Blender Mainstreaming

Manchmal ist da wieder diese Urangst. Andere träumen davon, nackt in der Fußgängerzone zu stehen und nicht fortzukommen. Ich sehe mich in der DDR-Schule sitzen. Wie die Lehrerin auf und ab geht und sich die Mädchen umgedreht haben: „Warum willst du der Gesellschaft nichts zurückgeben?“, fragt die Frau, die eigentlich für Deutsch zuständig ist, jetzt aber klären will, warum alle anderen Jungs als Unteroffiziere auf Zeit zur Nationalen Volksarmee gehen nur ich nicht. „Oder willst du etwa den Sozialismus nicht verteidigen?!“

Die einzige Strategie dagegen war Schweigen. Einfach nichts sagen, dasitzen wie ein menschenunwürdiger Pudel, aber eben auch nicht zustimmen. Irgendwann würde es klingeln, und man konnte rausrennen in die Straßen mit den Fahnen und den Spruchbändern, wo manche, die genauso dachten, zur Selbstverteidigung in den Hetzchor einstimmten oder einfach nur schwiegen, um nicht selbst in die Schusslinie zu kommen. Bis zur nächsten „Mitgliederversammlung“ oder dem Treffen mit Offizieren der Paten-Kaserne.

Nein, ganz so schlimm ist es heute nicht, und doch frage ich mich machmal, wie in all der Freiheit dieser Gleichschritt der Meinungen durch den Alltag marschiert, der einen wieder zum Außenseiter macht, wenn man zweifelt, dass die Mehrheit recht hat. Ein harmloses und doch bezeichnendes Beispiel ist das Dosenpfand. Dabei ist das Interessanteste an der 2003 eingeführten Abgabe in Deutschland noch nicht einmal die absurde Logik, wonach eine missliebige Verpackung in Abhängigkeit vom Inhalt zurückgebracht werden muss oder weggeworfen werden kann. Das Exemplarische des Dosenpfands liegt im nicht zu durchbrechenden Konsens aller Gutmeinenden es einzuführen. Angesichts des zwanzigsten Tages der Einheit ein schöner Anlass, sich Gedanken über die Bildung der öffentlichen Meinung damals und heute zu machen.

Dass gegen die rasante Verbreitung von Einwegverpackungen etwas unternommen werden müsse, war vor der Einführung breiter Konsens. Die heutige Kanzlerin hatte in ihrer Zeit als Umweltministerin ebenfalls damit  geliebäugelt und gedroht. Die öffentliche Debatte drehte sich im Vorfeld nahezu ausschließlich um Pro oder Contra Dosenpfand. Über die Tauglichkeit des Instruments wurde nicht gestritten. Der Autor dieser Zeilen hat die Frustration noch gut in Erinnerung, wie einsam und als gestrig belächelt man damals beiseite geschoben wurde, wenn man auf die schlichte Logik hinwies, dass ein Pfand zum Zurückbringen hinterlegt wird, nicht zum Abschrecken oder Vermeiden. Andernfalls hätte die klassische Bierflasche ja seit Jahrzehnten unter Akzeptanzproblemen leiden müssen. Heute hat Deutschland die höchste Einwegquote der Nachkriegsgeschichte, die Metalldose feiert gerade ihren Wiedereinzug in die Ladenregale, und die bepfandeten PET-Flaschen werden nach der pflichtgemäßen Rückgabe meist sofort geschreddert. Ein milliardenteurer Unfug für den Einzelhandel und ein umweltpolitischer Rückschlag erster Güte.

Beispielhaft an diesem Vorgang ist der Mainstream-Meinungsmechanismus dahinter. Unter maßgeblicher, wenn nicht gar entscheidender Mitwirkung der Medien entstehen unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft Meinungsblasen durch Mehrheiten, die von tiefergehender Sachkenntnis nicht mehr anzufechten sind. Die Liste solcher Effekte ist lang und eindrucksvoll. So verfestigte sich Anfang des Jahrtausends auf diffuse Weise der Eindruck, dass Internet irgendwie wichtig und die Zukunft sei. Das Ergebnis dieser in der Breite (und auch in den Spitzen von Medien und Wirtschaft) eher unreflektierten Euphorie war die New-Economy-Blase. Web 2.0 und „Second Life“ wurden als der Trend schlechthin ausgerufen und skeptische Nachfragen als Ausweis der Zugehörigkeit zu einer absterbenden „Nutzer-Kohorte“ disqualifiziert.

Der „Early Adopter“, der rasch alles Neue annimmt, ist nicht mehr nur eine neutrale Charakterbeschreibung jugendlicher Unbekümmertheit im Umgang mit Computern, Handys und anderem Digital-Gerät, sondern ein Positiv-Prädikat für zügiges Mitlaufen im mehrheitlichen Meinungsstrom. Nach dem gleichen Schema gilt heute die Gemeinschaftsschule als Ultimo der Bildungsmoderne – unabhängig von Rahmenbedingungen und Ausstattung. Die Liberalisierung von Ladenöffnungszeiten (von Medienleuten maßgeblich betrieben und druckvoll unterstützt) und die allgemeine Flexibilisierung der Arbeitswelt führen dazu, dass trotz vorhandener Einkommen Familienleben in immer weiteren Kreisen kaum noch zu organisieren ist und der staatliche Reparaturbetrieb Schule mit den Folgen schon lange nicht mehr klarkommt.

