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Denkzettel als Regierungsauftrag – ein Missverständnis

Februar 7, 2018

Es gibt Anfänge, denen wohnt gar nichts inne. Das nächtelange GroKo-Gewürge ist so einer. Das könnte daran liegen, dass es gar kein Anfang ist, sondern der dritte Neuaufguss. Es könnte aber auch damit zu tun haben, dass den Beteiligten das Gespür für die politische Wetterlage völlig abhanden gekommen ist. Und das gleich in vielfacher Hinsicht.

+++ Schulz: Ein gescheiterter Parteichef, der einen desaströsen Wahlkampf hingelegt hat und sich das sogar vom „Spiegel“ protokollieren ließ, die Wahl mit Allzeit-Tief verlor, die SPD nicht in eine neue Koalition führen und unter Angela Merkel kein Minister werden wollte, soll jetzt in einer neuen GroKo Außenminister werden. Absurd. Angesichts seiner bisherigen Wut-Kommentare zu Orbán, Polen, Briten, Trump, Putin, Kurz und Österreich wird er das Amt allerdings besser in Homeoffice führen.

+++ Das Beängstigende daran ist, dass hier offenbar alle gängigen Wettbewerbsregeln des politischen Betriebs nicht mehr gelten und die parteiinterne Konkurrenz auch keine Lust hat, die fällige Quittung für offensichtliches Versagen auszustellen. Bei der Union sieht es nicht besser aus. Der langjährige CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach brachte es am Dienstagabend (6. Feb) bei Markus Lanz auf den Punkt: „Wenn sich die Unionsführung hinstellt und sagt: Das ist das Ergebnis, dann sagt die Basis: Ok. Bei der SPD fängt dann das Theater erst an.“ Bei welcher von beiden Parteien angesichts dessen mehr im Argen liegt, fragte Lanz nicht.

+++ Es soll kein „weiter so“ geben, sagen die drei Wahlverlierer und machen weiter. Das Signal ist verheerend. Zeigten die letzten Umfragen bereits den Trend zum Schrumpfen der ehemals Großen zu einer eher kleinen Koalition, so dürfte sich dieser Vertrauensverlust noch verstärken. Der Denkzettel der Wähler wird zum Regierungsauftrag umdeklariert. Die vermeintlich mit der Regierungsbildung gewonnene Stabilität bedroht so mittelfristig den Akzeptanz-Kern des politischen Systems insgesamt, stärkt die Ränder, treibt Polarisierung und Aggression voran.

+++ Inhaltlich ist der Koalitionsvertrag ein Dokument der Erschöpfung. Kleinteilige Sozialstaatsreparatur, die nichts schadet aber viel kostet. Völlig schräg wird es bei den von der SPD zu Knackpunkten hochgejazzten Schlagworten „sachgrundlose Befristung“, Bürgerversicherung und Familiennachzug. Auf die tiefe und anhaltende Vertrauenskrise durch die unkontrollierte Massenmigration im Jahr 2015 mit 1000er Kontingenten nachziehender Familien zu reagieren, ist schon aberwitzig. Noch absurder mutet es an, wenn man sich klar macht, dass es diesen Familiennachzug für Migranten mit geringem Schutzstatus faktisch noch nie gab (lediglich einigen Monate im Jahr 2015) und die Integration von Menschen befördern soll, die offiziell nicht in Deutschland bleiben können und sollen. Während das Thema „Flüchtlinge“ noch immer in nahezu allen Befragungen über die Problemwahrnehmung der Menschen ganz oben steht, wird also neuer Zuzug geregelt, während das Wort „Obergrenze“ ausdrücklich mit Tabu belegt wird, obwohl selbst die avisierten 200 000 Migranten pro Jahr die Aufnahme einer Stadt wie Kassel bedeuten. Bevölkerung hör‘ die Signale.

+++ Besonderen Charme hat auch das Europa-Kapitel. Legt man es zusammen mit der Ankündigung von Schulz, das „Spardiktat“ in Europa habe jetzt ein Ende und hat nicht vergessen, dass Deutschland selbst höhere Beitragszahlungen an Brüssel angeboten hat, dann kann sich auch der Rest Europas über die neue GroKo freuen.

+++ Dass die Union die beiden wichtigen Ministerien Außen und Finanzen weggibt, macht nur noch ratlos und folgt offenbar dem alten Spruch: Wer regieren will, muss fühlen. Immerhin konnte die Union 100 Prozent ihres Programmes durchsetzen: Angela Merkel bleibt Kanzlerin. Manchmal bleibt halt nur Sarkasmus.

Natürlich kann die SPD-Basis all das ganz anders sehen, sich couragiert für die Erneuerung ihrer Partei in der Regierung aussprechen und die nun verteilten Minister widerlegen jegliche Miesepetrigkeit durch überzeugende, zupackende Arbeit. Es kann aber auch sein, dass der politische Aschermittwoch künftig auf einen Donnerstag fällt.

Alles was rechts ist

Oktober 1, 2017

Kurz vor der Wahl ließ die CDU noch eine Umfrage zum internen Dienstgebrauch machen, in der unter anderem gefragt wurde, wo man die Union auf einer Skala von 1 (links) bis 10 (rechts) verorte. Mit einigem Stolz ließen die Strategen aus dem Adenauer-Haus durchsickern, dass die CDU als Partei bei 5,3 landete, die Kanzlerin selbst habe sogar eine Punktlandung in der Mitte mit einer glatten 5,0 hingelegt.

Ein schöner Erfolg für die Kanzlerin, deren Berater Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen bereits 2012 im Präsidium eine Grafik vorlegte, die in der Mitte einen Wählerberg zeigte, den es zu gewinnen gelte. An den Rändern siedeln einfach zu wenige Wähler. Angela Merkel hat es beherzigt und den rechten Flügel der Union von Wirtschaftsliberalen über Nationale bis zu Konservativen mehr und mehr veröden lassen.

Unschöner Nebeneffekt: In weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit ist heute die von links liebevoll bediente Meinung verbreitet, „Rechts“ beginne etwa bei 6,5 auf der politischen Meinungsskala. Und da der „Kampf gegen rechts“ zum festen, unhinterfragten Bestandteil der politischen Kampagnenkultur geworden ist, bringen auch die Wahlerfolge der AfD mitunter erstaunliche Reaktionen hervor. Von Schlagzeilen über den Einzug von „Nazis“ in den Bundestag bis zur braunen Einfärbung Sachsens auf der politischen Landkarte.

