Teil 4: Schneeketten am Eselskarren

KOPENHAGEN |Bei Kilometer 479 taucht Schweden aus dem Nebel auf. Entweder liegt es an der straffen Maut von 38 Euro, oder es haben gar nicht so viele Dänen und Schweden Grenzverkehr, dass sie die neue Brücke über den Øeresund von Kopenhagen nach Malmö nutzen müssen. Man ist fast allein auf der hängenden Straße, die auf den ersten Kilometern ein Tunnel ist. „Highway to heaven“ möchte man in Abwandlung verschiedener Rocksongs vor sich hin singen, so dicht umhüllen Nebelwolken das hoch aufsteigende Konstrukt. Nur die eher irdische Fortbewegung mit dem Auto verhindert das Abdriften in allzu kitschige Himmelsphantasien.

 Im Grunde passiert nichts Großartiges beim Befahren dieser Endlosbrücke, und dass am Ende die Bezahlschleuse kommt, hat ebenfalls eine ziemlich handfeste, materielle Bewandnis. Und doch ist es etwas seltsam Berührendes, wenn sich aus dem Nebel die Umrisse des Festlandes herausschälen und von grauen Weichbildern zu klaren Konturen werden. „Natürlich lasse ich meine geheimnisvollen Helden auch nicht einfach so angelaufen kommen“, hatte Thomas, der Puppenspieler, gesagt. Nebel oder Dunkelheit sind auch für ihn die besten Mittel, um eine Gestalt zu überhöhen, ihr eine größere, mächtigere Bedeutung zu geben.

So gesehen, klingt es schon ziemlich logisch, dass Santa Claus aus der Polarnacht angereist kommt und nicht aus Rotenburg/Wümme. Merke: Mythengestalten kommen nicht aus der Nachbarschaft – selbst oder gerade dann nicht, wenn sie nicht von gestern, sondern eher von heute sind. Es muss eine Gegend sein, über die die meisten Menschen nicht viel wissen oder von der sie zumindest keine allzu genauen Vorstellungen haben. Sonst ist der Zauber dahin.

Und eine ganz praktische, verkehrslogistische Seite hat die Geschichte auch noch: Käme der gute Nikolaus Weihnachtsmann wie seine Vorlage noch immer aus Myra, wäre er zweifellos nicht mit einem Schlitten unterwegs.

Da aber der Mützenmann-Mythos im konsumfreudigen Nordwesten der Weltkugel seinen Anfang nahm, war am Ziel- und Auslieferungsort ein etwas veraltetes Verkehrsmittel wie der Schlitten durchaus plausibel.

Warum den guten Mann also in einer Gegend ansiedeln, die von der Sonne gut ausgeleuchtet, damit wenig geheimnisvoll ist? Eine dünne Kutte würde er in Myra vermutlich tragen, statt gewichtiger Stiefel und Lodenmantel. Und warum ihm obendrein noch beim Eintreffen am Zustellort das Aufziehen von Schneeketten an seinen Eselskarren auf- erlegen? Der gute alte Original-Nikolaus passte, kurz gesagt, nicht in die Zeit. Und meine Nordroute ist, – allen Zweifeln zum Trotz – eine heiße Spur. Selbst wenn’s draußen kalt wird.

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3 Antworten to “Teil 4: Schneeketten am Eselskarren”

  1. Иосиф Виссарионович Джугашвили Says:

    Ein wunderschöner Reisebericht, Meister Schuler!
    Winzige Korrektur: Rotenburg an der Wümme, Sitz einer der größten Nervenheilanstalten Deutschlands, konnte sich sich kein „h“ nach dem „t“ leisten. Das andere Rothenburg liegt ob der Tauber, wo immer das sei.
    Herzliche Grüße aus der Heide!

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    • ralfschuler Says:

      Bolschoie spassibo, towarisch Dschugaschwili, völlig korrekt, ist schon korrigiert. Hoffentlich komme ich jetzt nicht in die Blog-Lubjanka. Womöglich kommt ja Joachim Witt („Der goldene Reiter“) aus Rotenburg/Wümme, wenn es da so tolle Klapsen gibt….

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  2. Felix Says:

    Interessanter Post. Würde gern mehr Blogposts zu der Thematik lesen.

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