Archive for April 2013

Die Alternativen und Deutschland

April 29, 2013

Demokratie ist die Herrschaft der Mittelklugen. Bestenfalls. Die Bekloppten werden weggekürzt, und auch die Genialen bekommen keine Mehrheit. Der Blödsinn, den der Rest verzapft, reicht völlig.

Nach all den Jahren, in denen der Bundesfinanzminister immer neue Allzeit-Hochs bei den Steuereinnahmen vermeldete, finden es zum Beispiel die Grünen plausibel, mit der Ankündigung von Steuererhöhungen in den Wahlkampf zu ziehen. Weil man ja Geld für Bildung und Betreuung brauche. Naiv und irgendwie drollig retro, wer da anmerkt: Ein gutes Projekt berechtigt noch lange nicht zum Griff in die Tasche der Bürger. Und die old-school-Variante, nur das Geld auszugeben, was man hat, war Bundesdelegierten der Grünen nicht einmal eine Debatte wert. Dem Rest Europas empfehlen wir allerdings auch weiterhin, so zu verfahren…

Oder nehmen wir den irren Streit um die Benennung des Platzes vor dem Jüdischen Museum in Berlin nach dem Philosophen Moses Mendelssohn. Weil die Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg eine Quotierung bei Straßennamen durchgesetzt haben, kann der gute Mendelssohn nichts aufs Straßenschild. Kompromissvorschlag der SPD zur Güte: Frau Mendelssohn soll mit aufs Straßenschild. Einfach so. Dieser Mann ist nur gültig mit Gattin. Das Schlimme: Dies ist gar keine Satire auf öko-grüne Spinner, die die Weltgeschichte rückquotieren wollen. Es ist die Realität.

Selbst der Bundesverkehrsminister lässt es inzwischen geschehen, dass in der Straßenverkehrsordnung die Grammatik Kabolz schießt. „Rad fahrende“ und „zu Fuß Gehende“ sind dort nach neuester Überarbeitung in geschlechtergerechtem Deutsch nun unterwegs – ausschließlich in Gruppen, weil nur der Plural hinreichend neutral ist in den Augen der zuständigen Ladies und Gender-Man. Dass das grammatikalische Geschlecht im Deutschen mit dem biologischen nichts zu tun hat, darf man gern privat in die heimische Nasszelle rufen, in der Öffentlichkeit hat man mit läppischen Hinweisen auf die Realität längst verloren.

Eher mittelklug dürfte auch das aktuelle Geholze der etablierten Parteien gegen die Euro-kritische Alternative für Deutschland sein. Besseren Wahlkampf kann sich die Neu-Partei eigentlich nicht wünschen. Wie vor Einführung prognostiziert, steckt die EZB im Dilemma, für Deutschland die Zinsen erhöhen und für Südeuropa senken zu müssen, die Wirtschafts- und Sozialstandards sind nicht auf einen Nenner zu kriegen und das rational ganz offensichtlich unumgängliche Sparen im verschuldeten Süden reißt die Volkswirtschaften dort immer weiter in die Krise. Aber Europa und der Euro sind nach Ansicht aller im Bundestag vertretenen Parteien auf einem „guten Weg“. Fragt sich nur, wohin. Anstatt die nun wahrlich nicht unbegründeten Sorgen der Menschen aufzunehmen, wird allseits nur gegen die Alternative gebolzt.

Demokratie ist die Herrschaft der Mittelklugen. Aber manchmal haben auch die knapp darunter das Sagen…

Wir zahlen gern: Der Fall Hoeneß und die Deutschen

April 24, 2013

Ob die Deutschen auf dieser Welt noch integrierbar sind, ist nicht ganz sicher. Irgendwie schlagen sie aus der Art. Schon deshalb ist die Suche nach erdähnlichen Planeten in anderen Ecken des Universums für den Rest der Welt nicht ganz sinnlos…

Wenn deutsche Parteien von einem „einfachen, niedrigen und gerechten Steuersystem“ sprechen, bricht ein medialer Sturm der Entrüstung los, als solle eine Null-Promille-Grenze für Gartenzwerge eingeführt werden oder das Bayern-München-Wappen auf die Nationalflagge kommen. Steuererklärungen auf einem Bierdeckel sind des Teufels, Paul Kirchhof ist nicht nur „ein Professor aus Heidelberg“, sondern auch eine Art Finanz-Faschist, der von der Kanzlerin rasch wieder versteckt wird. Und regelmäßig wird gegen „Steuergeschenke“ gewettert, als habe sich das Finanzamt den monatlichen Gehaltsscheck hart erarbeitet und gebe nur aus Kulanz unrunde Restbeträge an den Bürger weiter.

In diesen Tagen wiederum geht ein moralischer Furor über einen Menschen hinweg, der keine Kinder geschändet, keinen Weltkrieg entfesselt und noch nicht einmal über die Dirndl-Tauglichkeit von Bayerinnen gesprochen hat. Uli Hoeneß hat Steuern hinterzogen. Fassungslosigkeit. Wie konnte er uns allen das antun? Selbstanzeige? Ja, ja, aber trotzdem. Die Kindergärten, die von dem Geld hätten gebaut werden können! Die Sozialleistungen, die wegen seiner Gier nicht aufgestockt werden konnten! Schlimm!

Deshalb an dieser Stelle die Pflichtanzeige der deutschen Werte-Papier-Börse: Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. (Wir sind gesetzlich zum Abdruck dieser Erklärung unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt verpflichtet.)

