Man spricht Deutsch. Irgendwie.

Die Ankunft in der globalisierten Welt gestaltet sich zuweilen schwierig. Dass man im Taxi im Grunde keine Deutsch-Muttersprachler mehr trifft und an muslimischen Feiertagen auch keines zu bestellen versuchen sollte, ist seit langem Standard – nicht nur in Großstädten. Und wenn ich es rechtzeitig bemerke, kann ich dem Fahrer auch irgendwie klarmachen, dass wir auf dem Weg nach „Wannsee“ sind, ich aber „Weißensee“ gesagt hatte. Das ist ein phonetisch kleiner, geografisch jedoch recht bedeutsamer Unterschied, wenn man gar nicht in Wannsee wohnt. Obwohl sich die Himmelsrichtungen gewissermaßen direkt gegenüberliegen, bleiben da gute zwanzig Kilometer Zielabweichung, die mit Gepäck etwas beschwerlich werden.

Seit einiger Zeit ist es nun gelungen, offenbar im Sinne einer reibungsloseren Kommunikation zwischen Zentrale und Wagenflotte, auch für die telefonische Taxi-Vermittlung Fremdsprachler zu gewinnen. Als weltgewandter Kunde weiß ich das sehr zu schätzen und konnte mit meinem Street-Standup-Comedy-Programm „Zur Margarete-Steffin-Straße, bitte“ schon schöne Erfolge feiern. Mit dem klassischen Buchstabier-Alphabet (Siegfried-Theodor-Emil…) kommt man hier nicht weiter, und wenn man zwischen Handy-Anschreien, Augenroll, gepresster Geduld und verzweifeltem Kopf-an-Hauswand-Schlagen einen Spenden-Sammelbecher aufstellt, hat man schon nach einer halben Stunde die Mehrwertsteuer für die anschließende Fahrt beisammen und mit etwas Glück eine Mietdroschke auf dem Weg. Ohne Handy-Flatrate rechnet sich dieser Aufwand natürlich nicht.

„Unser Land wird sich ändern, und zwar drastisch. Und ich freue mich darauf!“, hat Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt schon 2018 vorausgesagt, und natürlich freue auch ich mich, wenn ich zum Fremdsprachen-Lernen und –Training nicht mehr umständlich ins Ausland reisen muss. In Hotels und Restaurants wird inzwischen flächendeckend geradebrecht, was der Dienstleistungsmarkt hergibt, und selbst bei der Kostümierung lässt die Integration kaum noch zu wünschen übrig. Als ich unlängst endlich einmal dazu kam, dem berühmten Münchner Nockherberg einen Besuch abzustatten, hatte sich das Bedienpersonal mit offenbar nahöstlichen oder nordafrikanischen Wurzeln wacker in Würfel-Hemd, Dirndl, Lederhosen und Bommelstrümpfe geworfen, dass die Festspiele von Bad Segeberg dagegen wie ein Fachschulkurs für naturidentische Ethnostudien daherkommt. Es war aber gar kein feierlicher Starkbier-Anstich, sondern lediglich normaler Gastbetrieb. Keine Veralberung, sondern wochentäglicher Vorabend. Und das regionaltypische Vokabular von „Maß“ bis „Haxe“ saß ebenfalls einigermaßen. Was eine Gaudi!

This land is your land, this land is my land… Auch mein Vorstandsvorsitzender spricht mich seit einiger Zeit in den wöchentlichen Mitarbeiter-Informationen („Paternoster­_pitch“) am Berliner Stammsitz von Axel Springer (äxl spring-gör) auf Englisch an („Current articles by “Berliner Zeitung” claim journalism at Axel Springer could come under pressure…“), und in der Kantine gibt’s das „Jägerschnitzel“ jetzt zweisprachig auch als in der anglo-Version als „Hunter‘s schnitzel with tomato sauce“. Brave new world, right here, right now.

