Diese Zeit lässt schneller Geister und Ungeister aus der Flasche, als ihre Zeitgeister in der Lage sind, sich über die Konsequenzen klar zu werden. Die nun von Wikileaks veröffentlichten diplomatischen Einschätzungen von US-Botschaften aus aller Welt, waren zu Teilen wohl geheim, unterlagen – soweit man das bislang einschätzen kann – aber nicht jener enthüllenswerten Geheimhaltung, die zur Vertuschung von Untaten dient. Der Vorgang folgte der Wikileaks-Logik: Was geheim ist, muss ans Licht. Eine Formel, zu einfach, um wahr zu sein.
Diplomatie funktioniert im Allgemeinen so, dass jede Seite Informationen sammelt, diese bewertet und dann in Verhandlungen möglichst gut unterrichtete, kluge Emissäre vorschickt, die zu Übereinkünften, Abkommen oder unfreundlichen Feststellungen kommen. Der tiefere Sinn dieses Prozederes steckt unter anderem darin, dass gerade in heiklen Gesprächen eine möglichst fein gestaffelte Eskalation möglich ist. Wer weiß, dass die Gegenseite eine Bombe plant, kann dennoch zunächst alle erdenklichen Kompromissangebote mit weitreichenden Zugeständnissen etc. diskutieren, ohne gleich mit dem Gegenschlag zu drohen. Indiskretion dagegen ist das Ende der Diplomatie, wie ein Poker mit offenen Karten kein Poker ist: Wenn bekannt ist, dass die Gegenseite davon ausgeht, dass man die Bombe baut, sprechen die Waffen früher oder sofort.
Die Welt wird durch diese Wikileaks-Protokolle nicht gemütlicher, weil man ahnt, dass dies nur die Vorzeichen sind. Und das umso mehr, als sich mit hoher Wahrscheinlichkeit repressive Regime sehr viel leichter damit tun werden, ihre Geheimhaltung zu waren, während offene Gesellschaften sich lange Debatten darüber leisten, ob Geheimhaltung überhaupt eine Berechtigung hat, wenn ja, welche und wo sie beginnt und endet. Es spricht leider einiges dafür, dass in einer Zeit, da der „early adopter“, der unkritische Annehmer alles Neuen, als progressiver Fortschrittsträger gilt, die Datensicherheit auf eine unkontrollierbare Rutschbahn geraten ist. Mit derzeit noch unabsehbaren Folgen.
Es ist schon gut, wenn man aus Fehlern lernt, aber es ist nicht unbedingt schön dabei zu sein.