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Ausempört: Warum der BER ein Phantom ohne Schmerzen ist

April 13, 2019

Der Berliner Flughafen BER ist Deutschlands Statussymbol. Ein Symbol für den Status längst akzeptierten Staatsversagens. Zu hoch gegriffen? Mitnichten! Es ist das Versagen des Staates (Bund und zwei Länder, darunter die Hauptstadt), ein überschaubares Bauprojekt in der gebotenen Verantwortung für die Bürger umzusetzen. Inzwischen drücken sich die Regierungschefs von Berlin und Brandenburg davor, im Aufsichtsrat die eigentlich zwingende Mitverantwortung für die verschwendeten Steuer-Milliarden zu übernehmen, und der Bund lässt in Gestalt des Bundesverkehrsministeriums klar durchblicken, dass man sich die verhunzte Fliegerjacke ebenfalls nicht anziehen wolle.

Mit anderen Worten: Die Politik verweigert die Arbeit. Viel schlimmer aber ist: Der BER ist ausempört. Das milliardenschwere Versagen wird hingenommen, wie die endlosen Folgen einer schmierengemimten Dauerserie am Vorabend. Es ist ein Running Gag für Comedians, der längst zu fad und wohlfeil geworden ist und seinen Rang an die klapprige Flotte der Regierungsflieger abgegeben hat. Selbst in der Kombination von beidem erntet kaum mehr als resigniertes Abwinken: Flieger, die nicht fliegen auf einem Airport, der nicht öffnet. Haha.

Es gibt keine Eskalationsstufen mehr. Der Autor dieser Zeilen mag sich ereifern, bis der Blutdruck die Messmanschette bersten lässt, und schreibt doch ins Leere. Der Leser wird zustimmen und alsbald zum gewohnten Tagwerk übergehen. Muss ja weitergehen. Längst juxen die Hauptstadtzeitungen mit den gezählten Tagen seit der geplatzten Ersteröffnung des BER im Jahre 2012, haben Rubriken eingerichtet, um den täglichen Irrsinn geordnet abzulegen. Korrespondenten aus aller Welt haben sämtlich über das BERsagen Berlins und der Deutschen berichtet und finden in der Schönefelder Flugunfähigkeit ein stets verfügbares Reportage-Element, um das aktuelle Deutschland-Panorama zu zeichnen.

Der BER ist in die deutsche Alltagsfolklore eingewachsen, wie der Hamburger Fischmarkt, von dem man ebenfalls immer gewiss sein kann, dass er da ist, auch wenn man gerade nichts von seinen Marktschreiern hört: „Korruption, Unfähigkeit, völliges Chaos! Nennt mich verrückt, aber heute lege ich noch einen drauf! Hochdotierte und gescheiterte Top-Manager im halben Dutzend, Dübel, die nicht brandschutztauglich sind und einen noch frisch blutenden Steuerzahler… Und das Ganze nicht für eine Milliarde, nicht für zwei Milliarden oder drei – erzählen Sie es nicht weiter, es wird Ihnen sowieso niemand glauben: Dieses randvolle Paket voll Nichts heute und nur heute für Sie zum einmaligen Mitnahmepreis von sage und schreibe sechs Milliarden Euro! Das können Sie nicht fassen, die Dame dort in der ersten Reihe! Nicht gucken, zugreifen! Greifen Sie zu, solange der Vorrat reicht und die nächste Verschiebung des Eröffnungstermins noch nicht spruchreif ist…“

Der BER ist ein Phantom, das schon lange nicht mehr schmerzt. Er ist ein eingewachsener Tumor, mit dem man sich abgefunden hat, und der höchstens noch zum geräuschvollen Fitness-Programm reicht. KOPFSCHÜTTELN über Züge, die auf Geistergleisen mehrfach am Tag durch tote Tunnel fahren, damit kein Pilz in den leeren Schächten wächst. SCHENKELKLOPFEN über Rolltreppen, die zu Ende sind, bevor das nächste Stockwerk da ist. Der BRÜLLER über Architekten, die auf die Physik PFEIFEN und im Brandfalle aufsteigendes Rauchgas nach unten absaugen wollen, damit zu Haupten der Passanten keine Rohr das Hallenwerk verunziert.

Der BER ist ein Exempel-Tempel für die Selbstüberhebung, die inzwischen selbst dem deutschen Ingenieur so schwör geworden ist, dass der Hosenbund vom Blaumann platzt. Erst greift man für eine simple Lkw-Maut zu den Satelliten und bringt über Jahre nur milliardenschwere Anschubkosten zustande, dann lässt man sich ausgerechnet beim Schummeln am deutschen Volkswagen erwischen und scheitert nun eine knappe Dekade am Errichten von Hallen, Hangar & Co.