Jetzt rächt sich, dass linke Unsäglichkeiten bis ins extreme Spektrum hinein vielfach als schräg-sympathische subkulturelle Blüten belächelt werden, während der „Kampf gegen rechts“ bewusst diffus gehalten wird und als Sammelbegriff für das gesamte Spektrum zwischen Lebensschützern und überzeugten Nationalsozialisten herhalten darf. Eine „Rote Flora“ ist akzeptiert, eine „Schwarze Flora“ wäre undenkbar.

Kurz gesagt: Deutschland muss wieder „Rechts“ lernen. Wer AfDisten wieder zurückgewinnen will, muss unterscheiden, wo rechts rechtens ist und wo nicht.

Wenn der öffentliche Diskurs nicht nur mit der AfD und ihren Unterstützern, sondern in seiner ganzen Breite nicht unter die Räder schmalspuriger Korrektheit kommen soll, sind gerade auch die tonangebenden und gern „Haltung“ zeigenden Eliten gefordert, wieder unterscheiden zu lernen zwischen tatsächlich inakzeptablen Meinungen und solchen, die sie lediglich nicht teilen.

Rechts ist nicht automatisch Nazi. Rechts ist kein Synonym für Faschismus. Soweit bekannt, plant die AfD weder Angriffskriege noch industriellen Massenmord. Wer vermeintlich noch immer „fruchtbaren Schößen“ tatsächlich und ernsthaft wehren will, sollte eher ein Interesse daran haben, jene, die er für anfällig hält, aus Ecken heraus zu holen, als sie hinein zu stellen.

Es ist erlaubt, eine geregelte und damit begrenzte Einwanderung und sichere, kontrollierte Grenzen zu fordern. Es ist sogar Rechtslage.

Es ist erlaubt, die Probleme muslimischer Migranten zu thematisieren. Dazu wurde eigens eine Islamkonferenz eingesetzt. Und so sehr sich am Buch von Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“ die Geister schieden – rechtlich gab es daran genau so wenig zu deuteln, wie an der Faktenlage.

Es ist erlaubt, gegen Abtreibungen und für mehr Lebensschutz zu demonstrieren. Abtreibung ist auch in Deutschland verboten, wird lediglich nur nicht strafrechtlich verfolgt.

Es ist erlaubt, mit Blick auf die NS-Zeit über die Gedenkkultur zu diskutieren, wie das etwa rund um den Bau des Holocaust-Mahnmals in Berlin jahrelang geschah. Es ist der Ton, den Höcke & Co dabei anschlagen, der gar nicht geht. Wie mit deutscher Schuld umgegangen wird, ist ein Thema und sollte es auch immer wieder sein. Bellende Hinterzimmer-Reden braucht dazu allerdings niemand.

Es ist erlaubt, die Interessen der eigenen Nation zuerst in den Blick zu nehmen. Jeder Staat ist der Interessenvertreter SEINER Bürger. Das kann auch bedeuten, Souveränität abzugeben, aber ein Streit darüber ist völlig legitim und nicht per se schlimmer Nationalismus.

Es ist erlaubt, Gender-Sprech- und –Studien abwegig zu finden, gegen Unisex-Toiletten und sogar gegen die „Ehe für alle“ zu sein. Die Kanzlerin selbst hat gegen die Öffnung der Ehe gestimmt, die sie selbst ermöglichte.

Es ist erlaubt, den Euro als kränkelndes Konstrukt zu sehen, der gerade seinen Kernzweck, das Zusammenwachsen der Völker Europas, NICHT erfüllt, sondern zu Neid, Missgunst und Spaltung zwischen den Ländern beiträgt. Und natürlich darf auch über die Verfasstheit Europas gestritten werden, so, wie es die Briten getan und entschieden haben. Politik ist keine Einbahnstraße und schon gar nicht alternativlos.

Es ist erlaubt, keine „bunte“ Gesellschaft anzustreben. Multikultur ist kein Naturgesetz, sondern gesellschaftlicher Wille. Oder eben nicht. Wenn Ungarn, Slowaken, Polen oder beispielsweise Japan sich anders entscheiden, ist das genauso legitim wie hierzulande. Am Ende entscheidet die Mehrheit.

Kurz: Es ist erlaubt, rechts zu sein, solange man sich auf dem Boden des Grundgesetzes bewegt und die rechtsstaatlich-demokratische Ordnung nicht aggressiv-kämpferisch bedroht. Die „Vielfalt“ (Diversity), die viele vor sich her tragen, ist verlogen, wenn sie nur die eigene Weltsicht umfasst. Wer Inklusion predigt, darf auch ihre Gegner nicht ausschließen.

Mit dem Einzug der AfD in den Bundestag wird vor allem eines deutlich: Die Einbettung des rechten Spektrums im „bürgerlichen Lager“ tat der politischen Kultur dieses Landes weitaus besser, als die schulterzuckende Ausgliederung in ein Sammelbecken freier Radikaler.  Wer die Ränder rechts wie links nicht im eigenen Lager hält, muss damit leben, dass die Ausgestoßenen alle Tabus herunterreißen und schwer wieder einzufangen sind.

Und: Enttäuschte Stammwähler, die man einmal verloren hat, kehren selten zurück und werden ihre neue Freiheit auch in Zukunft genießen…