Trotzdem ist gegen den Mahlstrom vermeintlicher Modernität nicht anzukommen. Die „Schere zwischen Arm und Reich“ öffnet sich hierzulande seit Jahren, und es geht inzwischen sogar so weit, dass die Potsdamer Stadtverwaltung den Zuzug von Wohlhabenden als Problem beschreibt: Weil die Schere zwischen Arm und Reich sich damit weiter öffnet. Und niemand schreit auf gegen diesen Wahnsinn! Statistisch ist das richtig, in der Realität aber ändert sich für Arme nichts, außer, dass mehr Steuern reinkommen.

Femi-Sprech hat sich weitgehend durchgesetzt, obwohl im Grunde jeder weiß, dass der Satz „Frauen sind die besseren Autofahrer“ nur in dieser politisch unkorrekten Form funktioniert, weil das grammatikalische Geschlecht mit dem biologischen im Deutschen eben nicht deckungsgleich ist. Dass die derzeitige Praxis der Rentenberechnung die ostdeutschen Ruhegeldempfänger bis heute bevorteilt (wegen der künstlichen Hochrechnung der Bezüge), kann gegen den Slogan von der „Angleichung der Ostrenten“ nicht konkurrieren. In der Sarrazin-Debatte brach sich in der deutschen Medienlandschaft ein weitgehend argumentfreier Empörungsstrom bahn, obwohl nahezu alle Statistiken und wissenschaftlichen Ansätze des Noch-Bundesbankers kritischer Überprüfung standhielten. Dahinter steht ganz offensichtlich ein Weltbild von Positiv-Pädagogik, nach dem einzelne gesellschaftliche Gruppen in ihrer Problemhaftigkeit nicht benannt werden dürfen, weil sie sonst zornig werden. Selbst wenn die Fakten zutreffen.

Besieht man sich das Muster dieser völlig freien Bildung von Meinungs-Haufenwolken, so ist es ein grandioses Plädoyer für die repräsentative Demokratie: Sie sollte die großen Meinungsströme der Gesellschaft aufnehmen und mit Hilfe des Weitblicks wissenschaftlicher und anderer Eliten darüber hinaus gehen, um schließlich werbend mit den besten Lösungen in die Gesellschaft zurück zu wirken. Zu beobachten ist gegenwärtig ein eher gegenläufiger Trend der populären (und populistischen) Abgabe gestalterischer Verantwortung durch möglichst niederschwellige Bürgerbeteiligung in Form „direkter Demokratie“ und stimmungsgetriebener Standpunkt-Flexibilität (siehe „Stuttgart 21“) nach dem Motto: Wenn ich auf dem Standpunkt des politischen Gegners stehe, hat er keinen mehr. Und meinen behalte ich trotzdem. Ein Kapitän, der immer vor dem Wind segelt, kommt auch irgendwann an. Irgendwo.

Und irgendwann steht man nackt in der Fußgängerzone und kann nicht mehr fliehen. Im Vergleich zum Klassenzimmer in der DDR ist das immerhin schon ein kleiner Fortschritt.

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20 Antworten to “Blender Mainstreaming”

  1. Roland Ziegler Says:

    Sagen Sie mal, Herr Schuler, kann es sein, dass bei Ihnen gerade Ossi-Leberwurst angesagt ist? Wenn man Ihrer Argumentationen nicht folgen will, ist man argumentationslos, unwissenschaftlich und empört?

    Also wenn Sie in der Fußgängerzone nackt dastehen, machen Sie bitte anderen Fußgängern keine Vorwürfe, dass man Ihrem Beispiel nicht folgen will.

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    • ralfschuler Says:

      Nun ziehen Sie sich doch nicht jede Jacke an, die irgendwo rumhängt. Das Dosenpfand ist Unsinn, und über Sarrazin haben wir uns doch prima ausgetauscht. (Obwohl ich mich über die SPD schon ein wenig wundern muss, die Sarrazin ausschließen will, aber mit Ausländer-Raus-Parolen hantiert. Das hat selbst Sarrazin nicht gefordert.)
      Hier geht es um meine Verwunderung darüber, wie unter den Bedingungen völliger Meinungsfreiheit ebensolche entstehen die „vorherrschen“. Meine Theorie wäre, dass in diktatorischen Regimen staatliche Verlautbarungen grundsätzlich angezweifelt werden. Was im Neuen Deutschland stand glaubten nicht mal die Genossen. Heute, da jeder sein Lieblingsmedium konsumieren kann, leidet die Anzweiflungslust ein wenig. So eine schlimme These ist das nun auch wieder nicht.

