Zurück an Absender: Die Tragik des Bildungspakets für Geringverdiener

Ein Paket wird verschickt, und nirgends kommt es an. Das so genannte Bildungspaket, mit dem Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Hartz-IV-Reform flankieren und benachteiligten Kindern Teilhabe an Sport, Musik und Nachhilfe sichern wollte, wird von der Zielgruppe einfach nicht abgeholt. Erst zwei Prozent der Berechtigten haben die Gelder für den Nachwuchs beantragt, ergab eine erste Zwischenbilanz.

Und wie immer bei solchen Gelegenheiten, war guter Rat so teuer wie wohlfeiler Kommentar billig: Ein bürokratisches Monstrum sei das Paket, hieß es. Den Betroffenen seien die neuen Fördertöpfe nicht bekannt, der Gang zum Amt sei ihnen nicht zuzumuten, und es wäre überhaupt besser gewesen, wenn die Schulen das Geld verteilten, die ja eh besser wüssten, wo was gebraucht wird.

Fangen wir mit dem Letzteren an: Die Schulen als externe Auszahlstelle der Sozialämter? Hat irgendwer mal über diese famose Idee auch nur einen Augenblick nachgedacht? Soll der Lehrer nach eigenem Gutdünken Gutscheine verteilen oder beim Kontrollieren der Klassenarbeiten die Bedarfsprüfung (Einkommensbeleg der Eltern, Zuwendungsbescheide etc.) gleich mit erledigen? ‚Du kommst klar, du kriegst einen Nachhilfe-Bon.’ ‚Der Kevin ist so musikalisch, der kriegt heute mal einen Musikschul-Gutschein…’

Möglich wäre allenfalls, das zusätzliche Geld in den Bildungsetat der Länder zu geben, damit diese Klassenstärken verringern oder Hilfslehrer einstellen. Damit freilich entfiele die angestrebte individuelle Förderung, und es würden vor allem diejenigen profitieren, die solche Angebote nachfragen, nicht jene, die sie brauchen.

Sozialer Rechtsstaat ohne Bürokratie – um gleich den nächsten Vorwurf aufzugreifen – begünstigt Willkür und Missbrauch. Wer will, dass Geld dort ankommt, wo es hin soll,  wird sich mit Behörden und Beamten anfreunden müssen. Schließlich erwartet auch der steuerzahlende Geber von Sozialleistungen hinterher Rechenschaft über Verbleib und Effekt der Mittel. Staatliche Bildungsgutscheine lassen sich nicht nach dem Prinzip der „Berliner Tafel“ verteilen an jeden der vorbeikommt.

Bleibt schließlich der Punkt Information über das Paket und der Gang zum Amt: Mag sein, dass die Existenz des Bildungspaketes an einigen in der avisierten Zielgruppe vorbeigegangen ist. Aber fragen wir anders herum: Was ist von Menschen zu halten, die eine monatelange Debatte über ihre eigenen Belange nicht zur Kenntnis nehmen? Oder die sie zur Kenntnis nehmen, aber den Gang zum Amt nicht der Mühe wert halten. Ist es unbillig, dass der Sozialstaat einen gewissen Eigenanteil an Engagement und Interesse als individuelle mentale Kofinanzierung für die Leistungen der Gemeinschaft einfordert? Entspricht es einem humanistischen Menschenbild, Schwächere in der Gesellschaft wie von sozialen Vollzeit-Pflegekräften umsorgen zu lassen – selbst auf die Gefahr hin, dass der letzte Aktivitätsreflex in dem Betroffenen gänzlich erlischt? Ist es nicht im Gegenteil sehr viel mehr im Sinne der Menschenwürde, soziale Schwäche nicht mit Entmündigung zu vergelten?

Natürlich ist es das. Und doch kommt man an diesem Punkt nicht weiter: Es geht um die Kinder solcherart antriebsloser Zeitgenossen, die eine Vererbung von Lethargie und Unvermögen als Sozial-Schicksal nicht verdient haben. Und bevor nun gleich der Nächste ein neues Beschäftigungsprogramm für Sozialarbeiter fordert, die die Kinder aus ihren Familien rausholen, sollte man sich vielleicht einfach mal eingestehen, dass auch der Sozialstaat an seine Grenzen stoßen, rat- und hilflos sein kann. Keine schöne Botschaft für Allmacht-erwartende Bürger und allzuständige Poltiker. Aber vielleicht eine ehrliche. Zur Abwechslung.