Schlaflos in GroKo-Deutschland

September 27, 2014

Parteien sind sich selbst genug und naturgemäß der Meinung, dass es außer ihnen selbst keiner weiteren bedarf. Die grassierende AfD-Bissigkeit im derzeitigen Polit-Geschäft ist also ein normaler und „gesunder“ Auswuchs unseres Parteiensystems.  Dächten sie allerdings einen Moment über sich hinaus, so müssten die etablierten Streiter der „Altparteien“ zumindest im Stillen der AfD dankbar sein.
Denn im Grunde lebt auch der demokratische Organismus von Vielfalt, Aktivität und Wettbewerb. Dass Parteien wie die FDP oder die Piraten verschwinden, mag die Konkurrenz mit Genugtuung erfüllen, das Schrumpfen des Parteiensystems auf wenige große Player wie etwa in den USA kann aber niemandem wirklich gefallen.
Die AfD, ganz gleich wie man ihre Thesen und Themen finden mag, lockt Bürger in die Beschäftigung mit Politik zurück, zwingt die Konkurrenz aus dem GroKo-Nickerchen hin und wieder mal aufzuschrecken, sich auseinanderzusetzen, im Wettbewerb und lebendig zu bleiben. Bei allen drei zurückliegenden Landtagswahlen konnte die AfD sogar aus dem Nichtwählerlager größere Stimmenblöcke zurückgewinnen, was den Mitbewerbern mangels wirklich polarisierender Streitthemen schon lange nicht mehr gelingt. Im Gegenteil: Die knapp 42 Prozent, die Angela Merkel bei der letzten Bundestagswahl einfuhr, basieren auf etwa genauso vielen Absolut-Wählerstimmen als bei Kohls Abwahl im Jahr 1998.
Und noch einen Verdienst muss man der AfD, wenn sie denn weiterhin erfolgreich sein sollte, anrechnen: Da sie anders als etwa die Piraten, keine Sponti-Bewegung ist, befindet sie sich jetzt in der Phase, ihren Zustrom zu läutern. Das heißt, Irre und Radikale auszusondern – im Grunde ist es das harte und noch längst nicht gewonnene Geschäft einer politischen Neugründung. Die Rückeroberung und Urbarmachung von Polit-Interessierten. Ob das gelingt, ist noch lange nicht ausgemacht. Es dennoch immer wieder zu versuchen, gehört zu den ureigenen Überlebensreflexen unseres demokratischen Parteiensystems.
Deshalb muss man das AfD-Startup nicht gleich mögen und umarmen, aber ein wenig darüber freuen, dass GroKo-Deutschland noch nicht ganz dahindämmert, darf man sich schon.

Familie ist, wo alle sind

März 3, 2013

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (70, CDU) gehört seit langem zu den Chefdialektikern seiner Partei. Bei der Euro-Rettung etwa war die Vollwertloszeit seiner Ansagen (Griechenland ist nicht pleite, Einmalhilfe, klare Grenzen, keine Grenzen, ESM…) meist identisch mit den Abständen der Sitzungswochen im Bundestag. Falls kein europäischer Rat in Brüssel dazwischen kam.

Dabei lässt sich der Generalist Schäuble als Turbo-Dialektiker nicht nur auf sein Fachgebiet einengen, sondern stellt seine volle Flexibilität beispielsweise auch der CDU-Familienpolitik zur Verfügung. In der Debatte um die Gleichstellung von Homo-Paaren sagt Schäuble im „Tagesspiegel“-Interview (3. März): „Wir können nicht bloß sagen: Das ist gut, nur weil es immer schon so war und deshalb muss es so bleiben.“

Das ist grundsätzlich was dran. Allerdings stellt Schäuble der Familienpolitik der Union damit kein gutes Zeugnis aus, denn eine reflektierte Begründung für den Vorrang von Ehe und Familie kann es demnach ja weder für die Väter des Grundgesetzes, noch für die Union bislang gegeben haben. Im Klartext: Wir haben das  jetzt stur-dumpf bislang so gemacht, und so wie Schäuble es sagt, klingt es, als wolle die CDU auch künftig die Methode des Mainstreamings anwenden.   O-Ton Schäuble: „Wenn die CDU Volkspartei bleiben will, dann muss sie veränderte Realitäten zur Kenntnis nehmen.“ Und wenn genug Leute durch die 30er-Zone rasen, schafft die CDU sie eben ab.

Nun hat sich an den Realitäten der menschlichen Fortpflanzung in den letzten Jahren vergleichsweise wenig verändert. Zwar hat die Reproduktionsmedizin beachtliche Fortschritte gemacht, die Familie bleibt aber bis auf weiteres nicht nur quantitativ die „Keimzelle“ der Gesellschaft, ohne dass deshalb irgendwer der Missachtung oder Zurücksetzung der gesellschaftlichen „Zelle“ Homo-Partnerschaft das Wort geredet hätte.

Was sich erfreulicherweise stark geändert hat, ist die allgemeine Akzeptanz von Homo-Paaren. Das Ärgerliche an Schäubles Argumentation ist allerdings, dass die Zurkenntnisnahme von Realitäten nicht zwangsläufig den Verzicht auf Reflexion und Bewertung von Trends nach sich zieht. Noch weniger zwingt irgendjemand die Unionsparteien, ihren Markenkern einer wertegebundenen Familienpolitik in gedankenloser Hektik über Bord zu werfen und die undifferenzierten links-grün-alternativen Gleichstellungsrezepte in voller Schlichtheit zu übernehmen.

Die Anerkennung und Respektierung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften bedeutet eben nicht, dass man sie wider besseres Wissen für komplett gleichartig erklären muss. Es bedeutet auch nicht, dass Homo-Paare in ihrem ultimativen Drang, Kinder großziehen zu wollen, die sie selbst nicht bekommen können, an fordernder Aggressivität kinderlose Ehepaare in den Schatten stellen dürften. Weder Reproduktionsmedizin noch Adoption sind Dienstleistungen zur Vervollständigung von Lebensentwürfen. Was durch polit-taktische Realitätsakzeptierer wie Schäuble hier im Gange ist, ist eine als Minderheitenschutz verbrämte Umwertung gesellschaftlicher Maßstäbe: Anstelle der Ehe soll ein neutraler Verbund zweier Menschen als neues Leitbild etabliert werden. Und beim Erfüllen des Kinderwunschs sollen möglichst sämtliche Hemmnisse ausgeräumt werden – ganz gleich, ob diese zu Gunsten des Kindswohles (Adoption) oder aus ethischen Gründen (Leihmutterschaft, Eizellspende, Reproduktionsmedizin) bestehen.

Wer da auf die Union als letzten nachdenklichen politischen Wertewahrer gesetzt hatte, sieht sich in diesen Tagen übel getäuscht. Der Vorrang des Taktischen vor Überzeugung ist gerade an der Spitze der CDU so schockierend und abstoßend ins Auge gesprungen, dass Austrittsmeldungen aus den Landesverbänden nicht verwundern.