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  2. Roland Ziegler Says:

    Ihre These ist nicht schlimm. Nur Ihrem Bild mit Ihnen in der Fußgängerzone konnte ich nicht widerstehen…

    Was die These angeht: Im Idealfall führt Meinungspluralismus ja nicht dazu, dass alle Meinungen gleichberechtigt und in gleicher Vernehmlichkeit nebeneinander stehen bleiben. Das wäre ja noch viel langweiliger als eine vermeintl. herrschende Meinung zu attakieren.

    Nein, ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Meinungen kann nur annehmen, wer eine Art Wahrheitsrelativismus vertritt. Man sollte stattdessen davon ausgehen, dass sich herrschende Meinungen auch deshalb herauskristallisieren, weil sie richtig sind. Nicht immer, aber immer öfter. Z.B. im Fall der Überzeugung, dass die Erde eine Kugel ist. Oder dass gerade eine Klimaerwärmung stattfindet.

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    • ralfschuler Says:

      Um die Sache mit der Erdkugel zu begreifen hatten wir allerdings auch schon etwas Zeit. Womöglich braucht auch das Dosenpfand mehr als eine Generation. Was die Klimaerwärmung betrifft, ist im Grunde ja nur umstritten, ob sie menschengemacht ist oder nicht. Hier zeigt sich allerdings, dass wir vermutlich keine Zeit haben werden, darüber den letzten Aufschluss abzuwarten, weil es dann für Gegenmaßnahmen definitiv zu spät ist.
      Grundsätzlich, das gebe ich an dieser Stelle unumwunden zu, misstraue ich aber Mehrheitsmeinungen. Motto: Die Mehrheit ist immer dümmer als die Klugen.
      Ring frei zum Draufhaun.

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  3. Roland Ziegler Says:

    Die Klugen sind nicht deshalb so klug, weil sie die Wahrheit kennen. Sondern eher weil sie Wege in die richtige Richtung kennen, auf denen auch andere gehen können. Kluge können ihre Standpunkte gut begründen, notwendige Fragen stellen und vernünftige Antworten finden.
    Wozu machen sie das? Um sich selbst, v.a. aber den anderen Rechenschaft abzulegen. Je besser sie das machen, desto desto mehr können ihnen folgen. Dann kommt die Mehrheit am Gemeinplatz an, und der Kluge ist womöglich schon weitergegangen. Aber das heißt nicht, dass der Gemeinplatz falsch ist, dass man dem Klugen immer folgen kann oder dass es keine Rattenfänger gibt.

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    • ralfschuler Says:

      All das habe ich nicht gesagt: Es gab kurz vor Ende der DDR ein Experiment in einer Zeitung. Es hieß Schach dem Großmeister oder so ähnlich. Dabei sollten die Züge gegen einen Großmeister gesetzt werden, die auf den meisten Leser-Einsendungen vorgeschlagen waren. Es endete Matt in zwei oder drei Zügen für den Meister. Und wenn man genauer drüber nachdenkt, war das völlig logisch: Die Mehrheit ist schlauer als die Deppen, aber nicht so klug, wie die Genialen. Deshalb ist die repräsentative Demokratie in meinen Augen die logische Konsequenz. Nicht die Basis-Demokratie.

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  4. Roland Ziegler Says:

    Dagegen ist nichts einzuwenden. Ein schlechter Zeitpunkt der Abstimmung – und schon hat man wieder die überwunden geglaubte Barbarei der Todesstrafe. Dass Kluge klüger als die Mehrheit sind, ist sogar eine analytische (apriorische) Wahrheit.

    Aber kein Argument gegen politische Gemeinplätze. Die können auch richtig sein. Kluge können wie gesagt Mehrheitsmeinungen wie eine Avantgarde hinter sich herziehen. Nehmen wir ein kontroverses Beispiel. Die Grünen haben in ihrer Gründerzeit als einzige die Risiken der Kernkraft und der globalisierten Profit-Optimierung analysiert. Dieses Alleinstellungsmerkmal macht ihren Erfolg bis heute aus.

    Inzwischen sind ihre Inhalte in Deutschland zum Gemeinplatz geworden. International bzw. global gesehen sind sie eher eine exotische Mindermeinung. Jede These, jeder Gemeinplatz erzeugt die Bemühungen der Falsifikation. Bislang haben die Grünen diese Falsifikationsbemühungen ganz gut überstanden. Daraus kann man ein Indiz gewinnen: nämlich dass diese Gemeinplätze richtig sind. Ganz ähnlich wie mit der Kugelform der Erde.

