Die Großstadt-Guerilla marschiert

Was sagt es aus über eine Gesellschaft, wenn eine Nischen-Splittergruppe aus dem Stand (besser aus der Bauchlage) den Sprung in ein Landesparlament schafft?

Man wird zunächst einschränken müssen, dass Berlin kein Land ist, sondern eine Stadt. Wäre die Fusion mit Brandenburg gelungen, und hätte die Metropole dementsprechend tatsächlich ein Hinterland, so wäre dieser Erfolg der Piratenpartei nicht möglich gewesen.

Die Piraten bringen das Kunststück fertig, im gleichen Partei- und Wahlprogramm einen stärkeren Schutz personenbezogener Daten und eine weitreichende Aushöhlung des Urheberrechts zu fordern. Sie prangern einen „veralteten Begriff“ von „geistigem Eigentum“ an, wollen das Recht auf Privatkopie festschreiben, Ämterdaten frei zugänglich machen, allen Ernstes „Whistleblowerschutz“ per Gesetz festschreiben und halten Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble für das geeignete Pictogramm von „Stasi 2.0“.

Für jeden einzelnen Punkt finden sich sicher geeignete Beispiele, und doch ist es schon einigermaßen atemberaubend, wie leichtfertig hier Einzelinteressen als Berechtigung für Eingriffe ins gesamte Rechtsgefüge angesehen werden. Einerseits macht es sich die Netz-Guerilla zu einfach, wenn sie unterstellt, der Staat sei der größte Orwell’sche Bruder beim Datensammeln, andererseits ist Internet-Kommunismus keine hundert Jahre nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution nun offenbar modern und wählbar.

Anstatt sich gegen das schon heute sichtbare Elend zahlloser Kreativer aufzulehnen, deren Produkte von der Gratis-Unkultur im Netz verschluckt werden, wird das „geistige Eigentum“ nun mit ähnlicher Verve geschleift, wie weiland der materielle Besitz durch die Leninisten. Software-Patente findet der fröhlich-freie „Digital Na(t)iv“ überflüssig, und den „Verpfeiferschutz“ kann nur fordern, wer die umgebende Gesellschaft für ein unnötiges, lästiges und reaktionär-finsteres Netzwerk hält.

Kurz: Die Nische fordert mehr Raum. Eine Truppe, die das Internet mit der Gesellschaft verwechselt, will die Gesellschaft dem Netz anpassen. Es ist ein Philosophie, die vernetzte Kommunikation nicht als Dienstleistung für eine reale Menschenwelt betrachtet, sondern sich die virtuelle Surf-Sorglosigkeit als Vorlage für ein soziales Gewimmel draußen vorstellt. Der Gesellschaftsentwurf, der sich aus den Programm-Rudimenten der Piraten erahnen lässt, schimmert in der schattenlosen Lichtästhetik von Science-Fiction-Laboren und Fantasy-Filmen. Kann das wer wollen?

Übertroffen wird diese programmatische Wirrnis nur durch den eindringlichen Hinweis, man habe sich zu vielen Themen noch keine hinreichende Meinung gebildet, um Antworten parat zu haben. In einer Zeit, da Leerverkäufe an den Börsen geächtet werden, schafft es eine Partei ins Parlament, die Ahnungslosigkeit zum Programm macht. Was sagt es also aus über eine Gesellschaft, die nicht nur Armut sexy findet, sondern offenbar auch Geistesarmut? Lässt man die unhöflichsten Interpretationen einmal beiseite, so kann man der Hauptstadt immerhin Konsequenz und Ehrlichkeit bescheinigen: Wer genauso doof ist, wie man selbst, der eignet sich gut zum Volksvertreter. Außerdem produziert man hinterher keine Enttäuschung, wenn man vorher sagt, dass man keine Ahnung hat.

Im Grunde leuchtet hier aber wohl auch die neue Internet-Informationsgesellschaft herauf, in der sich ein paar Individualisten mit Insel-Interessen zusammentun und sich nicht mit dem Verständnis komplexer gesellschaftlicher Zusammenhänge beschweren. Man muss nicht das große Ganze sehen, sondern nur vor seine eigenen Füße, und da soll es irgendwie schöner und besser sein. Wird schon.

