Blender, Trixer, Täuscher: Wir Guttenbergs

Ein paar „vergessene“ Fußnoten und vereinnahmte Zitate in akademischen Arbeiten, zu „Auslandssemestern“ aufgepustete Studienreisen, Praktika bei der Zeitung als „freier Journalismus“ – jeder kennt solche Kreativ-Lebensläufe und die meisten machen es genauso. Die „Enthüllungen“ über Karl Theodor zu Guttenberg gehen weiter, und sie offenbaren viel mehr als die kleinen Retouchen eines ehrgeizigen Menschen, der weiß, dass er gut ist und es auch zeigen will. Was hier unversehens ins Licht der Öffentlichkeit gerät, ist das flächendeckende Prinzip der Blender, Trixer und Täuscher, des schönen Scheins und der plastischen Vita-Chirurgie.

Vor allem die Ossis mussten nach der Wende lernen, ich zu sagen, wo eigentlich Gruppen am Werke waren. „Ich drehe gerade einen Spielfilm…“ – mit 200 Leute am Set. „In meiner Show…“ treten die Stars auf, und „Ich habe Ruhrstahl saniert…“ Das in der DDR verpönte „Ich“ trat auf einmal in der übersteigerten Selbstdarstellung der bundesdeutschen Konkurrenzgesellschaft ins graue Ostelbien und hielt nur in seltenen Fällen, was es zu sein versprach.

„Ich spreche Englisch“ ist die Standardwendung für Fremdsprachenkenntnisse, bei der ich noch heute zusammenzucke. Ich habe keine Probleme auf der Weltklima-Konferenz und kann die Taiwan-Frage international erörtern, und doch fehlen mir bei amerikanischen Sitcoms mitunter ganze Sätze. Spreche ich also Englisch? Wer mal Gitarre gelernt hat, nennt sich Gitarrist, und die Thematiken mancher Master-Arbeiten, die ich im Laufe der Zeit gesehen habe, degradieren den akademischen Betrieb zum Feuilleton mit Fußnoten.

Eigentlich müsste angesichts der Guttenberg-Enthüllungen beträchtliche Hektik ausbrechen im Lande: Web-Seiten mit Lebensläufen müssten diskret überarbeitet, Bewerbungsmappen stillschweigend redigiert und vermutlich müsste auch das Bundestagshandbuch rasch einer kritischen Sichtung unterzogen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass für die Aussicht auf schöne Scheine der schöne Schein ein wenig heruntergedimmt wird, ist allerdings nicht sehr groß. Vielleicht sollte nur die Herablassung gegenüber den Guttenbergs ein wenig gedämpfter ausfallen.

Ein Gutes hat die Affäre freilich: Ossis, die ehedem stets beklagten, ihre Biographien würden wegen „kleiner Jugendsünden“ wie etwa Bespitzelung und Anschwärzens entwertet, müssten jetzt zufrieden sein. Es gibt noch Gerechtigkeit im Lande – unter Wessis reichen schon unterschlagene Fußnoten, um von der großen Bühne zu stürzen.

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8 Antworten to “Blender, Trixer, Täuscher: Wir Guttenbergs”

  1. Kathrin Brunner-Schwer Says:

    stimmt!
    würden sie, herr schuler, diesen beitrag bitte auch auf der schnüffelhetz-seite guttenplag-wiki veröffentlichen. andererseits: was würde es nützen? ich fürchte… nichts.

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  2. Patricia Says:

