorgt uns auch in Deutschland nicht im geringsten. Nähme man diese Art gesellschaftlicher Verschuldung ernst und vor allem persönlich, müssten sich Proteststürme dagegen erheben. Tun sie aber nicht.

Denn auch bei uns wird kollektiv verschuldet, während individuell gespart, sprich gebüßt werden muss. Wo immer Einschnitte auch nur überlegt werden, erheben hier wie in Griechenland alsbald die Betroffenen Einspruch und verwahren sich gegen Kürzungen zu ihren Lasten. Gegen vermeintliche staatliche Wohltaten hat im Moment der Entgegennahme niemand etwas, obwohl die unzureichende Finanzierung durchaus bekannt ist.

Mit Staatsschulden verhält es sich im Übrigen wie mit Firmenpleiten: Für die Management-Fehler der Führung muss immer die Belegschaft büßen. Wer sollte es auch sonst tun?! Einziger Unterschied: Regierungen kann man regelmäßig wählen und eben auch abwählen. Aber wegen galloppierender Verschuldung ist noch nie eine Regierung abgewählt worden.

Blog-weise

April 29, 2010

Familien genießen angeblich allerhöchste Wertschätzung in Politik und Öffentlichkeit. Schließlich sind Kinder ja unsere Zukunft. Warum sind dann aber Hausfrauen die einzige Berufsgruppe in Deutschland, auf der straf- und kritiklos herumgetrampelt werden darf? Oder hat sich irgendwer schon darüber beschwert, dass in verächtlichem Ton vom „Heimchen am Herd“ die Rede ist?! „Putze“ für Reinigungskraft geht gar nicht, „Saftschubse“ für Stewardess ist tabu und auch „Friseuse“ wird umgehend geahndet, nur das „Heimchen“ darf  am Pranger für Altbackenheit und Überlebtheit geprügelt werden.

Mixa II

April 23, 2010

Alle sind erleichtert. Endlich hat der Augsburger  Bischof Walter Mixa seinen Rückzug angekündigt. Und wenn man den bundesweiten Schlagzeilen glauben darf, haben eigentlich alle darauf gewartet, weil der umstrittene Kirchenmann eine Belastung für Deutschlands Katholiken geworden sei. Hm. Ein wenig verwunderlich ist dass schon, wie sehr die Deutschen mitfiebern, wenn es um Rücktritte von Kirchenleuten geht. Es ist ja nicht so, dass da draußen Heerscharen von braven Christen und eifrigen Kirchgängern unterwegs wären, die sich Sorgen machen würden um das Ansehen ihrer Religion. Vorzugsweise Leute, die mit Kirche gar nichts am Sonntagshut haben, sind nun die eifrigsten Kommentierer und fühlen sich nach dem Mixa-Abgang befreit.

Als evangelischem Christen könnte einem das egal sein, aber es ist schon einigermaßen verwunderlich, dass die katholische Kirche in ihrer tiefsten Krise steckt wegen massiven Fällen von Kindesmissbrauchs. Und die Öffentlichkeit klatscht Beifall, weil ein Bischof geht, der vor vierzig Jahren Schüler gewatscht und womöglich Geld veruntreut hat. Keine schöne Sache, und intern werden über Mixa noch ganz andere Dinge gemunkelt, die seinen „Fall“ (im doppelten Wortsinne) plausibel machen. Nur ist Kindesmissbrauch eigentlich der größere Skandal, und böswillige Beobachter könnten meinen, dass Mixas Abgang dem Rest der Deutschen Bischofskonferenz einschließlich ihres leicht schlingernden Vorsitzenden erholsamen Schatten spendet.

Zumindest, was Intrigen, Bauernopfer und taktische Ranküne angeht, scheint die katholische Kirche durchaus auf der Höhe der Zeit zu sein.

Einmal Logik und zurück

April 19, 2010

Die Deutschen haben eine bemerkenswerte Art, sich die Welt zurecht zu zimmern. Am besten gelingt das, wenn man die Dinge einfach andersherum denkt. Von dem Punkt her, zu dem man hin will. Beim Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr funktioniert das – ausweislich zahlreicher Talkshows – schon recht routiniert. Weil man nicht zu denen gehören will, die mit Gewehren auf Menschen schießen, erklärt man einfach, die anderen schössen, weil man selbst ein Gewehr hat. Nun haben die Deutschen schon mehrfach in der Geschichte aktiv bewiesen, dass der Aggressor bestimmt ob Krieg ist oder nicht, aber das ficht die Verkehrer der Realität nicht an.