Dabei wäre es durchaus spannend, auch das juristische Bewertungsmuster hinter den jüngsten Urteilen aus Karlsruhe und Straßburg einmal einer kritischen Analyse zu unterziehen. Partnerschaft ist juristisch gesehen, eine auf Dauer und gegenseitige Verantwortungsübernahme angelegte Gemeinschaft. Die sexuelle Orientierung, darauf hat der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, immer wieder hingewiesen, darf dabei keine Rolle spielen. Mag sein, dass die Welt durch die rechtliche Brille genauso aussieht, wie in Schäubles Realität. Aber ist sie deshalb auch schon real? Ist eine Form der Partnerschaft, die den Fortbestand der eigenen Art sichert (Typ A) oder zumindest ermöglicht, tatsächlich gleichartig zu einer, die grundsätzlich zu Nachkommenschaft nicht fähig ist (Typ B) und behelfsweise auf die Reproduktion von Typ A zurückgreifen muss?

Ist es gleichartig, wenn die Suche nach den eigenen Wurzeln und der genetischen Abstammung bei einem Partnerschaftstyp (B) zwangsläufig und systematisch angelegt außerhalb des Kreises der engsten Bezugspersonen erfolgen muss, bei denen das Kind aufgewachsen ist? Hält die naturgesetzliche Plausibilität von Vater-Mutter-Kind juristischer Betrachtung wirklich nicht stand?

Fragen, die sich offenbar auch in der CDU vor lauter „Gier nach Anerkennung“ im großstädtischen Milieu niemand mehr stellt. Wen wundert’s wenn sich Wähler bei solcher Hopplahopp-Modernisierung abwenden und sich der Trend aus NRW und Niedersachsen demnächst auch im Bund fortsetzt: Das Nichtwähler-Problem der CDU.

Schusselchen Schavan

Februar 4, 2013

Man kann nicht sagen, dass Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) und ihre Unterstützer nicht alles versucht hätten in der peinlichen Affäre um ihren Doktortitel. Mühe haben sie sich gegeben, und wenn es so etwas wie ein politisches Leistungsprinzip gibt, dann muss man das auch mal anerkennen. Trotzdem sieht es so aus, als dürfte sich Frau Doktor in naher Zukunft nur noch Annette Schavan nennen, weil die verbohrte Uni Düsseldorf partout Recht vor Gnade ergehen lassen will.

Für die Ministerin besonders bitter: Die ansonsten nicht für ihre Zimperlichkeit bekannten Doktor-Jäger im Internet („SchavanPlag“) fanden die Promotionsvergehen mehrheitlich verzeihlich. Lediglich ein SchavanPlager wollte die erwischte Akademikern nicht so leicht davon kommen lassen und schlug Alarm. Schavan flüchtete vermeintlich nach vorn, betraute die Uni Düsseldorf mit seriöser Prüfung und sah sich nun ausgerechnet dort mit voller Härte an den Pranger gestellt, wo sie sich die Vergebung lässlicher Zitier-Sünden erhofft hatte. Die Uni verbiss sich viel zäher in die Studien zur pädagogischen „Gewissensbildung“ von 1980 als die freischaffende Häscher-Meute aus dem Internet.

So clever und souverän die Ministerin die Attacken der Düsseldorfer Prüfer zu parieren versuchte, so unbeirrt blieben die auf unfreundlichem Kurs. Die Chronologie einer verlorenen Abwehrschlacht:

Nicht so schlimm wie bei Karl Theodor zu Guttenberg seien die Zitierfehler der Ministerin, hieß es zuerst. Das stimmt, und taugt als Entschuldigung doch wenig. Schlimmer geht’s immer. „Weniger schlecht“ wird trotzdem nicht „gut“.

Eigenplagiate, erfuhr die staunende Öffentlichkeit, habe Schavan begangen: sich selbst zitiert und das verschwiegen. Netter Versuch. Was nach intellektueller Selbstbefriedigung und akademischer Krümelklauberei klingt, war letztlich aber nicht der Grund des Anstoßes. Nach Ansicht von Prüfer Stefan Rohrbacher ist in Schavans Arbeit die Absicht des Plagiierens unübersehbar. Einerseits werde Sekundärliteratur so zitiert, als habe die Autorin die Original-Werke gelesen. Andererseits werde zusammenfassend indirekt referiert, was eindeutig von fremder Stelle übernommen und nicht gekennzeichnet wurde.

Fachfremd sei der Gutachter, wurde gegen die Expertise Rohrbachers argumentiert, weil dieser Judaist sei und kein Pädagogikwissenschaftler wie Schavan. Als seien Quellen und Fußnoten in der Judaistik anders zu behandeln als in der restlichen Geisteswissenschaft.

Überhaupt „Geisteswissenschaft“: In diesem Sprengl der Wissenschaft lebe man gemeinhin viel mehr vom Vordenken anderer, hieß es zu Schavans Gunsten. Man könne mithin nicht so harte Maßstäbe anlegen, wie etwa in der Naturwissenschaft.

Verjährung wurde ins Spiel gebracht und ernsthaft diskutiert, ob nicht in Strafgesetze oder Promotionsreglement entsprechende Paragraphen einzufügen wären, damit akademische Flickschuster sich irgendwann einmal beruhigt im Lichte geklauter Titel sonnen können. Mal abgesehen davon, dass eine „Lex Schavan“ immer ein Geschmäckle hätte, es ist auch nicht wirklich plausibel, dass man ein Leben lang bei der Übergabe der Visitenkarte Renommee schindet und von verjährter Unehrlichkeit dann dauerhaft prestigeträchtigen Gewinn zieht.

Indiskretion hallte es allenthalben voll Abscheu und Empörung durch die Lande, als der „Spiegel“ vorab aus dem Rohrbacher-Gutachten zitierte. Als wäre die Botschaft eine Woche später eine bessere, angenehmere gewesen. Oder sollte da womöglich die Idee im Schwange gewesen sein, die ungebührlich harte Vermessung der Schavan-Promotion ganz verschwinden oder vor Veröffentlichung weichspülen zu lassen? Nicht doch! Besonders empört: politische Verteidiger der Ministerin.  Schließlich ist im Politik-Business das Durchstechen von Papieren, Expertisen und Pamphleten ja völlig unbekannt. Unglaublich, dass die gleichen Unsitten wie im Reichstag jetzt auch schon an einer deutschen Universität Einzug halten!

Ehrenwerter Beistand kam von den Spitzen der großen Forschungsgemeinschaften, die als Empfänger milliardenschwerer Forschungszuwendungen Schavans Doktorarbeit zwar weder gelesen noch geprüft hatten, aber sich doch vollkommen sicher waren, dass der Ministerin hier großes Unrecht widerfahre. Motto: Wir wissen auch nichts Genaues, haben aber eine Meinung. Der grundsätzliche Skandal dieser Gefälligkeitsadresse aus der Wissenschaft ist in der Öffentlichkeit gar nicht hinreichend aufgegriffen worden.