    Wie armselig ist diese Hetzjagd von selbsternannten Sachverständigen, die selbst zum Großteil niemals eine akademische Arbeit in Angriff nehmen würden. Oder eine mündliche Doktorprüfung bestehen – oder soll die auch jemand anderes für ihn gemacht haben, ohne dass es die Prüfer merkten? Wer von diesen hämischen Aasgeiern würde so eine Arbeit und Prüfung hinbekommen, nebenbei arbeiten und sich um kleine Kinder kümmern?
    Mir geht es nicht darum, ob es Guttenberg, der Kaiser von China oder der Obdachlose von nebenan ist. Ich finde Abschreiben auch nicht gut. Ich bin Autorin und mag es auch nicht wenn meine Texte geklaut werden. Die Sachverständigen werden zu einer Einschätzung und einem Urteil kommen, und das ist in Ordnung.
    Nicht in Ordnung finde ich das Verhalten der bellenden und geifernden Meute, die sich daran aufgeilen, ohne Ahnung zu haben. Wieviele davon haben in der Schule nie abgeschrieben? Und man sage nicht, das sei was anderes. Ist es nicht. Wieviele davon haben nie bei der Steuererklärung getrickst? Auch das ist nichts anderes. Es ist vorsätzliche Täuschung.
    Vor allem aber haben sie keine Ahnung von der Materie. Wenn jemand den Blinddarm herausgenommen haben muss, kommt auch nicht eine Meute von Sonntagssurfern und setzt das Messer an.
    Sollte Guttenberg (mit Vorsatz) betrogen haben, ist das verwerflich. Nicht minder verwerflich ist diese Art von Vorverurteilung in einem Rechtsstaat. Selbstjustiz ist immer noch verboten.
    Und wenn sie schon stattfinden muss, dann möge man diese Maßstäbe auch auf alle anderen ansetzen. Da dürfte man jahrzehntelang zu tun haben. In allen Parteien. Und auch bei den Jägern im Netz, die so laut, selbstgerecht und oft genug in fehlerhaftem Deutsch mit dem Finger zeigen.
    Und niemand sage mir: „Jaaa…aber der ist eine öffentliche Person mit Verantwortung, der muss ein Vorbild sein“: Richtig. Aber jeder, jeder einzelne der sich zum Richter ernennt, hat in seinem eigenen kleinen Umkreis ebenso Vorbild zu sein. Und wenn er nur den Briefträger kennt.

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  3. Bendolino Says:

    Gott behüte uns vor Politikern, deren Vita tatsächlich so lupenrein ist, wie sie selbst behaupten.

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  4. G.-P. Rosetti Says:

    Hallo, Herr Schuler, diesen Beitrag hatte in einem anderen Blog veröffentlicht. Ich denke aber, er passt ganz gut zu diesem Thema. Ich gebe ihn in leicht modifizierter Form wieder:

    Was mir an dieser Affäre auffällt, ist das Verfahren: Wenn Plagiatsvorwürfe auftauchen, sollten sie zunächst geprüft werden – was u. U. dauern kann, da gewisse Textübereinstimmungen nicht immer ein „Abschreiben“ bedeuten. Der Juraprofessor hatte aber nichts besseres zu tun, als gerade diese Indizien auf unkorrektes Verhalten vor Ende des Verfahrens zu veröffentlichen – und zwar zu einem Zeitpunkt unmittelbar vor der ersten wichtigen Wahl in diesem unserem Lande (Hamburg).
    Wenn es wirklich ausschließlich um die Sache wissenschaftlicher Korrektheit gegangen wäre, hätte ein internes Prüfungsverfahren eingeleitet werden müssen, an dessen Ende u. U. schließlich Aberkennung des akademischen Grades gestanden hätte.
    Das ganze erinnert mich doch stark an die Affäre Barschel/Engholm. Barschel hatte nachgewiesenermaßen Engholm bespitzeln lassen. Dieser wusste aber schon früh davon, hatte sich aber erst in der heißen Wahlkampfphase überrascht, verletzt und empört gegeben. Sein wahlkampftaktisch perfektes Timing kostete ihn später das Amt des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein. (Freiwilliger Rücktritt).
    Jener Juraprofessor, der die Plagiate aufdeckte und veröffentlichte, gehört zu den kritischen Juristen (m.W. eine recht stark linkslastige Vereinigung) und ist Vertrauensmann Berater der Friedrich-Ebert-Stiftung.
    Es scheint daher nicht ganz so abwegig, dass der Befund auch als Wahlkampfmunition sehr willkommen ist.
    Immerhin wurde der Freiherr ja von Anfang an kritisch beäugt, damit ja kein Pickel auf der glatten Haut des beliebten Sunnyboys verborgen bleibt. Schließlich ist er (noch) der Schrecken der Oppositionsparteien.
    Honi soit qui mal y pense …