Ein wenig heikel ist der Verzicht auf old-school-analog-Deutsch allerdings bei manchen Alltagsdienstleistungen. Als ich dem zugewanderten Friseur unlängst klarmachen wollte, dass um den zart aufwärts gewanderten Haaransatz auf der Oberstirn keine besonderen „Verrenkungen“ nötig wären, fehlte schlicht die nötige Vokabel, was ja beim Haarschnitt kein Beinbruch ist und ohnehin ohne das Verständnis für den metaphorischen Sinngehalt, nicht weiterhilft. Am Ende ließ sich die gewünschte lockere Zwischenlösung zwischen Kahlschlag und peinlich kaschierendem Langhaar sprachmittlerisch nicht mit letzter Sicherheit an den frisierenden Mann bringen, so dass ich auf eine Bearbeitung der Zentralstelle vorerst verzichtete.

Noch etwas derber geht es bei der fernöstlich geprägten Textilreinigung und Änderungsschneiderei im örtlichen Kaufland zu. Die sehr freundliche Frau von der Annahme kann kein Deutsch. Gar nichts. Zu nähende Nähte zeigt man, dass Kleidungsstücke sauber werden sollen, versteht sich von selbst. Geht irgendwie. Bei einem hartnäckigen Fleck auf einem Jackett hing dieser Tage ein Zettel am Bügel: Man sei die auftragnehmende Großreinigung und habe es binnen zweier Wochen nicht geschafft, vom Personal der Annahme zu erfahren, um was für eine Verschmutzung es sich handle. Deshalb schicke man das Textil zurück und empfehle, eine andere, fachkundige Reinigung aufzusuchen. Freundlich lächelnd hielt mir die Vietnamesin den Zettel zur Lektüre hin, auf dem sie selbst für zu dämlich befunden wurde. Deutsch lesen konnte sie ja auch nicht.

Der Herr aber sprach: „Wohlauf, lasst uns hernieder fahren und dort ihre Sprache verwirren, dass keiner des anderen Sprache verstehe!“ (1.Mose 11,7) Am Ende hat das Fremdsein im eigenen Land auch sein Gutes, hilft es doch bei der Umwertung einstiger Werte, vermehrt die Freude an kleinen Dingen und lässt aus vormaliger Grobheit wohlig-warme Heimatgefühle erwachsen, wenn man wieder einmal hektisch ins Taxi springt:

„Sind Sie frei?“

„Gloobste, ick steh‘ hier wehjende Aussicht?“

Seufz. Schön. Zuhause.

 

7 Antworten to “Man spricht Deutsch. Irgendwie.”

  1. Helmut Matthies Says:

    Genialer Kommentar!
    Entspricht genau meinen Erfahrungen.

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  2. Dieter Meise Says:

    Oh, wie schön und zutreffend….und lustig. Wenn jemand mit dem Telefonanbieter telefoniert ist es au h immer wieder erbaulich, falls mal irgendjemand deutsche Buchstaben formuliert. Am liebsten würde ich diesen Mensch zum Kaffee einladen. Eben Deutsch Kultur.

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  3. Ulrich Bohl Says:

    Herr Schuler, warum haben Sie nicht das Lenkrad übernommen
    und den Fahrer hinten hingesetzt. Am Ende hätten Sie ihm
    den Preis den er zu zahlen hat genannt. Glauben Sie mir, er
    hätte Sie bestimmt verstanden und protestiert.

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    • Ralf Schuler Says:

      Andere Taxifahrer erklären mir dann immer, man könne aussteigen oder die Nummer notieren… In der Regel habe ich genug Terminstress, um mich nicht auch noch mit dem Taxi rumärgern zu müssen

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      • Ulrich Bohl Says:

        Das glaube ich gern und habe es auch ein wenig
        ironisch gemeint. Bei Geld ist nämlich sofort eine
        Verständigung möglich. Sie beschreiben zu recht
        eine Situation die man so oder ähnlich täglich er-
        leben kann. Ein Sack Blumenerde kostete mich
        bei einer offensichtlichen Vietnamesin ein fuffi.
        In deutsch ein Euro fünfzig.

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  4. Alexander Smoltczyk Says:

    Lieber Herr Schuler,
    erinnern Sie sich noch an den Januar 1990? Das Treffen der Ostberliner Kulturszene in Paris, auf Einladung von Jack Lang? Kann es sein, dass wir uns damals im Pariser taz-Büro begegnet sind? Stichwort: Dauerwurst im Rucksack?
    Gern würde ich mit Ihnen noch einmal über diese denkwürdigen Wochen plaudern, für ein Buchprojekt, aber auch unabhängig davon. Herzlich grüßend
    Alexander Smoltczyk

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