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Technik überholt Datenschutz

August 4, 2013

Warum durchsuchen amerikanische Dienste das komplette Internet nach verdächtigen Daten? Weil sie es können!

Schön, dass es diesmal die anderen trifft. Bisher waren es meist Konservative, Lebensschützer und Ethik-Idealisten, die mit ansehen mussten, dass das Machbare immer auch gemacht wird. Jetzt stehen Fortschrittler, Web-Euphoriker und Computer-Nerds plötzlich vor den Trümmern ihres Glaubens an das Gute im Netz. Doch der NSA-Ungeist will partout nicht zurück in die Flasche. Snowden, Jahrgang 2013.

Denn die banale Wahrheit ist: In die digitale Welt kann man die analoge Privatsphäre nicht mitnehmen. Zum einen gibt das technisch Mögliche auch die Anspruchshaltung vor, zum anderen kann auf die „Stärke des Rechts“ (Merkel) nur setzen, wer dessen Einhaltung auch überprüfen und durchsetzen kann. Weil aber im Web 2.1 niemand mehr mit Krokodil-Klemmen an Hubdreh-Relais in Schaltschränken herumwerkeln muss, weil Server-Inhalte von jedem Punkt der Welt aus durchsucht werden und Speichermedien mit geringstem Aufwand fast endlose Kopien ziehen können, ist Datenschutz nach deutschem Gusto eine Illusion.

Selbst wenn man wollte (was weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb getan haben), man könnte den weltweiten Datenstrom gar nicht darauf hin kontrollieren, dass nicht illegal kontrolliert wird. Noch weniger könnte man die USA oder irgendeinen anderen Staat mit Server-Standort zwingen, Regeln durchzusetzen, die dieser nicht will. Dass entscheidende Argument dafür, dass auch in Zukunft das Web nach der Schleppnetz-Methode durchforscht wird, ist aber: Alles andere wäre völlig sinnlos. In Zeiten nahezu unbegrenzter Schnellball-Kommunikation per Mail, SMS, über soziale Netzwerke und Foren kann man im Sinne von Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung entweder versuchen, alles zu überwachen oder man lässt es ganz.

Die klassische Variante: Verdächtige Person, Antrag auf Richterbeschluss zum Überwachen, richterliche Genehmigung, Anonymisierungsschutz für Kontaktpersonen, die nicht unter Verdacht stehen… – ein solches Vorgehen wäre ein Witz, wenn man vorhat, tatsächlich Netzwerke aufzudecken oder gar Planungen von Anschlägen im Voraus zu vereiteln. Kurz: Die weltweite Massenkommunikation erzwingt geradezu die weltweite Massenüberwachung. Kleiner Trost: Die schiere Datenmenge, die so gewonnen wird, ist sinnvoll nutzbar nur im Umfeld eines Verdachts. Bei keinem Dienst der Welt würden die Kapazitäten ausreichen, mit all diesen Daten Gesinnungsschnüffelei, Manipulation oder gar gezielten Zugriff nach Art der Stasi zu praktizieren.

All das will man in dieser Deutlichkeit den Bürgern freilich nicht sagen, und es ist schon interessant zu beobachten, auf welche raffinierten Nebengleise die politische Debatte deshalb immer wieder geführt wird: Datenaustausch geschieht nach Recht und Gesetz (Pofalla, Merkel) – stimmt! Deutsche Dienste dürfen Ausländer komplett überwachen (weil diese keine Grundrechteträger im Sinne des deutschen Rechts sind), US-Dienste dürfen ebenfalls fremde Staatsbürger ausspähen, am Ende tauschen die Dienste ihre Informationen aus. Alles überwacht und alles korrekt. Weil alle Beteiligten es so wollen. Nur das gemütliche Verständnis von Privatsphäre vieler Bürger hält mit den Innovationsschüben der Kommunikationstechnik eben nicht mit. Da wird noch von unbeobachtetem Chatten und Surfen geträumt, obwohl längst die Analyse-Algorithmen zahlloser Online-Datenhändler still mitlaufen.

PS: Konsequenterweise müsste der deutsche Datenschutzbeauftragte übrigens regelmäßig Protest gegen das abendliche Fernsehprogramm einlegen: Wenn Garcia („Criminal Minds“) oder McGee („Navy CIS“) mit ein wenig Tastatur-Geklapper intimste Daten, Bewegungsprofile und private Lebensdaten von Verdächtigen durchscannen, müsste das dem engagierten Privatmann auf dem heimischen Sofa eigentlich ein Graus sein. Bislang ist von Protesten in dieser Richtung allerdings nichts bekannt. Das passiert erst, wenn im deutschen „Tatort“ das Etikett einer Bierflasche zu sehen ist oder ein Ermittler unangeschnallt Auto fährt…