Kein Gespenst geht um in Europa

„Hass könnte die Urnen füllen“, schreibt Hans-Ulrich Jörges im neuen „Stern“ und warnt vor einem Gespenst, dass angeblich dieser Tage wieder in Europa umgeht: das Gespenst des Nationalismus’.

Und Unsinn könnte bald so manche Zeile füllen.

Es gibt keinen Hass unter Europäern, der auch nur annähernd mit der längst verblichenen Erbfeindschaft zwischen Deutschen und Franzosen vergangener Zeiten vergleichbar wäre. Es gibt keine ernsthafte national-psychologische Herabsetzung unter den Völkern – nicht einmal gegenüber Griechenland. Es gibt allenfalls eine fieß-mokante Alltagstypologie der Europäer untereinander, wie die Deutschen sie zwischen Sachsen, Schwaben und Ostfriesen pflegen. Und es gibt einen radikalen Rand, der in Deutschland eher kleiner als größer ist im Vergleich zu den Nachbarn (aber mindestens genauso bekloppt).

Hinzu kommen unreflektierte Pro-Europa-Schwätzer, die etwas von der „Gefahr der Renationalisierung Europas“ erzählen. Habe ich die Abschaffung der Nationalstaaten in Europa verpasst? Gab es zwischen Balotellis Toren und Merkels Gipfel in Brüssel Beschlüsse, die an mir vorbeigegangen sind?

Im Grunde aber geht es nicht um die wunderbar offenen Grenzen in Europa, sondern um eine Selbstwahrnehmung der Europäer, die noch immer von nationalen Schicksalsgemeinschaften geprägt ist. Wie sonst würden die Griechen die harten Sparprogramme als „von außen“ aufgezwungen erleben, wenn wir schon alle Europäer wären?! Warum sonst würde der Norden sein Geld im Kasten halten wollen, wenn im Süden die Kasse leer ist?! Und wieso glaubt irgendjemand, eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik könnte etwas anderes sein, als eine Aushandlung zwischen den europäischen Nationen!?

Auch in der Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik will in Europa jeder nach seiner Facon selig werden. Soll er auch. Voraussetzung ist allerdings, dass es noch mehrere Facons gibt. Und nicht nur eine.

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17 Antworten to “Kein Gespenst geht um in Europa”

  1. unermuedlich Says:

    Hans-Ulrich Jörges hat immer Angst davor, dass es einmal nicht nach seinen Wünschen und Vorstellungen geht. „Mehr Europa“ ist sein Credo. Der Bruch der Maastricht-Bestimmungen war „mehr“ Europa und hat sich nicht bewehrt. Der Euro, der dem Reisenden viele Vorteile bringt, ist dauerhaft nur zu halten, wenn die Partner mit gleichen Vorstellungen von Solidität gesegnet sind. Ist aber nicht so! Daraus sollten Konsequenzen gezogen werden. Ich hoffe auf das BVG!

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  2. Whistleblower (@MediterrNewsNet) Says:

    Wehret den Anfängen! Rainer Brüderle ist jetzt enttarnt mit seinen deutschnationalen Scheisshausparolen!

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  3. Karl Pfeifer Says:

    Nun der Nationalismus treibt zum Beispiel in Ungarn wilde Blüten. Nationalismus in Europa noch vor ca 20 Jahren führte zum Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien und zum Zerfall, dieses multiethnischen Staates.
    Ich würde diesen Nationalismus nicht verharmlosen oder leugnen.

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    • Savonarola Says:

      Wobei bzgl. Jugoslawiewn die Frage zu klären wäre, ob Nationalismus der Einzelstaaten oder der Zwang zu einem Einheitsstaat der Grund für den Bürgerkrieg war.

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  4. M. Says:

    @ Whistleblower
    Gute Besserung!

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  5. Feldheld Says:

    Ich vermute, daß dieser Haß sehr schnell entstehen kann, aus dem Nichts sozusagen. Tradition hätte er (und allein schon dadurch Ansatzpunkte), das ist nicht zu bestreiten. Auch im zerbrochenen Jugoslawien hätte sich vor 1990 niemand diesen Haß und diese Massaker vorstellen können.

    Und natürlich sind es – auch dies ganz traditionell – in erster Reihe Journalisten, die diesen Haß verbreiten werden. Jounalisten leben von Emotionen, das ist den meisten Menschen völlig unbekannt.

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    • ralfschuler Says:

      Ich halte es für ziemlich abwegig, dass Journalisten Emotionen wecken und verbreiten können, die nicht da sind. Das ist nicht einmal unter dem gezielten Massenbeschuss der gelenkten Medien im Osten gelungen.

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  6. Feldheld Says:

    „Emotionen, die nicht da sind“, was soll das denn in diesem Zusammenhang sein?

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    • ralfschuler Says:

      Medien können Emotionen aufgreifen und verstärken (unser Geld ist uns zu schade für Griechenland…, die Franzosen wollen uns abzocken…), aber sie können den Leuten nichts einreden, was die nicht wollen. Wer mit Gewalt Europa herbeireden will, obwohl sich die Menschen nicht als als Europäer fühlen, wird ebenso scheitern, wie einer, der Animositäten beschwört, die nicht da sind.