Die Taliban sind nicht nach Afghanistan gekommen, weil die internationalen Truppen da waren, sondern die Truppen sind dorthin gekommen, weil die Taliban ein blutiges Regime errichtet hatten, dass weltweit operierendem Terror Unterschlupf gewährte. Ohne diesen Terror-Export hätte die restliche Welt vermutlich auch weiter mit beiden Augen weggesehen, denn bei Lichte betrachtet, trägt der Westen mitnichten seine Humanität offensiv vor sich her. Solange unser Handel und Wandel nicht gestört wird, interessiert es uns weder im Jemen noch in Somalia oder in Nordkorea, ob Hunderttausende verhungern oder nach Belieben gesteinigt wird.

Wer es mit der Moral ernst meint, müsste eigentlich die Frage stellen, warum die Mehrheit der Deutschen nichts dagegen hat, wenn „unsere Jungs“ ihr Leben beim Kampf gegen Piraten aufs Spiel setzen, wo es schließlich nur um Handelswege geht, während das Bewahren braver Afghanen vor fanatisierten Islamisten für anstößig gehalten wird.

Und man müsste vielleicht auch einen Augenblick darüber nachdenken, was man der Mutter eines 1944 in der Normandie gefallenen GIs über den Sinn seines Einsatzes sagen würde. Was scherte es den Farmer-Sohn aus Wisconsin schon, wenn sich die Europäer den Schädel einschlugen? Wenn ein durchgeknallter Diktator KZs einrichtete und Juden vergaste – warum musste Joe Jedermann dafür sterben? Wenn man ehrlich darüber nachdenkt, wird man zu dem Schluss kommen, dass die von Deutschen niedergestreckten Amerikaner, Briten, Russen, Franzosen und sonstige Widerständler dafür gestorben sind, dass die Hitlers in der Welt nicht das letzte Wort haben.

Die Bin Landens sollten es auch nicht haben.

Mixa-Prügeln

April 19, 2010

Es gibt Gelegenheiten, die darf man nicht auslassen. Den konservativen Augsburger Bischof Walter Mixa öffentlich wegen einer Watschn abzuwatschn ist so eine. Nicht, dass verprügelte Schüler ein Kavaliersdelikt wären, nur ist doch recht offensichtlich, dass hier so macher sein Mütchen an einem Erz-Katholiken kühlt, dem es weniger um pädagogische Prinzipien als vielmehr um Abrechnung mit dem Vatikan geht.

Zum einen geht im Eifer des Gefechts rasch unter, dass Mixa kein Päderast und Sexualtäter ist, weil man den Fall im Kontest des allgemeinen Skandals hochzieht. Zum anderen wird geflissentlich übersehen, dass in dem in Rede steheden Zeitraum die Sitten an deutschen Schulen überhaupt rauher waren. Nicht umsonst beschäftigt sich ein Runder Tisch mit den Missgriffen in Kinder- und Pflegeheimen. Vor 30, 40 und mehr Jahren sagte der Lehrer an, was gemacht wurde und wusste seine Autorität ggf. zu wahren. Auch mit unkonventionellen Mitteln.

Wer dieses Kapitel der Erziehungsgeschichte tatsächlich aufarbeiten wollte, hätte auch gut am Schulalltag in der früheren DDR zu forschen, wo bis zum Schluss mit Schlüsselbunden geworfen, mit Zeigestöcken auf den Tisch geknallt und in die Ecke gestellt wurde. Ich erinnere mich gut, wie ich Mitte der 70er Jahre beim Mittagessen an einer normalen polytechnischen Oberschule in Berlin-Köpenick unter dem Tisch durchkriechen wollte, um früher aufzustehen und mit dem Kopf unter die Tischplatte gestoßen wurde. Ein andermal gab’s mit dem Schirmknauf eins über den Scheitel, weil ich versehentlich mit einem Fuß vom Bürgersteig auf die Straße getreten war…

Beim Fall Mixa geht es nicht um Mixa, sondern gegen die katholische Kirche, gegen ihr Weltbild und ihre Träger. Wo Stellvertreter geprügelt werden, mache ich nicht mit. Auch wenn sie tatsächlich geprügelt haben sollten.