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    • ralfschuler Says:

      Die beiden von Ihnen angeführten Thesen würde ich eher zur Bestätigung meines Ansatzes heranziehen. Die Gefahren der Kernenergie sind heute selbst unter Gegnern viel weniger Argument für den Ausstieg. Dagegen ist unter Fachleuten weitgehend Konsens, dass die Technik beherrschbar ist. Deshalb führen die Grünen inzwischen Terror, Endlager und Behinderung der erneuerbaren Energien ins Feld. Und gegen „Profit-Optimierung“ zu Felde zu ziehen ist etwa so, als wollte man 100-m-Läufern erklären, sie sollten den zweiten Platz anstreben. Dass der Markt reglementiert sein muss, ist dagegen ein Gemeinplatz, den auch dessen aggressive Teilnehmer nicht bestreiten, weil sie nicht unfair totkonkurriert werden wollen. Was die Grünen inzwischen allerdings gelernt haben, ist der Fakt, dass man durch Einbeziehung der Umwelt in Marktmechanismen dieselbe viel besser schützen kann. Siehe Auto-Waschanlagen statt Einzelwäsche vor dem Haus, Emissionshandel etc.
      Aber wie bei jeder These, gilt auch für meine, dass in diesem Universum alles seine Ausnahmen hat. Also: Auch Mehrheiten sind mitunter vor richtigen Einsichten nicht gefeit. Dass ich Mehrheitsmeinungen grundsätzlich misstraue, kriege ich aber so schnell nicht aus den Knochen. Ist ja auch ein recht produktiver Ansatz. Was andere schon denken, kann man schließlich ohne große Mühe immer noch übernehmen. Erstmal dagegen zu denken, bringt die Dinge weiter.

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  5. Roland Ziegler Says:

    Dachte ich mir schon, dass Sie dieses Beispiel anders bewerten würden. Die Müll- und insb. Endlagerproblematik mitsamt den ins Unendliche gehenden Kosten ist ein Argument, das von Anfang an von den Grünen eingebracht wurde und immer noch stichhaltig ist. Anfangs wurde es heftig bestritten, mittlerweile ist es fast schon Konsens. „Globale Profit-Optimierung“ markiert das blinde Losrennen auf einer unendlichen Strecke und die dabei entstehenden Kollateralschäden von Urwaldabholzung bis Immobilienblase. Das ist kein 100m-Lauf, sondern ein endloser Lauf, der überhaupt erstmal strukturiert werden muss, ja, und nichts anderes fordern die Grünen seit ihrer Gründung. Heute ist es mehr oder weniger zum Gemeinplatz geworden.

    Bei Ihrer Elitentheorie sollten Sie bedenken, dass sie nicht sehr demokratisch ist. Auch eine repräsentative Demokratie hängt von Mehrheiten ab. Mehrheiten wollen gewonnen, d.h. überzeugt werden. Um das zu schaffen, muss man neue Gemeinplätze schaffen.

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    • ralfschuler Says:

      Die Nützlichkeit von mehrheitsfähigen Gemeinplätzen für das Funktionieren des Gemeinwesens würde ich auch gar nicht bestreiten. Nur der Weisheit letzter Schluss sind sie meist nicht. Demokratie ist ja keine Methode zum Durchsetzen der Wahrheit, sondern zur Herstellung von Akzeptanz der Entscheidungen. Wenn diese in einem transparenten und akzeptierten Verfahren zustande gekommen sind, beugt sich die unterlegene Minderheit statt einen Bürgerkrieg zu beginnen. Das ist zugegebenermaßen ein großer Vorteil. Man kann aber nie ausschließen, dass die Mehrheit zu langsam begreift, um rasch genug reagieren zu können oder auch überhaupt nur begreift. Ich gehe zum Beispiel nicht davon aus, dass es ohne existenzielle Bedrohung zu tatsächlich wirksamen Klimabeschlüssen auf internationaler Ebene kommen wird, weil die Interessen zu unterschiedlich und demokratische Mechanismen unter Staaten viel zu langsam funktionieren.
      Deshalb beschäftigt mich die Frage nach der Demokratie nicht so sehr, notfalls gehen wir halt gemeinsam unter. Trotzdem würde ich gern versuchen, tiefer zu blicken als die Mehrheiten. Den Anspruch kann man ja haben.

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  6. Roland Ziegler Says:

    Dem kann ich uneingeschränkt zustimmen und verbleibe mit herzlichen Grüßen.

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  7. max Says:

    Lieber Herr Schuler, als Schweizer sehe ich naturgemäss Ihre Bevorzugung der repräsentativen Demokratie etwas anders. Die Vorteile, die Sie beschreiben, sind eigentlich keine, sie sind eine reine Idealisierung. Sollten Sie das nicht glauben, empfehle ich Ihnen die auf Youtube verewigten Interwiews mit deutschen Bundestagsabgeordneten vor der Abstimmung über die EU-Verfassung. Die romantische Vorstellung, dass es besser sei, diffizile Entscheidungen besser informierten zu überlassen, wird dort aufs trefflichste widerlegt. Im Uebrigen geht es in einer direkten Demokratie mitnichten ums „rechthaben“ oder die ewig bekrittelte Stimmbeteiligung. Es geht schlicht darum, dass jedermann die Möglichkeit hat, mitzubestimmen, da er ja die Konsequenzen der Entscheidung tragen muss. Das mangelnde Verständnis für direkte Demokratie in Deutschland mag aber vielleicht auch im unterschiedlichen Menschenbild liegen, das unsere beiden Länder haben. Unseres ist das eines des souveränen Bürgers und eines subsidiären Staates, Ihres ist das des Nannystaates und der Untertanen. Das mag provokativ sein, Sie mögen sich diese Qualifizierung durch einen Ausländer verbeten, aber ist meine Behauptung so unwahr? Für eine Antwort wäre ich Ihnen dankbar.