Weitere Gutachten wurden gefordert. Auch auf diese ansonsten probate Methode in Politik und Gesellschaft missliebige Entscheidungen durch Gutachter-Kriege zu vereiteln, ließ sich die Uni Düsseldorf nicht ein. Immerhin hatten mehr als zwanzig Mitglieder der jeweiligen Prüfkommissionen die Expertise Rohrbachers vorliegen und konnten Zitat für Zitat dessen Analyse nachvollziehen. Schavan selbst ließ sich mit mehr als 80 Seiten Stellungnahme ein. Das gesamte Verfahren wäre in den Ruch des Dubiosen gekommen, wären weitere Gutachten – pro oder contra – hinzugezogen worden. Eine Seite wäre immer als Besteller im Verdacht gewesen.

Damals haben alle etwas laxer zitiert. Ein Vorschlag aus der Unionsfraktion im Bundestag ging dahin, dreißig andere Arbeiten von 1980 ähnlich auszuwerten wie die von Annette Schavan. Würde dort eine vergleichbare Fehlerquote zu Tage treten, sei die Ministerin entlastet. Schon kurios, die Logik: Vielleicht sind ja noch mehr bei Rot über die Ampel gegangen – dann wäre es ok. Auch im Politischen werden die argumentativen Räume zum Verteidigen der eigenen Leute mitunter ziemlich eng. Nun ist allerdings eine Uni-Broschüre der pädagogischen Wissenschaften aus dem Jahr 1978 aufgetaucht, an der auch Schavans Doktorvater beteiligt war, und in der für äußerst penible Zitat-Regeln geworben wird. Schade eigentlich. Aber einen Versuch war es wert.

Schusselfehler hat Annette Schavan nun kürzlich im „Zeit-Magazin“ eingeräumt, könnten ihr bei der Arbeit unterlaufen sein. Voll fies, wenn die Uni dafür jetzt den Doktortitel der Ministerin verschusseln würde. An gut gemeinten „Hinweisen“ und ziemlich durchsichtigem Druck hat es jedenfalls nicht gemangelt. Da hat sich der Freundeskreis Schavan nun wirklich alle Mühe gegeben.

Partner, Partner überall

November 25, 2012

Darf man den Wildecker Herzbuben („Herzilein“) zur eingetragenen Partnerschaft gratulieren? Die Antwort lautet: Nein. Denn sie haben sich nicht eintragen lassen. Aber wenn es nach aktuellen Trends geht, sind sie heiße Anwärter auf einen festen Beziehungsstatus. Der Einwand, Wolfgang Schwalm und Wilfried Gliem seien gar nicht schwul, trägt da wohl nicht mehr lange. Denn längst ist man auch in der Union dabei, den Ehe-Begriff zeitgemäß zu überarbeiten. Demzufolge ist Partnerschaft, wo zwei Menschen dauerhaft füreinander Verantwortung übernehmen. Und das kann man wohl mit Fug und Recht von den beiden Pfundskerlen behaupten, die seit mehr als 20 Jahren miteinander arbeiten und eine wirtschaftlich weiß Gott erfolgreiche Gewinngemeinschaft sind.

Gut, verheiratet sind die Buben nebenher auch, womit wir beim ersten kleinen Problem der schönen neuen Partnerschaftswelt wären: Wenn dauerhafte Verantwortungsübernahme schon eine hinreichende Definition für eine eheähnliche Beziehung ist, dann betrügen die zwei ihre Frauen mit ihrem volkstümlichen Wanderzirkus.

Aber im Ernst: In dem irrigen Wahn, irgendwie modern und großstädtisch sein zu wollen, kommt gerade den Konservativen in diesen Tagen ganz offensichtlich der Wertekompass völlig abhanden. Bei dem verspratzten Versuch, sich eine Partnerschaftsdefinition zuzulegen, in die auch die Homo-Ehe irgendwie hineinpasst, kippen die einstigen Wertebewahrer ihre bisherigen Leitbilder mir nichts dir nichts über die Reling. Wenn die Verantwortung füreinander zum letzten Indiz für eine Partnerschaft wird, redet man einer Gesellschaft das Wort, in der alles geht und alles irgendwie gleich ist. Das kann man wollen, wie es in eher konkurrierenden Lagern bisher schon gewollt war. Allerdings versuchten bislang vor allem die Linken die Gesellschaft umzubauen, währen die Konservativen sich Mühe gaben, sie daran zu hindern. Heute geben die vermeintlichen Modernisierer das Wort an.

Denn tatsächlich lebt Gesellschaft von mehr als von bunten Beziehungen. Mal abgesehen  davon, dass sich die Frage auftut, ob die Teilnehmerzahl bei dieser Art von Verantwortungsgemeinschaft auf zwei begrenzt bleiben muss (was wäre mit einer Ordensgemeinschaft?), ob es verwandtschaftlich nicht verbundene Menschen sein müssen oder auch Geschwister in Betracht kommen und auf welcher Annahme die geforderte „Dauerhaftigkeit“ fußt, – eine Gesellschaftspolitik, die Kinder und Familie ins Zentrum ihrer Wertschätzung stellt, ist auf dieser Alles-geht-Basis nicht denkbar.

Freilich hatte die Union auch beim Familienbegriff vor einiger Zeit schon eine eher spielerische Variante gewählt: „Familie ist, wo Kinder sind“. Hier wird bereits das generationenübergreifende, Traditionen von Großeltern zu Enkeln fortschreibende stillschweigend gestrichen. Wer so leichtfertig das natürliche Beziehungsgeflecht einer Gesellschaft zu Gunsten einer künstlich konstruierten Modernität aufgibt, muss sich hinterher allerdings nicht wundern, wenn es kein familienfreundliches Klima gibt, wenn niemand mehr die Auswirkungen politischer oder wirtschaftlicher Entscheidungen auf die Lebenswelt von Familien im Blick hat, wenn Familie immer schwieriger lebbar ist, die Geburtenzahlen sinken und der gesellschaftliche Reparaturbetrieb zum Beheben von Familienversagen nicht mehr nachkommt.