Zwar ist das Schlüpfen durch Steuerlöcher in Deutschland längst Volkssport geworden,

zwar wird in der Steuererklärung der Weg zur Arbeit gern mal um ein paar Kilometer pauschaler Pendelei erweitert,

zwar erfährt der Begriff der Fachliteratur beim Belege-Sammeln oft eine erstaunliche Flexibilisierung,

zwar gilt Barbezahlung von Handwerkern durchaus als Kavaliersdelikt,

zwar ist Steuerverschwendung nicht halb so schlimm wie Steuervermeidung,

zwar gilt die Unschuldsvermutung für „Reiche“ mit Konto in der Schweiz ausdrücklich nicht,

zwar wird das unrechtmäßige Beziehen steuerfinanzierter Sozialleistung völlig ungerechtfertigt und böswillig an dieser Stelle erwähnt,

aber es bleibt immerhin zu hoffen, dass all diejenigen, die durch Datenklau und verkaufte Steuer-CDs zu Millionären geworden sind, ihr Geld nicht auf den Caymans billig bunkern.

Um es kurz zu machen: Die Deutschen zahlen gern Steuern, denn Steuerzahlen ist erste Bürgerpflicht. Zumindest für die anderen. Und für „die Reichen“ doppelt. Vielleicht sollte man das den anderen Europäern sagen bevor wieder mal von der weiteren Vertiefung der europäischen Union die Rede ist. Vielleicht aber auch nicht, sonst verlassen sich die Griechen ganz auf uns…

Bürgerforum: Wenn Politiker es wissen wollen

April 3, 2013

Weihnachten ist knapp vorbei, und es ist schon wieder Wunschzeit. Einsendeschluss 30. April. „Was mir am Herzen liegt“ heißt die jüngste Kampagne der CDU, bei der einfache Menschen sagen können, was die Politik für sie regeln soll. Dem Volk aufs Maul geschaut, das Ohr an der Masse – aber anders als weiland Mielkes Firma Horch & Guck, diesmal soll es gut werden. Was ihr wollt – eine Idee hat Konjunktur. Die Piraten wollten sich flüssiges (liquid) Feedback einschenken lassen, die SPD veranstaltet Bürgerkongresse und will die Deutschen sogar mit einer Haustür-Offensive behelligen. Da legt man sich besser schon mal Stichpunkte bereit, damit man nicht ins Drucksen kommt, wenn Peer Steinbrück dreimal klingelt.

Selbst die beliebteste Kanzlerin aller Deutschen hat unlängst ein „Bürgerforum“ auf ihrer Web-Seite veranstaltet und anschließend die meistgemochten Petenten sogar ins Kanzleramt eingeladen. Darunter Waffennarren und Cannabis-Freaks, die mehr vom Stoff ihrer Träume freigegeben haben wollten und am meisten Anhänger zum Klicken mobilisieren konnten. Gut, dass wir drüber gesprochen haben. Ansonsten blieb der Groß-Dialog folgenlos.

Nichts gegen gelebte Demokratie und lebendigen Bürgerwillen. Aber ein wenig seltsam ist es schon, wenn der König fragt, was er denn heute regieren soll. Im Autosalon möchte ich ja auch nicht mit Konstrukteuren ins Gespräch kommen, sondern zwischen fertigen Autos wählen. Der moderne Regent von heute steht vermutlich morgens etwas unschlüssig in seinem Büro herum, bereit der Weltgeschichte eine neue Wendung zu geben, allein – es fehlt das Rad, das neu erfunden werden will. Interne Arbeitsgruppen, externer Sachverstand, Umfragen – wenn nichts mehr hilft, müssen die Wähler selber ran. Supermann fliegt Warteschleife.

„Frollein Schröder, fragen sie mal die Leute da draußen, was ich für sie befehlen soll.“ Ich weiß, ich weiß, ich bin vom alten Denken angekränkelt, vom autoritären Virus und einem patriarchalischen Politikverständnis. Ich weiß das alles! Aber mal im Ernst: Ein Kapitän, der nach dem Weg fragt, ist etwa so vertrauenswürdig, wie ein Politiker, der nicht weiß, was schief läuft im Lande. „Guten Tag, ich möchte gewählt werden, und wüsste gern wozu….“ Früher überboten sich Parteien und Politiker im Wahlkampf mit Lautsprecher-Ansagen, was in diesem Lande geschehen müsse und vor allem wie. Heute soll ich ihnen auch das noch sagen. Fehlt nur noch, dass ich mich auch um die Umsetzung noch kümmern soll. Es lebe das Ehrenamt.

Zu den gängigen Führungsqualitäten gehörte früher vor allem Gestaltungswille und ein souveräner Überblick über das eigene Geschäftsfeld. Irgendwas muss sich da im Laufe der Zeit verändert haben. Wache Wahrnehmung und offener Austausch mit der Umwelt gehört eigentlich zur normalen Professionalität. Sollte man meinen. Und mal abgesehen davon, erreicht man das Bundeskanzleramt, alle Ministerien, Parteien, Verbände und Aktivisten heute per Brief, per Mail, per Twitter, auf den Web-Seiten, über Facebook und wenn man will, kann man auch noch zur regulären Bürgersprechstunde mit der Kanzlerin gehen. Auch SPD, Grüne, Linke, CSU und Liberale haben Briefkästen und meistens sogar schon Telefon…

Oder kann es vielleicht sein, dass uns mit all den Mitsprache-Offensiven womöglich jemand einen ganz klitzekleinen, niedlichen Plüschteddy aufbinden will? Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. LOL