Für die Neue Zürcher Zeitung habe ich einen Gastbeitrag geschrieben, den man hier erreichen kann:
http://www.nzz.ch/meinung/uebersicht/generalangriff-auf-das-heteronormative-weltbild-1.18104795
Für die Neue Zürcher Zeitung habe ich einen Gastbeitrag geschrieben, den man hier erreichen kann:
http://www.nzz.ch/meinung/uebersicht/generalangriff-auf-das-heteronormative-weltbild-1.18104795
Tugendterror, und wie er in die Welt kam. Es gibt zahllose Studien, die sich mit Massenpsychologie beschäftigen, mit Führerkult, Opportunismus und radikalem Mitläufertum. Ein unvergleichliches und besonders interessantes Demonstrationssoziotop für das Phänomen des kollektiven Abnickens sind auch deutsche Talkshows. Zum Beispiel „Tietjen und Hirschhausen“ (NDR, 31. Mai 2013).
Zu Gast: Hannes Jaenicke, Schauspieler, Tierfilmer und Öko-Pax vom Feinsten. Diesmal macht er – wie es in der Ankündigung heißt – „auf Missstände der Konsumgesellschaft aufmerksam“. Man ahnt nichts Gutes, doch es kommt noch schlimmer. Als er endlich an der Plauder-Reihe ist, bricht sich die ganze Volksverachtung des Besserwissenden bahn, die seit dem Ansturm von Ossis auf West-Supermärkte unter deutschen Intellektuellen keinen Auslauf mehr bekommen hat.
Da kaufen „die Leute“ noch immer Mineralwasser in Plastikflaschen, obwohl das deutsche Leitungswasser so gut ist, weil „die Industrie“ ihnen das einredet. Und weil „die Industrie“ natürlich daran verdient. Böse Industrie, dumme Leute. Dass die das vielleicht einfach wollen, können und sogar dürfen, will in des schlauen Spielers Kopf nicht rein. Auch dass es in Deutschland noch immer keine Ampel auf Lebensmitteln gibt, um gute von bösen Esssachen zu unterscheiden, regt Jaenicke beim Bewerben seines neuen Buches „Die große Volksverarsche“ richtig auf.
Und wie immer, wenn ein richtig guter Mensch in Talk-Sesseln sitzt, beginnt die versammelte Runde alsbald eilfertig zu nicken: Eckart von Hirschhausen berichtet, wie er gegen familiären Widerstand einen Soda-Sprudler gekauft hat und Schauspielerin Elisabeth Lanz hat irgendwo gelesen, dass die Gebärfähigkeit von Frauen unter den Auswaschungen der PET-Flaschen im Mineralwasser leide. Der demographische Wandel, eine Intrige deutscher Wasserwerker? Auf jeden Fall schmecke Wasser aus PET-Flaschen schlechter, meint Hannes Jaenicke. Alle nicken. Keiner sagt, nun mach‘ aber mal halblang.
Nun ist es ja jedem unbenommen, sein San Pellegrino in Glasflaschen aus den lombardischen Alpen kommen zu lassen oder den Kopf unter die einarmige Mischbatterie in der Küchenspüle zu klemmen. Die tolle Öko-Bilanz, die Jaenicke dem wiederverwendbaren Glasutensil zuweisen möchte, kommt aber nur zustande, wenn man die endlosen Transporte und die chemisch anspruchsvolle, energiefressende Reinigung in den Skat drückt. Viel ärgerlicher ist freilich, dass die gleichen Leute, die heute über den Einweg-Boom schwadronieren, 2003 dem damaligen Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) gar nicht genug applaudieren konnten, als dieser das so genannte Dosenpfand einführte. Nichts hat das Image von Einwegverpackungen im Getränkewesen so nachhaltig gut getan, wie diese Pfandverordnung, die eine Unterscheidung zwischen Ein- und Mehrweg deutlich verkompliziert hat. Heute hat Deutschland die höchste Einwegquote der Nachkriegszeit. Alle brinen ihre Schlabberplastikflaschen tapfer zurück in den Supermarkt und haben vom Feeling her ein gutes Gefühl. Damals konnte man sich einen Ast kommentieren und darauf hinweisen, dass ein Pfand dazu hinterlegt wird, damit man etwas zurückbringt, nicht um etwas zu vermeiden. Unweigerlich stand man damals dann vermeintlich auf der Payroll der Industrie, galt als Umwelt-Dinos oder unverbesserlicher Reaktionär. Inzwischen feiert sogar die Getränkedose aus Weißblech oder Aluminium ein fröhliches Comeback – schließlich gibt’s ja Pfand drauf.
Hannes Jaenicke, erzählt gern, wie er in seinem Dorf in der Nähe des Ammersees seinen inneren Schweinehund überwindet und bei Regen trotzdem zu Fuß zum einen Kilometer entfernten Bio-Laden geht. Lust, sich mit dem eigentlichen Problem der PET-Flasche zu befassen, hat er aber auch nicht: PET ist nach wie vor die praktischste (leichteste) und günstigste Verpackung – nicht nur für Wasser. Und es steht zu befürchten, dass das vertrackte, „verarschte“ und blöde Volk sich auch nach dem Erscheinen von Jaenickes Buch nicht sogleich dazu überreden lassen wird, leichte, billige PET-Flaschen durch schwere Glas- oder teure Mehrwegflaschen zu ersetzen.