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    • ralfschuler Says:

      Lieber Herr Freuler, wir sind vermutlich gar nicht so weit auseinander. Beim Nannystaat würde ich Ihnen nicht widersprechen. Allerdings glaube ich, dass die Mehrheit der Deutschen noch viel mehr Rundumversorgung wählen würde, wenn man sie im Volksentscheid darüber abstimmen ließe. Insofern kommt man mit beiden Spielarten der Demokratie, der direkten wie der repräsentativen, zu ähnlichen Ergebnissen. Die Deutschen möchten, dass der Staat für sie alle Probleme löst und sie gleichzeitig nicht mit den Folgen (Kosten etc.) behelligt. Das Problem scheint mir zu sein, dass die Deutschen sich selbst als klein, schwach und betreuungsbedürftig sehen. Historisch betrachtet, ist das vermutlich die bessere Variante im Vergleich zur gegenteiligen Stimmungslage.

      Dass man in Deutschland etwas mehr Sorge um die geistigen Strömungen der „Untertanen“ hat, ist – glaube ich – historisch nicht ganz unbegründet. Am letzten unschönen Feldversuch „durfte“ ich 25 Jahre lang teilnehmen. Und wenn Sie einmal inmitten einer im Gleichschritt marschierenden Gesellschaft gelebt haben, bekommt der Glaube an die Weisheit der Menge doch einen gewissen Knacks. Man darf auch nicht vergessen, dass Hitler nicht unter Repression gewählt wurde und dass nach dem Zweiten Weltkrieg die sowjetische Spielart des Staatssozialismus durch ihre Opfer und den Sieg über Deutschland bis in weite Teile Westeuropas hinein geradezu geheiligt war als Gegenentwurf zu Kapitalismus und Nationalsozialismus.

      Nato und Wiederbewaffnung waren nicht populär. Ich bin nicht sicher, wie die Schweiz sich in einem Europa gehalten hätte, dessen Eliten nicht einen klaren Kompass für die Westbindung vorgegeben hätten. Der Unterschied der Schweiz liegt vermutlich in der langen, tiefenwirksamen Tradition ihrer Unabhängigkeit und im Bürgerstolz ihrer Einwohner. Das kann man nicht per Dekret einführen. Per Volksabstimmung aber auch nicht.

      Ich gebe aber zu, dass ich auch grundsätzlich Bedenken gegen direkte Demokratie hege. Wenn Sie Mannschaftsschach gegen einen Großmeister spielen, wird die Gruppe verlieren, solange sie den Mehrheitszug setzt. Es sei denn, es befindet sich ein Großmeister in der Gruppe, der die anderen von seinen genialen Zügen überzeugen kann. Das wäre dann wieder repräsentative Demokratie, und es leuchtet mir nicht ein, weshalb man den Ehrgeiz aufgeben sollte, die „Klugheit“ der Massen durch argumentatives Werben nicht noch ein Stück weiter zu treiben. Hinzu kommt, dass die für mich immer sehr tröstliche individuelle Gewissensfreiheit des Abgeordneten und Mandatsträgers bei uns doch Ihrem Bild vom empanzipierten Bürger durchaus entsprechen müsste. Wenn das Volk entschieden hat, wird es schwer, diesem Ratschluss zu entkommen – sei er noch so unsinnig. Man muss sich dann gegen „das Volk“ stellen, der Druckpunkt, der in vielen Diktaturen funktioniert.

      Die von mir beschriebenen Mainstream-Meinungen sind ja gerade auf sich verfestigende Breitenströmungen zurückzuführen, die mir nicht sonderlich plausibel erscheinen. Es ist also offensichtlich auf diesem Wege auch bei uns möglich, solche Volksmeinungen in den politischen Prozess einzusteuern.

      Wirklich demokratisch sind Volksentscheide aber auch oft nicht. Entweder gehen zu wenige hin oder die Schwellen sind zu hoch. Beim letzten erfolgreichen Bürgerentscheid in Berlin kam die erforderliche Mindestzahl von 25 Prozent der Wahlberechtigten zustande – es waren am Ende 27 Prozent. Davon war etwas mehr als die Hälfte gegen eine umstrittene Bebauung. Mit anderen Worten: Weniger als 15 Prozent der betroffenen Bürger haben den restlichen 85 Prozent mit einem raffinierten Geschäftsordnungstrick, der super-demokratisch aussieht, ihren Willen aufgezwungen. Auch der verschachtelte deutsche Föderalismus macht die Sache schwieriger, weil man oft über Dinge abstimmen muss, die vom Bund, den Ländern, den Kommunen oder allen zusammen zu verantworten sind. Und es stört mich schon, wenn Verantwortlichkeiten verwischt werden: Das Volk entscheidet, die Politik setzt es um und wird hinterher dafür abgestraft, wenn etwa die finanziellen Folgen des Volksentscheids zu Buche schlagen.