Nur juckt all das im Falle des BER niemanden mehr. Dass sich die Kosten für den Abfertigungskomplex auf mindestens sechs Milliarden Euro nahezu verdreifachen – geschenkt. Dass die Skandale um Baufirmen und Fehlkonstrukteure kaum noch zu entwirren, geschweige denn zu ahnden sind – tja. Dass niemand die politische Verantwortung für das Desaster übernehmen will – bekannt und abgehakt.

Bürger-Ohnmacht hat einen Namen: BER!

 

PS: Wer mehr von Ralf Schuler lesen möchte, kann auch zum aktuellen Buch greifen: „Lasst uns Populisten sein. Zehn Thesen für eine neue Streitkultur“, Herder Verlag.

Wir zahlen gern: Der Fall Hoeneß und die Deutschen

April 24, 2013

Ob die Deutschen auf dieser Welt noch integrierbar sind, ist nicht ganz sicher. Irgendwie schlagen sie aus der Art. Schon deshalb ist die Suche nach erdähnlichen Planeten in anderen Ecken des Universums für den Rest der Welt nicht ganz sinnlos…

Wenn deutsche Parteien von einem „einfachen, niedrigen und gerechten Steuersystem“ sprechen, bricht ein medialer Sturm der Entrüstung los, als solle eine Null-Promille-Grenze für Gartenzwerge eingeführt werden oder das Bayern-München-Wappen auf die Nationalflagge kommen. Steuererklärungen auf einem Bierdeckel sind des Teufels, Paul Kirchhof ist nicht nur „ein Professor aus Heidelberg“, sondern auch eine Art Finanz-Faschist, der von der Kanzlerin rasch wieder versteckt wird. Und regelmäßig wird gegen „Steuergeschenke“ gewettert, als habe sich das Finanzamt den monatlichen Gehaltsscheck hart erarbeitet und gebe nur aus Kulanz unrunde Restbeträge an den Bürger weiter.

In diesen Tagen wiederum geht ein moralischer Furor über einen Menschen hinweg, der keine Kinder geschändet, keinen Weltkrieg entfesselt und noch nicht einmal über die Dirndl-Tauglichkeit von Bayerinnen gesprochen hat. Uli Hoeneß hat Steuern hinterzogen. Fassungslosigkeit. Wie konnte er uns allen das antun? Selbstanzeige? Ja, ja, aber trotzdem. Die Kindergärten, die von dem Geld hätten gebaut werden können! Die Sozialleistungen, die wegen seiner Gier nicht aufgestockt werden konnten! Schlimm!

Deshalb an dieser Stelle die Pflichtanzeige der deutschen Werte-Papier-Börse: Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. (Wir sind gesetzlich zum Abdruck dieser Erklärung unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt verpflichtet.)

Zwar ist das Schlüpfen durch Steuerlöcher in Deutschland längst Volkssport geworden,

zwar wird in der Steuererklärung der Weg zur Arbeit gern mal um ein paar Kilometer pauschaler Pendelei erweitert,

zwar erfährt der Begriff der Fachliteratur beim Belege-Sammeln oft eine erstaunliche Flexibilisierung,

zwar gilt Barbezahlung von Handwerkern durchaus als Kavaliersdelikt,

zwar ist Steuerverschwendung nicht halb so schlimm wie Steuervermeidung,

zwar gilt die Unschuldsvermutung für „Reiche“ mit Konto in der Schweiz ausdrücklich nicht,

zwar wird das unrechtmäßige Beziehen steuerfinanzierter Sozialleistung völlig ungerechtfertigt und böswillig an dieser Stelle erwähnt,

aber es bleibt immerhin zu hoffen, dass all diejenigen, die durch Datenklau und verkaufte Steuer-CDs zu Millionären geworden sind, ihr Geld nicht auf den Caymans billig bunkern.