Es gehört zu Kuriositäten unserer Zeit, dass das Bewahren von Umwelt zu den höchsten Gütern der Gesellschaft gehört, während das Bewahren einer lebenswerten, mitmenschlichen Gesellschaft von gedankenlosen Modetrends geprägt wird. Weite Teile der Eliten treten tatsächlich dafür ein, die Erwärmung des Weltklimas präzise auf zwei Grad Celsius begrenzen zu wollen – der Turmbau zu Babel war verglichen mit dieser Selbstüberhebung ein von Selbstzweifeln angekränkelter Demutsakt. Und im gleichen Atemzug gelten Familie und Kinderbetreuung als reaktionär, muffig, Erwerbsarbeit als modern, Genmanipulation, künstliche Zuchtwahl am Menschen und selbstbestimmter Tod liegen im Trend, weichen die vormalige Unantastbarkeit menschlichen Lebens auf.

All dies sind Richtungsentscheidungen, die der Mensch so treffen kann, wenn er will und wenn einen Konsens darüber in der Gesellschaft gibt. Erstaunlich ist freilich, was Leute treibt da mitzutun, die sich ehedem einer politischen Richtung angeschlossen haben, die genau hier mit Vorsicht und Zurückhaltung zu Werke gehen wollte. Wo ist der Kampfesmut der Konservativen geblieben, tieferes Verständnis von gesellschaftlichem Zusammenhalt mehrheitsfähig zu machen?! Oder ist womöglich die aktuelle Debatte um schwarz-grüne Bündnisse nur die Vorstufe zur Frage, ob auch Schwarz-Orange mit den Piraten möglich wäre? Braucht es künftig noch wen, der über den Rand des eigenen Laptops hinausschaut? Den Rest kann man ja googlen…

Mahlzeit! Einmal Herdprämie bitte

April 27, 2012

Seltsam: Eine ganze Generation hat das Kochen verlernt, sagt Star-Köchin Sarah Wiener im SZ-Interview. Trotzdem gilt „Herdprämie“ als Schimpfwort. Und das in einer Gesellschaft, die Fehlernährung und Übergewicht längst zu einem politischen Problem ausgerufen hat.

So viel Scheinheiligkeit, Heuchelei und Dummheit wie in der aktuellen Debatte um das Betreuungsgeld war lange nicht. Dabei ist die Ernährung nur eine von vielen Kulturtechniken, die in Familien weitergegeben werden oder eben nicht. Wer mit Papa Klopse knetet, bekommt Bindung, Bildung und Vorbild mit auf den Weg. „Herdprämie“ wäre also selbst dann kein Schimpfwort, wenn das Betreuungsgeld eine wäre. In der Praxis werden 100 oder 150 Euro niemanden davon abhalten, sein Familienleben so einzurichten, wie er es selbst für richtig hält.

Berliner „Tagesspiegel“ vom 27. April 2012: „Was Untersuchungen wie die große Nichd-Studie aus den USA schon gezeigt haben, bestätigte sich auch hier: Wie weit kleine Kinder in ihrem Wissen, ihren Fähigkeiten und ihrer Reife sind, hängt am meisten von Merkmalen ihrer Familie ab – selbst wenn sie ganztags in die Kita gehen. Positiv wirken sich hier vor allem der Bildungsstand der Mutter und ihre Gemütsverfassung aus.“ Was spricht also dagegen, Eltern an dieser Stelle zu unterstützen?

Was offenbar dagegen spricht, hat NRW-Ministerpräsidentin Hannolore Kraft (SPD) in der Frankfurter Allgemeinen am Sonntag zum Besten gegeben: Sie plädiert für Kita-Pflicht (Schluss mit Wahlfreiheit!), weil Bildung in der Kita beginnen müsse. Dann würden sich die teuren Kita-Plätze auch wieder lohnen, weil die arbeitenden Mütter (von Vätern geht die SPD offenbar nicht aus) ja Steuern zahlten. An dieser Stelle müsste nun eigentlich auch der letzte Skeptiker zum Betreuungsgeld-Fan werden: Wahnsinn mit Methode. Einen gröberen Unfug hat in der ganzen Debatte noch niemand  geredet. Das Kind muss in die Kita, damit Mama über ihre Einkommenssteuer die Kita-Kosten finanzieren kann. Diesen Beitrag müssen die Kinder schon zum Funktionieren des Kita-Steuer-Systems leisten.

Einen interessanten Aspekt hat der Journalist Günter Ederer in die Betreuungsgeld-Debatte eingebracht. Obwohl er selbst aus ordnungspolitischen Gründe gegen das Betreuungsgeld ist, fragt er, ob die Freunde der Kita-Betreuung genauso argumentieren würden, wenn einer Hundemutter die Welpen wegnähme und ins Tierheim gäbe. Aber das ist natürlich grob unsachlich….

Der Gipfel des Absurden wird aber erreicht, wenn die Kritiker das Betreuungsgeld zuerst dafür geißeln, dass es gerade Hartz-IV-Bezieher und Migranten davon abhalte, ihre Kinder in die Kita zu schicken und sich dann darüber empören, wenn Hartz-IV-Bezieher kein Betreuungsgeld erhalten sollen. Diejenigen, die erst Transferempfänger und Migranten unter Generalverdacht der Erziehungsunfähigkeit gestellt haben, erheben lautstark Klage, weil das Erziehungsgeld Transferempfänger und Migranten unter Generalverdacht der Erziehungsunfähigkeit stelle.

Der Streit ums Betreuungsgeld ist im Grunde nichts anderes als der erbitterte Kulturkampf jener, die Berufstätigkeit für progressiv und Familie für unmodern bis reaktionär halten. Rechtfertigung eigener Lebensentwürfe mag da von Fall zu Fall wohl auch eine Rolle spielen. Überraschend ist vorallem die Verbissenheit auf der Seite der Betreuungsgeld-Gegner, die ja eigentlich ganz gelassen sein könnten, spielt ihnen doch angeblich die Moderne in die Hände. Außerdem ist auch nirgendwo davon die Rede, dass ausschließlich die Mütter daheim bleiben sollten oder müssten.

An dieser Stelle kommt man kaum noch umhin, der amtierenden Familienministerin Kristina Schröder (CDU) mehr wahre Emanzipation zu bescheinigen, als der gesamten KritikerInnen-Schar. Ihr Buch („Danke, emanzipiert sind wir selbst“) hat vor allem eine Botschaft: Frauen, Mütter, Familien brauchen keine Fremdfirmen, um sich Lebensentwürfe vorschreiben zu lassen. Daheim oder im Job – macht einfach!