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10 Antworten to “Zurück an Absender: Die Tragik des Bildungspakets für Geringverdiener”

  1. Holger Wohlleben Says:

    Es hat wohl kein Kritiker ernsthaft in Erwägung gezogen, den Schulen die Bürde der Verteilung zuzumuten. Aber die für die Bildungspakete bereit gestellten Mittel denjenigen Stellen und Trägern zu überlassen, die sich für die Bildungschancen von Kindern aus sozial schwachen Familien einsetzen, ist doch kein so schlechter Gedanke! Zumindest wird so mit dem Geld etwas bewirkt!

    Nun muss Frau von der Leyen – auch, um ihr Gesicht zu wahren – mit einer Werbeoffensive dafür sorgen, dass die Pakete zunächst einmal den Betroffenen bekannt gemacht werden. Ob diese es dann auch annehmen steht nochmal auf einem anderen Blatt. Effizient geht jedenfalls anders!

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  2. Carlos Spicywiener Says:

    http://zettelsraum.blogspot.com/2011/04/politik-als-cargo-kult.html

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  3. michaellutra Says:

    Guter Artikel. Im übrigen: die gleichen Eltern, an denen die Debatte und die sich bietenden Möglichkeiten für ihre Kinder „vorüber gehen“ würden sofort anstehen, wenn es hieße: an Stelle X gibts extra Geld(für Alkohol, Zigaretten, Unterhaltungselektronik). Es ist die Gleichgültigkeit der doch erheblich großen Unterschicht gegenüber ihren Kindern. Deshalb fände ich es sinnvoller, jedes Kind – JEDES – bekommt diese Bildungskarte und sie wird direkt an den Schulen verteilt. Diesen kleinen Aufwand können die Schulen vertragen. Es wäre ein kleiner , einfacher Weg und dein „Segen“ für jedes Kind.

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  4. Jürgen Says:

    »Was ist von Menschen zu halten, die eine monatelange Debatte über ihre eigenen Belange nicht zur Kenntnis nehmen?«

    Berechtigte Frage. Aber der spannende Punkt des Themas war, was denn nun die Kinder für diese elterliche Ignoranz können. Hab ich den Satz im Artikel überlesen?

    Gruß, Jürgen

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    • ralfschuler Says:

      Sie können nichts dafür, dass die Politik sich seit langem scheut, immer wieder darauf hinzuweisen, dass die Kernzelle gesellschaftlichen Gelingens – so unpopulär das klingen mag – auch heute noch die Familie ist. Von Betreuung bis Pflege wird ohne Familien nichts gehen, weil die völlige Übernahme der Familienfunktionen auf diesen Gebieten durch staatliche Einrichtungen weder zu schaffen, noch zu finanzieren, noch zu wünschen ist. Politik kann diesen Zusammenhalt in der Familie und den Aufstiegswillen allerdings nicht per Gesetz beschließen, aber das Wertebild hätte sie hochhalten können, so wie es in asiatischen Familien (auch in muslimischen übrigens) bis heute der Fall ist. Kurzfristige Hilfe, darauf versuchte ich hinzuweisen, geht entweder diffus an den Kinder vorbei, wenn man sie mit der Kanne ausgießt, wird nicht abgeholt, wie jetzt beim Paket oder entmündigt die Geringverdiener, weil staatliche Stellen in die Familien eingreifen und die bedürftigsten Kinder gewissermaßen fremdversorgen müssten. Auf diesen tragischen Zwiespalt hinzuweisen, war meine Absicht. Da die Betreuung aber heute schon in den Extremfällen von Verwahrlosung nicht funktioniert, zweifle ich an flächendeckender Praktikabilität von Jugendamtsaufsicht oder ähnlichem.
      Welche von den weniger besseren Möglichkeiten schlagen Sie vor?

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  5. ungeknickterKerl Says:

    Wieder hat das Urselchen nix vernünftiges zustande gebracht! Nach ihren vergeblichen Versuchen, (mit Steuergeldern) die Geburtenrate der aussterbenden deutschen Spezies zu erhöhen, floppte nun auch der Bildungsgutschein-Schwachsinn.
    Seit Jahren sage ich, das man unwilligen Harzern härter an die Karre fahren muß!! Doch die ewigen Sozialromantiker der linken/öko Szene salbadern unablässig weiter von ihren Weltverbesserungsfantasien. Der restliche Parteienschund kriecht rückgratlos den Linken/Ökos in den Allerwertesten. Es ist beschämend!!!!!
    Die Hoffnung, das unsere Steuergelder endlich sinnvoll verwendet werden, habe ich schon vor langer Zeit verloren. Unsere Politiksimulanten haben weder den Willen, noch die Fähigkeiten, irgendein existentiell wichtiges Problem zu lösen! Und so werden wieder viele neue Kindergenerationen zum Spielball widerlicher Politnarzißten!!
    Aber diejenigen, die die Wahrheit aussprechen, werden mit aller Macht bekämpft! Sarrazin sei hier nur als bestes und prominentestes Beispiel genannt.
    Lösungen sind bekannt und anerkannt. Aber das Weltbild dieser unfähigen Globuseretter würde zusammenklappen!
    Und so bleibt alles beim alten!