      Wenn man in Deutschland mit einer direkt-demokratischen Konfrontationstherapie, sagen wir auf dem Gebiet der Energiepolitik, begänne, würden vermutlich Mehrheiten gegen Atomkraft, gegen Kohle, gegen Windräder, gegen Hochspannungstrassen (die zur Vernetzung der Windparks nötig sind) und gegen Tiefeneinlagerung von CO2 in der Erde zustande kommen. All diese Initiativen gibt es schon, und sie haben Zulauf. Da werden Sie sagen: Bitte, wenn es die Leute so wollen, ruiniert Deutschland eben seine Energie-Infrastruktur. Aber vielleicht spricht auch nichts dagegen, wenn man unterschiedliche Spielarten demokratischer Modelle je nach vorherrschender Mentalität anwendet. Solange beide zur Akzeptanz der getroffenen Entscheidungen führen, erfüllen sie ja ihren Zweck.

      Und ehrlich gesagt, bin ich ziemlich froh, dass die eigensinnige Schweiz in vielen Dingen wider den europäischen Stachel löckt. Vielleicht sind schon deshalb zwei Modelle besser als eines.

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  8. max Says:

    Lieber Herr Schuler, Ihre Antwort mag mich nicht überzeugen. Die Einschätzung der Fähigkeit Ihres Volkes, in Bezug auf Nannystaat, ist sicher nicht unrichtig, hat aber mehr mit der Deformation des Bürgers in der repräsentativen Demokratie zu tun, als mit der direkten an sich. Ihre genannten (guter Ausdruck) Feldversuche sind nicht durch Volksentscheide zustandegekommen, auch Hitler erhielt nie eine Legitimation durch die Mehrheit der Wahlberechtigten. Gerade das Beispiel Hitler zeigt, wie durch Kungelei der „Mächtigen“ etwas entstehen kann, das ins Verderben führt. Ihr Beispiel des Schach-Grossmeisters halte ich für schlicht nicht belegt. Nach Wahrscheinlichlkeitsrechnung wird er ja gerade durch die schiere Masse besiegt. Das hat allerdings mit der Vernunft der Masse nicht viel zu tun. Und wie das Ergebnis aussieht, wenn die Vernunft der Masse entscheidet, können Sie geschichtlich am Beispiel meines Landes sehen, sobald Sie politische Vorstösse von Parteifunktionären den Volksentscheidungen gegenüberstellen. Zur Legitimation von Volksentscheiden: wenn Sie natürlich die existierenden Regelungen (und die mangelnde Erfahrung damit) in Deutschland als als Grundlage eines Volksentscheides ansehen, bin ich ganz bei Ihnen. Allerdings sind die Regeln in Deutschland vor allem darauf angelegt, einen solchen zu verhindern. Legitimiert wird eine Volksabstimmung beileibe nicht durch die Teilnehmer an der selben, sondern durch die Möglichkeit zur Teilnahme. Das reicht. Bei uns gibt es den Spruch:“Nichtstimmer Maul halten“!. Ihr Hinweis auf den speziellen Föderalismus in Deutschland (der ja gerade in entscheidenden Punkten eben keiner ist) ist auch kein Argument gegen eine direkte Demokatie, sondern ein Bemängeln der jetztigen Situation. In Ihrem letzten Abschnitt gehen Sie auf gegenwärtig umstrittene Themen ein. Ist dies nicht vor allem ein Problem der Massenmedien, respektive des politisch einseitigen Personals derselben? Und wird es etwa besser, wenn der polit-mediale Komplex weiterhin wursteln, diffamieren falschinformieren darf? Liegt dies nicht allenfalls daran, dass sich eben breitere Massen von Bürgern gar nicht informieren, da sie eben doch nichts zu wichtigen Fragen zu sagen haben? (Da fällt mir ein, zur berühmten Umfrage unter MdBs von RTL betreffend EU- Verfassung haben Sie noch nichts gesagt).
    Vielleicht mögen Sie trotz der Länge meines Beitrags antworten.
    Mit freundlichen Grüssen
    Markus Freuler

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  9. max Says:

    Kleiner Zusatz: Auch Sie scheinen dem Irrtum zu unterliegen, dass es in der Politik falsche und richtige Entscheidungen gibt. Ueber falsch und richtig entscheidet allenfalls die Geschichte. Meiner Meinung nach geht es eher darum, dass diejenigen, die die Konsequenzen eines Entscheides zu tragen haben, diesen auch fällen können. Das ist natürlich je nach Beschreibung „gefährlich“ oder „populistisch“, selbstverständlich „emotional“ und selten „sachbezogen“, aber seien Sie ehrlich, finden Sie wirklich, irgend ein Lehrer, der sich Politik qua Beamtenrecht leisen kann (bitterböses Beispiel: Sigi, the „Popbeauftragte“ Gabriel), und deshalb im Bundestag sitzt, ist zwingend kompetenter als Sie? Wo kommt Ihr mangelndes Selbstewusstsein her? Nehmen wir die Publikumsumfrage bei Günther Jauch: die ehrlichen, die’s nicht wissen, drücken nicht. Wie sicher sind Sie, dass diejenigen Volksvertreter, die von einer bestimmten Frage nix verstehen, nicht drücken? Oder bereinigt dies der Fraktionszwang? Laut Gausscher Normalverteilung gibt es eine bestimmte Menge von Trotteln. Wenn Sie die MdB ansehen (oder ich meine Parlamentarier), haben Sie wirklich das Gefühl, diese Verteilung sei im Bundestag nicht gegeben?

