Wir wollen an dieser Stelle nicht respektlos sein und das Amt des Bundespräsidenten auch nicht beschädigen, wie es so schön heißt. Christian Wulff hat auch in der Tat über weite Strecken eine passable Rede hingelegt in Ankara, hat Zypern angesprochen, Armenien diplomatisch umschifft, mehr Rechte für Christen eingefordert und das Land ermutigt, weiter auf dem Weg der Annäherung auf Europa zuzugehen (auch wenn seine eigene Partei dort kein Empfangskomitee bereithält).
In einem offenbart Wulff aber völlige Ahnungslosigkeit: Den Türken zu sagen, das Christentum gehöre zu ihnen, war der Bundespräsident sich wohl konsequenterweise schuldig, aber es ist noch absurder als der Ursprungssatz. 99 Prozent der Türken sind Muslime, Rechtssystem und Kultur sind muslimisch geprägt und eben nicht durch Aufklärung und Reformation gegangen. Auch Atatürks säkularer Staat sitz noch immer eher locker und mit militärischer Hilfe im Sattel. In weiten Teilen der Türkei gibt es genau deshalb (gern geduldet von Erdogans Partei) einen religiösen Roll Back. Wulff zeigt mit dieser plumpen Allegorie auf seine Einheitsrede lediglich, dass er die Tiefenprägung religiöser Denkwelten überhaupt nicht verstanden hat. (Der Link führt zu einem weiteren Missverständnis, das an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden kann.)
Er hat auch nicht gesagt, „Christen“ gehören zweifelsfrei zur Türkei, sondern er hat „Christentum“ gesagt und damit den gesamten Glaubenskosmos zu einer oberflächlichen Nettigkeit herabgewürdigt. Getreu dem nicht minder schlichten Slogan: Familie ist, wo Kinder sind. Christentum ist, wo Christen sind. Das ist einfach völliger Blödsinn und deklassiert Religion zur bloßen Folklore mit beliebiger Exportierbarkeit. Nach dieser Maxime ist Island, wo Trolle sind und Nirwana, wo einer Krishna singt.
Wulffs Zugehörigkeitsthesen haben nur einen Sinn, wenn man eine tiefere gesellschaftliche Prägung damit meint. Die gibt es schlichtweg in der Türkei nicht – aller christlicher Vorgeschichte zum Trotz. Man mag auf den Geburtsort von Johannes dem Täufer verweisen, auf Konstantinopel, Byzanz und die Hagia Sophia – der Mongolen-Sturm (Attila-Mythos) hat mit der Selbstsicht der Ungarn mehr zu tun als das Christentum mit der Selbstwahrnehmung der Türken heute. All das ist übrigens auch nicht schlimm – solange man die Unterschiede nicht in einer ahistorischen Harmoniesucht zu beschönigen sucht und sein Handeln auf gut gemeinten Wünschen aufbaut.
Beifall hat Christian Wulff übrigens nur mäßig bekommen für seine Rede. Dass er der Präsident der deutschen Türken sei, fanden wohl nicht alle Mandatsträger in Ankara plausibel.