Um es kurz zu machen: Die Deutschen zahlen gern Steuern, denn Steuerzahlen ist erste Bürgerpflicht. Zumindest für die anderen. Und für „die Reichen“ doppelt. Vielleicht sollte man das den anderen Europäern sagen bevor wieder mal von der weiteren Vertiefung der europäischen Union die Rede ist. Vielleicht aber auch nicht, sonst verlassen sich die Griechen ganz auf uns…

Steuern: doppelte Moral ist halbe Moral

Februar 7, 2010

Nirgends sind sich die Deutschen so einig, wie beim Thema Steuern: Alle werden zu Unrecht vom Finanzamt ausgenommen, zahlen zu viel, bekommen vom Staat zu wenig Leistung dafür und fühlen sich in der Konsequenz berechtigt, zu tricksen und zu täuschen, was die Anlagen AV bis N der Steuererklärung hergeben. Vom Ändern der zu eng gewordenen Hochzeitshose (Werbungskosten) bis zum letzten Kinderbuch, dass zur Fachliteratur umdeklariert wird, ist Steuer-Poker zum beliebtesten Volkssport noch vor dem Fußball geworden. Und in noch einem Punkt sind sich die meisten Deutschen einig: Wenn Reiche das gleiche tun, ist es verwerflich, eine Sauerei, unsolidarisch und gehört mit allen Mitteln verfolgt – koste es was es wolle.

Nun ist „Alle tun es“ noch kein Argument für Steuerhinterziehung. Aber man darf schon darauf hinweisen, dass jeder, der eine Steuererklärung abgibt, nicht zum Kreis der Ärmsten in der Gesellschaft zählt. Viel spannender ist aber vor allem die Frage, woher diese flächendeckende Illoyalität gegenüber dem Gemeinwesen kommt und wie sie sich so virulent ausbreiten konnte. Die Spur führt ziemlich geradlinig zur Haushaltspolitik.

Nach dem Ende der Wachstumsjahre der alten Bundesrepublik hat sich ein Selbstverständnis in der Politik festgesetzt, dass die Ansprüche der Allgemeinheit von der Haushaltslage abgekoppelt hat. Bestimmte Leistungen müsse der Staat garantieren, ganz gleich, ob er das Geld dazu hat oder nicht. Die alljährliche Neuverschuldung von Bund, Ländern und Kommunen legt Zeugnis davon ab, wie der Anspruchsteil stets hochgehalten wurde, ohne dafür schmerzliche Einschnitte an anderer Stelle verkünden zu müssen. Ganz normales Soll-und-Haben-Management wurde, gestützt auf etliche Theoretiker der Volkswirtschaft, wurde im staatlichen Raum außer Kraft gesetzt und ein Lebensgefühl des „Permanent-Aufwärts“ befördert.

Im Extrem kann man die Folgen übrigens in der „Abschlussbilanz“ der DDR (Schürer-Bericht) nachlesen: Über Jahrzehnte wurde hier so verfahren, als könne man Wirtschaftskraft beschließen – Wohnungen bauen, Bafög für Abiturienten einführen, Rente erhöhen – ohne dass die materielle Deckung dafür vorhanden war. Im Westen entstand vor diesem Hintergrund ein vertracktes Steuersystem, dass immer wieder versuchte die Löcher mit neuen Einnahmen zu stopfen und dabei dem gefühlten Anspruch durch verzwickte Fiskalpflästerchen keine allzu großen Schmerzen zuzufügen: Mobilität mit der „Ökosteuer“ verteuern und gleichzeitig die Pendlerpauschale ausweiten, Kassenbeiträge senken, Beitragsbemessungsgrenze erhöhen…

Konstant geblieben sind in den letzten Jahrzehnten allerdings Anspruchsdenken und Erwartungshaltung der Bürger gegenüber dem Staat. Weil aber trotz der ständigen Erklärungen der Politik über vermeintliche „Entlastungen“ sich auf den Lohnzetteln kaum etwas getan hat – zumindest nicht zum Besseren – sind Staat und Fianzamt mehr und mehr ins Abzocker-Image gerutscht. Ergo ringt jeder auf jede erdenkliche Weise mit dem Fiskus um rauszuholen, was rauszuholen ist. Das Gefühl, „ich habe meine Steuern gezahlt und lebe mit dem Rest“ ist untergegangen in einer Gesellschaft der Quittungsjäger und Belegsammler, der Rechnungsvermeider und Schwarzarbeiter.

Auf schleichende Weise infiltriert sich die verfallende Haushaltsmoral der öffentlichen Hand in die Steuermoral der Bürger. Und hier verhält sich die nötige Moral proportional zum Hinterziehungsbetrag: Mit ein wenig Moral könnte man sich die kleinen Steuertricks verkneifen, aber man braucht einen verdammt massives Ethos, will man der Versuchung widerstehen, Millionen in Sicherheit zu bringen.