    @Alle: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr!!

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  6. Das traurige Schicksal des Bildungspakets | politischeszitatdestages Says:

    […] https://ralfschuler.wordpress.com/2011/04/19/zuruck-an-absender-die-tragik-des-bildungspakets-fur-ger… Dieser Artikel wurde veröffentlicht in Deutschland, Gesellschaftsentwicklung, Leben und mit […]

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  7. mario Says:

    Ich habe 1972 meinen Zivildienst als Fahrer eines Rettungswagens gemacht. Wir hatten einige Einsätze, bei denen wir alte Menschen gefunden haben, die buchstäblich in ihrem eigenen Müll eingegangen sind. Ich wähle dieses Wort mit Absicht. „Verrecken“ wäre wahrscheinlich passender, aber politisch nicht korrekt.

    Ich bin mir icher, daß es solche Fälle auch heute noch gibt. Aber wie damals intereassiert das niemand. Für Frau Schwesig nicht sexy genug.

    Da werden hohe Summen Leuten zur Verfügung gestellt, die sie für diesen Zweck gar nicht haben wollen.

    Gibt es da irgendwo eine Verschiebung der Optik in diesem unserem Lande?

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  8. René Says:

    Stell dir vor, es gibt Staatsknete und keiner holt sie ab…

    Ein guter Artikel, der nicht die Zielgruppe vor den Kopf stößt, sondern die Absurditäten deutscher Sozialpolitik bewußt macht.
    Eine 2-Mio.-Werbekampagne hat der Staat schon gestartet, es gibt Fernsehen (bei uns sogar noch mit Röhre), Rundfunk, Internet, Sozialverbände, Beratungsstellen und was weiß ich noch alles. Da ist es wohl nicht zu viel verlangt, mal aufs Amt oder zu einem Träger der Sozialindustrie zu gehen und zu fragen, wie’s denn nun läuft mit dem Bildungspaket.
    Das Kernproblem scheint tatsächlich die schleichende Aufweichung des Wertes und Gebildes „Familie“ zu sein, wenn dafür plädiert wird, das Geld über Schulen und Vereine an die Kinder zu verteilen, da letztere ja eh den ganzen Tag dort sind. Damit wird den Familien wieder ein Stück Verantwortung genommen. Der selbstbestimmte Bürger – bald ein Auslaufmodell?

    „Schließlich erwartet auch der steuerzahlende Geber von Sozialleistungen hinterher Rechenschaft über Verbleib und Effekt der Mittel.“ Ein hehrer Anspruch, verehrter Herr Schuler! Ob dieser jemals zur Zufriedenheit der Geber erfüllt werden wird (betrifft nicht nur den Sozialbereich)? Das würde wohl nur in einer direkten Demokratie funktionieren.

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    • ralfschuler Says:

      Zur vollen Zufriedenheit aller wird sich die Verteilung der Steuergelder wohl in der Tat nie regeln lassen. Worauf ich mit dieser Passage vor allem hinweisen wollte: Wann immer man vom Staat die Erledigung bestimmter, meist gut gemeinter Aufgaben verlangt, zieht das zwangsläufig die Einsetzung bürokratischer Apparate nach sich, um die Dinge abzuwickeln. Eine Planungsebene muss die Richtlinien festlegen, nach denen der Vorgang bearbeitet wird, eine Ausführungsbürokratie muss die auszahlen, betreuen etc. und eine Kontrollebene muss alles auf Rechtmäßigkeit prüfen. Das ist kein böser Wille, sondern amtliche Sorgfaltspflicht. Allerdings müssen all diese Ebenen auch bezahlt werden und machen den Zweck meist unrentabler. Im Falle der Sozialbürokratie ist ein gravierender Batzen. Ob das mit direkter Demokratie besser funktioniert, weiß ich allerdings nicht. Die Deutschen zumindest scheinen mir gelegentlich dazu zu neigen, sich immer das Beste für alle zu wünschen, ohne die Grenzen des Möglichen und mitunter auch des Sinnvollen im Blick zu behalten.

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