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  5. Budi Says:

    alles nur von der Gegenseite, nach etwas Gutten…..muß mal wieder einer von der Seite, dann wieder einer von der anderen Seite daran glauben, jeder hat Dreck am Stecken, je weiter oben um so schlimmer. Das hat mal unser FDJ Sekretär gesagt, so einer wie Frau Kanzlerin…………

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  6. RB Says:

    Ich finde diese Hetzjagd widerlich. Diese Selbstgerechten, die sich jetzt über Herrn Guttenberg stürzen, jaja, etliche Wahlen stehen vor der Tür,
    da ist es nur zu schön, etwas gefunden zu haben, worüber sich die Meute und Masse empören kann.

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  7. ossi Says:

    Ja, man merkt, dass es letzte woche keine breitzutretenden weltnachrichten gab. also kam die gutenberggeschichte gerade recht. es ist wirklich abscheulich, wie die presse solche geschichten ausschlachtet. telefonumfragen, „soll gutenberg abtreten,.. ist er noch tragbar?“ da krümmen sich einen die fingernägel. antworten vom wissenden volk! harz IV empfänger, die zeit haben auf ihre 5 euro mehr zu warten und am frühen nachmittag eben mal schnell im radio anzurufen und die arbeitende bevölkerung zu beschimpfen und des versagens zu betiteln. haben wir keine wirklichen probleme mehr? nein, die nachkriegszeiten, wo jeder um essen, trinken und haushalt kämpfen musste und sich deshalb das gehirn zermatterte, ist vorbei. jetzt gibt es „brot“ vom staat und es werden wohl zum zeitvertreib künstliche probleme geschaffen. zum beispiel die doktorarbeit von zu guttenberg. überlebenswichtig!?
    ja – für die presse zum ausschlachten und die, die den sozialtopf auffüllenden dummen und den immer untauglichen politikern die meinung geigen wollen.
    was zählt denn heute ein doktortitel, wenn man diesen eh kaufen kann? hut ab vor denen, die es noch mit selberschreiben versuchen. und vergessene fußnoten kennen wir doch (fast) alle aus dem studium. arbeit ist es doch schon, die textstellen zu finden und zu selektieren,… oder?
    ich würde verstehen, wenn der hass derer, die den arbeitsumfang einer dissertation gar nicht kennen, sich nun gegen den „erschlichenen“ doktortitel richtet (was ja noch nicht einmal geklärt ist). aber wieso gegen das ministeramt? „der zehnagel ist kaputt,.. wir müssen bis zum knie amputieren“?????

    es erstaunt mich immer wieder, wie mobil doch unser deutsches völkchen werden kann. nur,.. wirklicher politischer unsinn wird einfach kurz bejammert, dann abgenickt und hingenommen. da sollen keine köpfe rollen, weil es ja arbeit machen könnte diese abzuschlagen.

    es lebe die pressefreiheit und diejenige, die darauf abfahren!

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  8. Aristipp Says:

    @ossi
    „[…]sich nun gegen den „erschlichenen“ doktortitel richtet (was ja noch nicht einmal geklärt ist). aber wieso gegen das ministeramt?“

    Weil es um moralische Integrität geht. Wäre Angela Merkel noch lange Bundeskanzlerin wenn ihr der Doktortitel aberkannt würde? Vielleicht, aber bestimmt kein zweites Mal. Es braucht eine gewisse Kaltschnäuzigkeit und Ignoranz um sich über die akademischen Regeln zur Erstellung von Arbeiten hinwegzusetzen und zeigt was der Betreffende von diesen Regeln hält; ob und wie das das dem Amt eines Verteidigungsministers schadet und ob es genügt diesen zu diskreditieren, wird und soll der Wähler zusammen mit der öffentlichen Meinung entscheiden und das ist auch gut so.

    @RB
    solange die Selbstgerechten selber guten Gewissens den ersten Stein werfen können, ist Selbstgerechtigkeit immer noch Gerechtigkeit.

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