Vielleicht ist die Erklärung für den Erfolg der Piraten aber auch viel einfacher: Immer wieder traf man in den zurückliegenden Wochen (meist junge) Berliner, die im Netz den „Wahlomat“ besucht und entsetzt festgestellt hatten: Mein Werteprofil entspricht der FDP. Da liegt der Wechsel zu den Piraten in der Tat nicht fern. Die Ideenwelt ist ähnlich konfus und bindungslos wie das Auftreten der Liberalen in jüngster Zeit, nur der Name klingt halt besser.

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12 Antworten to “Die Großstadt-Guerilla marschiert”

  1. Karl Eduard Says:

    Programme werden doch völlig überschätzt. Ja, das Programm der Piraten bietet gewiß Widersprüche aber was zählt ist doch die tägliche politische Arbeit. Wo steht beispielsweise im CDU – Programm, Deutschland als Nationalstaat abzuschaffen und die staatliche Souveränität an ein Zentralkommitee in Brüssel abzugeben? Nirgendwo. Praktisch tut die CDU aber nichts anderes. Nun, und die PIRATEN, die tragen zumindest ihre Absicht deutlich und ehrlich im Namen, nämlich die Steuerzahler nach Strich und Faden zu plündern und maximale Beute zu machen, was der Rest der Parteien zwar auch tut aber es mit wohlklingenden Namen tarnt.

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  2. Rika Says:

    Eine ganz wunderbare Glosse zur Berliner Wahl – Glückwunsch!

    Vielleicht gibt es noch eine weitere Erklärung für den überraschenden Wahlerfolg der Piraten:

    Sie machen genau das zum Programm – Ahnungslosigkeit und Geistesarmut -, was „man“ doch schon so lange hinter den Wahlampfleerhülsen der etablierten Parteien vermutet. Die haben zwar ein prima Programm zu allen Fragen des Lebens, bei genauerem Hinsehen entpuppt sich das aber doch zu oft als eine „Leerstelle“, die nur eine Funktion hat, die Leser und Wähler zu beeindrucken.

    Der einzig vernünftige Anspruch der „Piraten“, Politik transparenter zu machen, könnte tatsächlich dem Politikgeschehen gut tun, sofern auch das nicht nur ein leeres Wort ist, um Wähler zu beeindrucken.

    Das Parlament spiegelt die Gesellschaft, warum soll es ausgerechnet im Parlament darum – rein statistisch betrachtet – weniger Dösköppe, Schwätzer und Ahnungslose geben als im großen Rest drumrum?
    Es wäre schön, wenn es anders wäre… aber das ist wohl unter der Rubrik „Wunschdenken“ zu verbuchen.

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  3. Lucki Says:

    Ich habe vier erwachsenen oder fast erwachsendne Enkel, und der Erfolg der Piraten hat mich überhaupt nicht überrascht: Die jugendliche Spaßgesellschaft wählt ihre Spaßpartei, es passt doch alles wunderbar.

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  4. Boris Says:

    Alles Schwachsinn. Jeder, den ich gefragt habe, warum er die Piraten gewählt hat, antwortete mir, weil er den „Großen“ eins auswischen wollte.

    CDU / SPD / FDP / Grüne … überall das selbe Postengeschacher und Karrieristen, die sich nur dann mal um den Wähler bemühen, wenn gerade gewählt wird.

    Insofern sind auch mir ein paar Idealisten mit abwegigen Ideen lieber, als immer die selben Berufsbeamten, die nur Politik machen, weil sie auf eine Pension spekulieren und sonst eine ruhige Kugel schieben.

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  5. Franz Says:

    In ihrem Artikel sind viele richtige Anmerkungen, aber beim Thema SW-Patente würde sich ein genaueres Differenzieren lohnen:
    „..Software-Patente findet der fröhlich-freie „Digital Na(t)iv“ überflüssig..“
    SW-Patente sind (so lange es das URHEBERRECHT für Software gibt, was kein ernstzunehmender IT-Experte abschaffen will) tatsächlich nicht nur überflüssig, sondern innovations- und mittelstandsfeindlich und dienen ausschließlich den Interessen großer Anbieter und der Anwaltszunft.