Deutschland, deine Reflexe

April 2, 2012

Deutschland, deine Reflexe 1: Wenn bei Schlecker 11 000 Frauen arbeitslos werden, hallt der Ruf nach einer staatlichen Auffanggesellschaft durchs Land, obwohl im Einzelhandel 25 000 Jobs unbesetzt sind. Statt den Frauen das Gefühl ihrer eigenen Kraft mit auf den Weg zu geben: Ihr schafft es trotz der Pleite! Ihr werdet gebraucht! – wird erst einmal nach weißer Salbe gesucht, die in der Vergangenheit längst ihre Wirkungslosigkeit erwiesen hat.

Deutschland, deine Reflexe 2: Wenn es darum geht, Eltern, die sich selbst um ihre Kinder kümmern wollen, Unterstützung zu geben, gehen Zeter und Mordio durchs Land, weil hier einem vermeintlich unmodernen, reaktionären Lebensmodell Vorschub geleistet wird: Nieder mit dem Betreuungsgeld!

Das meist gebuchte Argument: Migranten und Prekarier treiben Schindluder mit dem Geld und enthalten ihren Kindern wichtige Anreize vor. Da spukt offenbar ein Bild vom sozialen Normal-Alltag durch einige Köpfe, das ehedem bei Thilo Sarrazin noch der Inbegriff des Bösen war. Hat Deutschland sich womöglich inzwischen doch schon abgeschafft, so dass man mit Rücksicht auf die ausufernde Verelendungsgemeinde deutsche Gesetze nicht mehr an funktionierenden, sondern an versagenden Familien ausrichten muss?

Zudem setze das Betreuungsgeld falsche Anreize für Frauen, eben nicht rasch wieder in den Job einzusteigen. Das ist in der Tat ein Problem: Der verwerfliche Anreiz, sich um eigene Kinder zu kümmern, gegen die gesellschaftlich wertvolle Steigerung des Bruttosozialprodukts. Um die längst wachsende Zahl bindungsgestörter Kinder können sich ja später hauptberufliche Sozialarbeiter kümmern.

Man kann über Sozial-Mechanik und Effekte des Betreuungsgeldes in der Tat diskutieren, nur gerät in Deutschland wieder einmal der ethische Kompass unter dem Einfluss vermeintlicher Modernität absurd ins Kreiseln. In den ersten drei Lebensjahren (und nur um die geht es beim Betreuungsgeld) wächst das Urvertrauen in die Welt: Hier bin ich sicher, hier muss ich mich nicht fürchten, hier kann ich alles schaffen, Mama/Papa sind da. Zu diesem Wert gibt es keine Konkurrenz – zumindest keine, die man aktiv anstreben sollte. Alles baut auf diesen Grunderfahrungen auf.

Wie dumm und krank muss eine Gesellschaft sein, die hier die Elle individueller Entfaltung oder wirtschaftlicher Produktivität anlegt! Als bewiesen nicht täglich weltweit etwa erfolgreiche Asiaten, dass extremer Familienzusammenhalt und Leistung das Maß aller Dinge sind. Als bewiesen nicht täglich die wachsenden Nachsorge-Probleme bei Kindern von Crash-Familien den gesellschaftlichen Wert jedes einzelnen treusorgenden Vaters, jeder sich kümmernden Mutter.

Und ausgerechnet die christlich-konservativen, die all das eigentlich mit der Muttermilch eingesogen haben sollten, zerfleischen sich im Auftrag linker Lebenslügen. Deutschland, deine Reflexe.

Länder-Lego: Ausgerechnet in der Krise basteln einige an den „Vereinigten Staaten von Europa“

August 29, 2011

Wenn Wasser nach oben flösse, gäbe es keine feuchten Keller. Ausgerechnet jetzt, mitten in der Euro-Krise, wird wieder heftig am Bundesstaat Europa gewerkelt. „Mein Ziel sind die Vereinigten Staaten von Europa“, sagt beispielsweise Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im jüngsten „Spiegel“. Gemeint ist das Hamburger Magazin, nicht die heimische Ankleide. Dort wäre es kein Problem.

Denn einerseits zeigt eben jene Krise, dass dieser Kontinent keineswegs zusammensteht, wenn es etwas kostet. Und andererseits hat die gleiche Ursula von der Leyen (CDU) in diesen Tagen selbst vorgeschlagen, Euro-Schuldensünder sollten im Gegenzug für Milliardenhilfen Gold oder andere materielle Werte beim Rettungsfonds in Brüssel verpfänden, damit ihr Sparwille nicht erlahme. Besser kann man zwischennationales Ressentiment nicht illustrieren.

Die nüchterne und für manchen wohl ernüchternde Realität ist, dass das vereinte Europa an seinen Grenzen angekommen ist. Geographisch wie ideell. Die CSU formuliert das in ihrem jüngsten Thesenpapier mit erstaunlicher Klarheit: „Aus der Bündelung von immer mehr Politiken ist aber weder ein europäisches Gemeinschaftsbewusstsein noch die erhoffte politische Union entstanden. Die CSU lehnt die Idee von Vereinigten Staaten von Europa, also der Schaffung eines europäischen Bundesstaates, der auch die sog. Kompetenz-Kompetenz besitzt, entschieden ab und hält den Staatenverbund für die absehbar geeignete Organisationsform der europäischen Integration.“

Man sollte sich vielleicht auch hin und wieder im größten EU-Überschwange klarmachen: Nicht alle Nationen in Europa haben sich in ihrer Geschichte so brachial daneben benommen wie die Deutschen. Oder anders gesagt: Einige europäische Nachbarn haben genügend Nationalstolz durch die Jahrhunderte ihrer Historie gerettet, um nicht euphorisch im großen Ganzen aufgehen zu wollen.

Nun will sich auch die CDU auf ihrem Leipziger Parteitag im November mit dem Euro und seiner Rettung beschäftigen. Vielleicht wäre es dazu hilfreich, erst einmal das eigene Verständnis von Europa zu klären. Die selbst ernannte „Europa-Partei“ CDU schwankt zwischen jenem Flügel, der diesen Titel mit „alles und immer für Europa“ übersetzt und jenem, der freimütig zugibt, dass der fusionierte Kontinent weit an den Köpfen und Herzen der Menschen vorbei geht. „Europa-Partei“ sollte deshalb nicht mit unbedingter Integration – gern auch unter dem Zwang der Krise – verwechselt, sondern als  „Europa-Kompetenz“ für das“richtige“ funktionierende, angemessene Europa verstanden werden. Und da geht es eben nicht nur um die Förderung eines weltweit konkurrenzfähigen Staatenbundes, sondern auch um dessen Schutz vor übereifrigen Enthusiasten, die seine Grenzen nicht erkennen.

