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Worum es beim Euro wirklich geht

Juni 22, 2011

Warum sollte es bei der Griechenland-Krise anders sein: Wieder einmal hat niemand außer Joseph „Joschka“ Fischer die wirkliche Dimension der Krise begriffen. Der geniale Global-Stratege, der sich schon ehedem am „euro-asiatischen Krisenbogen“ trefflich abarbeitete, hat in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung all den politischen Amateur-Akteuren noch mal ausführlich erklärt, worum es eigentlich geht: „Es geht um fast alles!“

Das haben zwar von den Frankfurter Analysten über die Politik bis zu den meisten Kommentatoren auch schon alle begriffen, aber als notorischer Stammbuchschreiber fühlt man sich einfach besser. In der Sache dürfte Fischer freilich durchaus recht haben, wenn die zahllosen Domino-Szenarien der Experten nicht völlig aus der Luft gegriffen sind. Das Fatale ist allerdings, dass in dem dramatischen Appell vor lauter Notrettung der Blick für das eigentliche Problem etwas abhanden kommt.

Ein System, bei dem es in einer Krise „um fast alles!“ geht, ist nach alles Regeln der Erfahrung am Ende. Funktionierende Systeme bewältigen heikle Situationen durch Korrekturen und Krisenmanagement, durch Nachsteuern oder Notprogramme, sind aber trotz Schwierigkeiten nicht in ihrer Existenz gefährdet. Firmen mit Absatzkrise brauchen Kredite, Kurzarbeit oder Teilstillegungen. Wenn es „um fast alles geht!“ sind sie entweder schon überschuldet oder in einer Sackgasse des Marktes.

Wenn es „um fast alles!“ geht, sind wir auf dem Feld des Politischen beispielsweise beim Kollaps des Staatssozialismus 1989 ff. Damals sorgte der Entzug von Protektion und wirtschaftlicher Beatmung durch die Sowjetunion für den Zusammenbruch des gesamten Ost-Blocks. 1989 ging es für den Sozialismus nicht nur „um fast alles!“, sondern schlicht um alles. Das nun zu Tage tretende dramatische Verkoppelt-Sein des Euro-Systems macht eines deutlich: seine Fehlkonstruktion.

Denn selbst wenn die Griechen-Rettung glückt, ist im Euro-Raum ein so atemberaubend verschachteltes Konstrukt aus Bürgschaften und Rettungskäufen von Schrott-Papieren entstanden, dass man dagegen mit einiger Berechtigung spekulieren kann. Es ist, als hätte sich ein Bergretter an einem offensichtlich zu dünnen Seil zu einem Absturzopfer in der Wand herunter gelassen. Was wie eine Rettung aussieht, ist in Wahrheit ein Himmelfahrtskommando.

Ein interessantes Indiz für die Krankheit des Euro ist auch die Argumentation einiger vehementer Rettungsbefürworter. ,Wir brauchen den Euro, weil Deutschland den Löwenanteil seiner Exporte in Europa tätigt’, heißt es. Griechenland könne aus dem Euro nicht austreten, weil die neue Währung so dramatisch abgewertet werden müsste, dass man nach Griechenland nichts mehr exportieren könne.

Unabhängig vom Wahrheitsgehalt dieser Behauptungen, verbirgt sich dahinter dreierlei: Erstens: Ökonomischer (Selbst-)Betrug mit System: Den Wert der griechischen Währung der realen Wirtschaftskraft anzupassen, ist leider nicht praktikabel. Zweitens: Wir reiten die Griechen mit einer weit offenen Schere zwischen Realwert der Währung und Euro-Wert bewusst ins Dilemma, damit sie sich unsere Exporte leisten können. Und drittens: Wir brauchen eine Gemeinschaftswährung zu unserem Vorteil. Letzteres klingt so, als würde wer eine WG gründen, damit jemand für ihn kocht. Das einzig akzeptable Argument für gemeinsames Geld kann doch nur gemeinsamer Nutzen nicht. Wer mit unseren Vorteilen wirbt, ist im Grunde schon ein Ego-Europäer.

Mit den angebotenen Lösungen sieht es allerdings auch nicht gut aus. Zeigt die Griechen-Rettung, wie wenig Bereitschaft es in Europa gibt, für andere Länder zu zahlen, so ist die Forderung, die politische Einheit voranzutreiben, der sichere Weg in den Untergang. Nachhaltiger kann man die Akzeptanz Europas nicht verspielen, als wenn man supranationalen Behörden mehr Macht gibt. Regionalisieren lässt sich der Euro nicht, und rückabwickeln will ihn auch niemand.

Wenn es diesmal beim Euro „um fast alles!“ geht, worum geht es dann beim nächsten Mal?