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  6. abuzibby Says:

    Klar ist in diesem Partei-Wiki der Piraten viel naiver Schwachsinn drin, der so nur aus Berlin kommen kann, Vieles im Parteiprogramm der Piraten erschliesst sich aber nur über Sachverstand. Beispiel Urheberrecht, DRM und Softwarepatente:
    Durch einen Verzicht auf DRM wird das Urheberrecht nicht ausgehölhlt (Recht auf Provatkopie). Eine Einschränkung der Patentierbarkeit von generischen Modellen ist eben nicht schlecht für den Wettbewerb, im Gegenteil (siehe Oracles Patenklagen wegen Java). Eine forcierung von quelloffenen Lizenzmodellen ist ebenfalls weder Enteignung, noch wettbewerbsfeindlich (siehe GNU Public License).
    Nun, die Wal ist gelaufen. Die Katerstimmung der Verlierer ist nachzuvollziehen. Die Piratenpartei muss jetzt zeigen, wie gut sie ihre zentralen Themen in die Tagesordnung bringen.

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  7. Roland Tluk Says:

    Leute hackt doch nicht immer auf den Piraten rum.

    Wir werden sehen, ob Sie es können. Ihre Absichten sind real und gut gemeint.

    Bei den etablierten Parteien sind weder die Absichten gut, noch irgendwelchen Idealen im Dienst.

    Ob die Piraten nun wirtschaftlich versagen, macht die Situation nicht schlimmer als sie ist. Die anderen Parteien können es auch nicht.
    Das sind man schon an den krankhaften festhalten an den EU-Albtraum. Die EU ist schon im Kern aus gescheitert. Fakt ist, die EU schadet der deutschen Republik.

    Und dieses mediale Geblubbe um irgendwelche Ratingagenturen ist doch sowieso nur Humor. Diese Agenturen bewerten die USA mit AAA.
    Wer das noch nicht mitbekommen haben sollte: Die USA ist faktisch pleite und wird nur über einen 0 ZinsesZins dem sterben überlassen.

    Ist doch alles nur eine Witzveranstaltung.

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  8. Gleichklang.de Says:

    Man kann den Piraten nur gratulieren. Sie sind offenbar so etwas wie die Grünen von gestern, die bei weitem besser waren als es die Grünen von heute sind. In Berlin haben sie bereits die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen aufgenommen, was notwendig und richtig ist. Wenn die Piraten sich letztlich auch bundesweit als eine soziale und ökologische Partei konstituieren, dann wären sie für uns alle ein Gewinn. Denn so eine Partei brauchen wir nachdem die Grünen nunmehr eher die Rolle der früheren FDP eingenommen haben.

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  9. Gertje aka Inch Says:

    Schade. Die anfängliche Frage, was das Wahlergebnis über eine Gesellschaft aussagt, war wohl nur retorisch und wird nirgends im Artikel beantwortet. denn stattauf den Piraten rumzuhacken(meine ich jetzt nicht persönlich, passiert ja grad überall) sollten wir uns doch fragen, wie es die Piraten schaffen konnten und warum? Und dann diese Misstände beseitigen

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    • ralfschuler Says:

      Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass sich die Beschreibung der Piraten und ihrer Programmatik hinreichend selbst erklärt und Rückschlüsse auf die Gesellschaft zulässt, ohne sie explizit ausformulieren zu müssen. Die Logik, wonach der restliche Politikbetrieb intransparent, unglaubwürdig und verdorben ist und dem Wähler in Notwehr gewissermaßen nichts anderes bleibt, als einen Haufen Spontis zu wählen, trägt – übrigens gerade in Zeiten des Internets – nicht. Der Wähler ist verantwortlich für die Kandidaten die er wählt.

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      • Torsten Hoffmann Says:

        Das Thema Eigenverantwortung ist allgemein ganz außer Mode gekommen, sei es im Gesundheitswesen, wo suggerieret wird alles und jedes sei für alle und jeden finanzierbar (die unter jeder Regierung jedes Mal ausufernden Kosten belegen regelmäßig das Gegenteil) oder im Verbraucherschutz, wo wir jetzt mit einer Ampel beglückt werden sollen. Bei grün darfst du gehen (essen), bei rot bleibe stehen (meide das Restaurant). Ist halt wie im Kindergarten. Und am Schnüren solcher Rundum-Wohlfühl –Pakete sind Politiker aller Parteien beteiligt, denn sie wollen ja wieder gewählt werden und unangenehme Wahrheiten stören da nur. In einem solchen Kindergarten sind die Spontis, Spaßmacher und die Wünsch-dir-was eben die Könige. Die gehen halt noch ein bisschen weiter in der Realitätsverweigerung als die Grünen und Roten.

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