Wer die reale EU zwangsweise oder aus Leichtsinn in eine gut gemeinte Wunsch-Union überführen will, gefährdet den Europa-Gedanken mehr als er ihm dient. Weil das so ist, gibt es zwar eine Außenkommissarin aber keine gemeinsame Außenpolitik, weil keine ehrliche Regierung im Ernst will, dass ihre Belange von EU-Brüssel wahrgenommen oder gar geregelt werden. Genauso wird es mit der sogenannten Wirtschaftsregierung sein. Entweder ein loses Gesprächsgremium oder eine Null-Personalie.

Auch wenn Europa nach wie vor kein erotisches Publikumsthema ist, sollte die Kanzlerin und CDU-Bundesvorsitzende den November-Parteitag nutzen und sagen, welches und wieviel Europa sie will. Ein Europa der starken Staaten oder eines der starken Zentrale. Je mehr Kompetenzen und Hoheitsrechte Berlin an Brüssel abgeben will, desto besser sollte sie das den Menschen im Lande erklären. Denn die haben am innerdeutschen Föderalismus schon genug zu knabbern.

Die Bildung und die Bürger

August 15, 2011

„Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch was lernen muss.“ Auf das Manifest des Lehrer Lämpel bei Wilhelm Busch kann man sich auch in der Union friedlich einigen. Bei allem, was darüber hinaus geht, wird es heikel. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) hat gemeinsam mit Sachsens Kultusminister Roland  Wöller (CDU) unlängst ein Grundsatzpapier für die „Bildungsrepublik Deutschland“ vorgelegt, und braucht nun für den Schaden nicht zu sorgen. Den hat sie nämlich selbst: Schavan wurde von ihrem Kreisverband Alb-Donau nicht als Delegierte für CDU-Bundesparteitag im November nominiert, der ausgerechnet ein „Bildungsparteitag“ werden soll.

Dabei werfen ihr die verärgerten Unionisten noch nicht einmal so sehr vor, dass Schavan sich als BUNDESministerin für einen BUNDESparteitag mit einem Thema beschäftigt, das in der komplizierten deutschen Föderalbalance nun eindeutig Ländersache ist. Für Unmut sorgt vor allem der Plan, künftig auf ein zweigliedriges Schulsystem aus „Oberschule“ und Gymnasium zu setzen, was im Umkehrschluss auf die Schlagzeile hinausläuft: Die Union schafft die Hauptschule ab. Vor drei Jahren erst hatte sich die Partei „Bildungsvielfalt“ und ein „mehrgliedriges Bildungssystem“ ins Grundsatzprogramm geschrieben. So schnell veralten heute selbst bei Konservativen die Grundsätze.

Das Problem, das hier – wie in der gesamten aktuellen Profil-Debatte der Union – zu Tage tritt, ist allerdings weniger die „Modernisierung“ der CDU als solche, sondern die „unkritische Modernisierung“, die widerstandslose und unreflektierte Übernahme von Zeitgeistbeständen. Das ist einerseits intellektuell nicht sonderlich anspruchsvoll und verwischt andererseits die Konturen (frz. le contour – Umriss, Linie) der Partei. Bildung, Energie, Familie, Gleichstellung – wozu soll man sich in einer politischen Gemeinschaft zusammenfinden, die sich inhaltlich mit anderen Gruppierungen immer stärker überschneidet und sich durch Abgrenzung von anderen so kaum noch kämpferisch motivieren kann?!

Beim Bildungsstreit beispielsweise geht das CDU-Papier in der Vorstellung von Schule noch immer von einer Einrichtung der Wissensvermittlung aus. Das war Schule zweifellos früher. Weil sich aber auch die Union seit geraumer Zeit für auf den gleichen Weg begeben hat wie SPD, Linkspartei und Grüne, heißt Modernisierung Zusammenlegung von Schulen. Freilich ohne es Einheitsschule zu nennen. Das Gymnasium soll bleiben. Heute formuliert aber auch die Union einen so (illusorisch) umfassenden Anspruch an die Lebensertüchtigungsanstalt Schule, dass die alte Formen-Debatte vorgestrig wirkt. Wer freilich zuerst die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ einseitig als Entlastung der Berufstätigen von der Kinderbetreuung von der politischen Konkurrenz übernimmt, kommt später nicht umhin, die Schule als Familien-Ersatz-Einrichtung aufzuwerten.

Konsequent wäre es daher gewesen, sich ganz von alten Schulformen zu verabschieden und eine Rundum-Erziehungseinrichtung neuen Typs mit ganz neuem Lehrer-Profil zu entwerfen. Da von Alltags- und Kulturtechniken über Sprachkompetenz bis hin zum Ernährungswissen heute alles in der Schule vermittelt werden soll (die Familie war gestern), müssten die modernen Lehrer der Zukunft eigentlich elternähnliche Erziehungslotsen sein, die weniger in Fachgebieten geschult sind, sondern sich mit dem individuellen Entwicklungsstand jedes Kindes beschäftigen. Sie müssten Nachhilfe und Seelennöte ebenso erkennen, wie Begabungen, sinnvolle Freizeit-Ideen entwicklen und heimische Defizite erkennen. Eine Tätigkeit, die mit der klassischen Schule, mit Stundenplan und Hausaufgaben nichts mehr gemein hat. Eine Art anspruchsvolles Ganztagsinternat, dass realistischerweise in der nötigen Breite öffentlich nicht zu finanzieren ist.

Nun erwartet niemand von der Union solche Visionen. Es würde schon reichen, wenn sich die Parteien mit dem C im Namen darauf besinnen würden, dass es nicht reicht, die Familien Arbeitswelt-kompatibel zu machen, sondern wenn es ihnen ernst damit wäre, die Arbeitswelt familienfreundlicher zu machen. Aber das klingt ja schon wieder irgendwie altbacken nach Heim und Herd. Und so „unmodern“ möchte die moderne Union schon lange nicht mehr sein.