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    • ralfschuler Says:

      Lieber Herr Freuler, das Experiment mit dem Großmeister hat es tatsächlich gegeben. Und es endete „matt in zwei Zügen“ oder so ähnlich, weil immer die Züge gesetzt wurden, die die meisten Leser einer Zeitung eingeschickt haben. Dass „richtig“ und „falsch“ in der Politik mitunter relativ ist, habe ich vorausgesetzt. Es gibt aber bessere und schlechtere Entscheidungen, deshalb habe ich mich bei den Beispielen im Text auf dem Blog so dezidiert auf das Dosenpfand bezogen, weil es ein nachvollziehbares Exempel für eine verifizierbare Fragestellung ist. Und selbst dort setzt sich die kurzschlüssige Scheinlogik durch. Ob Ihr Verweis auf Jauch wirklich trägt, da bin ich im Zweifel: Nicht nur, weil es schon etliche Mehrheitsfehler beim Publikumsjoker gegeben habe, sondern vor allem, weil bei diesem Zusatzjoker verblüffenderweise immer wieder Leute aufstehen, die es gar nicht genau wissen, aber irgendetwas meinen. (Allerdings ist das Risiko für einen Publikumsgast auch viel geringer, er gewinnt ggf. 500 Euro, verliert aber nix, wenn er falsch liegt. Nur schade, dass er den Gast in der Mitte mit seiner Laxheit ruiniert!)

      Sie meinen also, wenn der Reichskanzler ehedem direkt gewählt worden wäre, hätte Hitler keine Mehrheit bekommen? Das anzunehmen, ist zumindest eine nette Geste gegenüber uns Deutschen. Vielleicht ist es ja in der Tat eine Frage der individuellen Vorprägung, wie sehr man Mehrheiten traut. Mit meiner tiefsitzenden Aversion gegen alles Kollektivistische, bevorzuge ich auch sonst klare Hierarchien, bei denen der Entscheider Ruhm oder Prügel direkt bezieht. Bei basisdemokratischen Entscheidungen haben sie nie einen Schuldigen aber jede Menge die es schon immer (besser) gewusst haben. Ich war vermutlich zu lange in Minderheitenpositionen, um so sehr auf den gesunden Menschenverstand zu setzen wie Sie. Wenn ich den Blick so über die Welt schweifen lasse, fühle ich mich da eher bestätigt. Allerdings ordne ich mich auch ungern Blödsinn unter, nur weil ihn eine Mehrheit beschlossen hat. Tell und Kohlhaas sind mir da sehr sympathisch.
      Bei Theorien, die eine massenhafte Deformation des Menschen (durch Medien, Politik, das Kapital, die Männerwelt oder sonstwas) unterstellen, bin ich immer sehr skeptisch. Sie machen den Menschen zum Spielball äußerer Umstände und unterstellen, dass man lediglich irgendwelche Rahmenbedinungen ändern müsse, damit die Leute sich anders verhalten. Ganz so einfach ist es dann wohl doch nicht. Davon, dass die Deppen-Dichte in jedem geschlossenen System konstant ist, gehe ich allerdings auch aus. Nur finde ich eben nicht, dass es der Weisheit letzter Schluss ist, Leuten, die weder ihre Steuererklärung noch ihre Rentenformel verstehen, die Entscheidung etwa über die Rente mit 67 oder eine Steuerreform anzuvertrauen. Da erscheint es mit schon plausibel, dass diejenigen, die sich in einer Fraktion damit beschäftigt haben, es den anderen erklären und dann alle gemeinsam abstimmen.
      Aber im Grunde bin ich Fatalist und glaube nicht, dass das eine oder das andere System grundlegende Vorzüge hat, die die Geschichte zu einem guten Ende bringen. Dass sie die Geschichte zu einem Ende führen, traue ich allerdings beiden Prinzipien zu. Alles in allen klingt diese Diskussion unter weitgehend einigen Debattanden allerdings in der Tat so, als ob bei einem guten Whisky geführt werden müsste.