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      • Feldheld Says:

        Daß sich Menschen von anderen aufhetzen lassen zum Haß gegen andere, ist weder ungewöhnlich noch neu. Niemand wird z.B. als Antisemit geboren. Das wird nicht durch die Gene vererbt, sondern durch Verhetzung. Und die wichtigste und mächtigste Quelle solcher Verhetzung sind nun mal Journalisten. Sie sind nicht nur Multiplikatoren.

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      • ralfschuler Says:

        Antisemitismus ist ein gutes Beispiel dafür, dass Ihre Fixierung auf Journalisten nicht trägt. Nichts hat seit mehr als 1000 Jahren sich tiefer und diffuser in alle möglichen Gemeinschaften hineingefressen als der Antisemitismus. Das konnte man damals nicht mit Journalismus erklären und kann es heute nicht, wo es offenen Antisemitismus in Europa kaum noch gibt.
        Abgesehen davon, ist Abgrenzung von anderen Gruppen und Freund-Feind-Unterscheidung ein tiefsitzender Reflex von Individuen und Gruppen, der sich aus der normalen biologischen Konkurrenz herleitet. Das die wachsende Reflexionsfähigkeit den Menschen diese Muster auch in der Moderne nur mangelhaft zu überwinden vermag, ist frustrierend, aber ebenfalls durch Journalisten nicht zu ändern.

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      • Feldheld Says:

        Vor 1000 Jahren waren es eben keine Journalisten, die für die Aufhetzung der Massen gesorgt haben. Damals wurde die Rolle der überregionalen Kommunikation und Massen-Meinungsbildung eben von anderen ausgefüllt, z.B. vom Adel, von Kirchenleuten, Handelsreisenden, fahrenden Sängern etc. Heute sind es im wesentlichen Journalisten.

        Deutsche Journalisten sind z.B. zu 95% für den heutigen modernen Anti“zionismus“ der Deutschen verantwortlich. Ohne die permanent und penetrant parteiische und grausig klischeehafte Berichterstattung über Israel und die Palästinenser gäbe es nicht diese Mainstream-Haltung, daß Israel der Bösewicht im Nahen Osten ist und die Palästinenser die unschuldigen Opfer.

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      • ralfschuler Says:

        Beim Antizionismus trifft der Vorwurf in der Tat zu. Allerdings repräsentiert die tendenziell eher linkslastige Medienbranche hier das Meinungsspektrum der linken Großstadteliten bei denen halbgarer Multikulturalismus und traditionelle Palästinenserfreundlichkeit verschmelzen. Generell sind Medien aber Mittel der Selbstvergewisserung ihrer jeweiligen Nutzer-Milieus und kaum noch Instrumente aktiver Indoktrination. Schon die angespannte wirtschaftliche Lage der meisten Medienhäuser spricht dagegen, die Nutzer über Gebühr mit Dingen zu behelligen, die diese nicht wollen.

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      • Feldheld Says:

        Ich glaube da irren Sie gewaltig. Zum Beispiel unter älteren, aber auch unter jungen Leuten gibt es verblüffend viele, die sich von den Massenmedien stark beeinflussen lassen. Da ist kein Funke von Skepsis. Die saugen alles, was gedruckt/gesendet wird, auf wie ein Schwamm. Das ist nicht zuletzt die notorische Untertanenmentalität. Viele sind schlicht überfordert mit dem Selbstdenken, haben kein Selbstvertrauen, wollen um keinen Preis Außenseiter sein, sondern Mainstream, suchen nach Orientierung und die Medien bieten genau das. Bis ca. 9/11 hab ich das auch etwas anders eingeschätzt, aber in den Jahren seither habe ich leider reichlich einschlägige Beispiele im Bekannten- und Kollegenkreis erleben müssen.

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  7. Feldheld Says:

    Ich würde übrigens nicht soweit gehen, den Journalisten insgesamt vorzuwerfen, sie würden den Antisemitismus bewußt züchten. Ich bin überzeugt, daß viele Journalisten einfach nur dem Klischee hörig sind. Sie dienen dem Klischee, egal was das Klischee gerade ist. Die reale Wirklichkeit ist prinzipiell zu komplex und vor allem viel zu nüchtern, zu wenig unterhaltsam und untauglich um dumpfe Emotionen zu provozieren. Das Klischee verkauft sich gut, die Wirklichkeit schlecht. Und der Starke ist im westlich-dekadenten Standard-Klischee fast immer der Böse und der Loser der, der die Sympathien des Publikums einheimst.

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    • ralfschuler Says:

      Da müssten wir jetzt in die Feinanalyse des Medienverhaltens einsteigen, um das zu klären. Da bei den klassischen Medien die Nutzungszahlen seit Jahren drastisch nach unten gehen, gibt es da sehr viele Untersuchungen, die belegen: Das Zappen beim Fernsehen war nur der Anfang. Je mehr der Medienkonsum ins Internet abwandert, desto mehr stellen sich die Menschen ihren Medien-Info-Unterhaltungsmix selbst zusammen,und desto weniger Einfluss auf die Meinungsbildung üben klassisch von Redaktionen aufbereitete Nachrichten aus. Da ich als Medienmensch selbst davon betroffen bin, finde ich das nicht gut, muss es aber zur Kenntnis nehmen. Wer sich von SZ, FAZ oder Regionalzeitung nicht passgenau informiert und bestätigt fühlt, findet genug Forem, Blogs und Info-Kanäle, auf denen er genau seine Weltsicht bestätigt bekommt.

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