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  10. max Says:

    Lieber Herr Schuler, danke für Ihre Antwort. Ihre Darlegungen können mich als überzeugten Schweizer natürlich nicht umstimmen. Zu Hitler: Tatsache ist einzig, dass Hitler nie eine demokratische Mehrheit hinter sich scharen konnte. Fakt ist weiterhin, dass Hitler nur durch Kungeleien unter der politischen Nomenklatura an die Macht gekommen ist. Die Unterstellung, dass Hitler in einer direkten Wahl als Kanzler gewählt worden wäre, ist freundlich gesagt, eher bösartig.
    Was mich bei Ihnen so erstaunt, ist Ihr Glaube an eine Ihnen überlegene Instanz, die überlegene Entscheidungen trifft. Wieso um Himmels Willen wollen Sie diese nicht selber treffen können? Oder versteckt sich da eine gewisse Arroganz dahinter, da Sie sich der als Journalist der herrschenden classe politique eher zugehörig fühlen? Standesdünkel? Sie unterliegen mit Ihrem Bild des „Prügels für die Verantwortlichen“ schlicht einem Trugschluss, denn was heisst in Deutschland denn (ausser man heisst Sarazzin) denn Verantwortung übernehmen? Das müssen doch nur die Unbequemen. Und damit meine ich nicht die Popanze wie Schlingensief, Peymann et altera.
    Lieber Herr Schuler, ich halte Sie für einen klugen Mann, ich habe Ihre Artikel gelesen und kann sehr vieles darin unterstützen. In der Frage der Beteiligung der Bürger an Entscheiden, die diese direkt betreffen, scheiden sich unsere Geister offensichtlich. Vielleicht ist dies der immer wieder (bei uns) gesuchte Unterschied zwischen Schweizern und Deutschen.
    P.S. Sollten Sie einem Bourbon nicht abgeneigt sein, würde ich Ihnen gerne mal eine Flasche Woodforde zukommen lassen. Nur so wegen unserer letzen Meinungsverschiedenheit.

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    • ralfschuler Says:

      Lieber Herr Freuler, ich glaube gar nicht in dem Maße an staatliche Instanzen, wie Sie glauben. Ich bin nur nicht überzeugt, dass es mit direkter Demokratie so viel besser geht. Im Grunde halte ich mich für ziemlich Schweiz-kompatibel. Wenn Sie sich nach (oder in) Deutschland hinein versetzen, müssten Sie – da bin ich fest überzeugt – damit rechnen per Volksbefragung lauter paternalistische, staatsgläubige Mehrheitsbeschlüsse zu bekommen, wenn man das Schweizer Modell anwenden würde. Ich gebe aber zu, dass das eine Spekulation ist, und keine sehr freundliche für die Deutschen.

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  11. max Says:

    Lieber Herr Schuler, aber genau das ist doch der Punkt. Sie formulieren es nur negativ. Niemand erhebt doch den Anspruch, dass irgendetwas mit der direkten Demokratie „besser“ geht. Die Politik ist dann allerdings besser verankert. Es haben die Leute zustimmen (oder ablehnen) können, die für diesen Entscheid auch die Konsequenzen tragen müssen. Sie haben natürlich recht, dass in der heutigen Situation in Deutschland eine vermehrte Beteiligung des deutschen Volkes nicht ohne Risiken wäre. Wahrscheinlich würde es zu extrem fragwürdigen Entscheidungen kommen. Wovon das Rauchverbot in Bayern zweifelsohne eine ist. Allerdings bin ich der Meinung, dass es gerade in Deutschland auch ohne Bürgerbeteiligungen, rein parlamentarisch, schon zu genug fragwürdigen Entscheidungen kommt. Oder möchten Sie mir da (ok, gemein, aber dingeling: Dosenpfand, Gentechnik, Kernkraft, Stammzellenforschung, Arbeitsrecht etc.) widersprechen? Ich glaube, es bräuchte einen Weg, das deutsche Volk für die vermehrte Mitbestimmung reif zu machen. Das Argument, dass es danach nicht besser läuft als davor, ist schlicht keines. Darum geht es in der direkten Demokratie nicht. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen, und dies wurde den Deutschen nun zumindest 40 Jahre lang abgewöhnt. Wir treffen uns also in der Bewertung der kurz- bis mittelfristigen Prognose, grundlegend stehen wir uns aber diametral entgegen.

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    • ralfschuler Says:

      Im Grunde haben Sie mit Ihrer Zusammenfassung recht. Obwohl ich bei der Abwägung ehr emotionslos bin: Ich erwarte mir von beiden Modellen wenig. Dass Kollektive Verantwortung übernehmen und akzeptieren, was sie selbst beschlossen haben, glaube ich allerdings nicht. Ich muss allerdings zugeben, dass ich gar nicht genau im Bilde bin, wieviele Themen in letzter Zeit in der Schweiz direkt abgestimmt wurden und wieviele durch herkömmliches Regierungshandeln. Und dann müsste ich mir zu präziseren Einschätzung auch noch die Geschäftsordnung für Volksentscheide bei Ihnen genauer ansehen: Wer darf worüber entscheiden mit welchen Quoren etc. Es ist ja beispielsweise bei Bauvorhaben so, dass die konkret betroffenen Anwohner bei uns auch abstimmen können. Die Frage ist allerdings, warum die Mehrheit, die von den Projekten profitiert, in solchen Fällen keine Stimme hat.

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