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Die Kanzlerin und ihr Pfingstgleichnis

November 3, 2015

Zu den interessanteren Dingen in der aktuellen Politik gehört die Ausweich-Rhetorik. Zum Beispiel bei der Zukunftskonferenz der CDU in Darmstadt, wenn CDU-Vize Armin Laschet auf einen Redner antwortet, der erklärt, man solle Pegida nicht in die Ecke stellen. Auch die Demonstranten von Dresden seien Bürger der Bundesrepublik Deutschland, und an der Unionsbasis im Westen dächten viele ebenso. Laschet verweist dann auf die Galgen für die Kanzlerin und SPD-Chef Sigmar Gabriel, die von Pegida in Dresden gezeigt wurden und stellt ganz Pegida in die rechtsextreme Ecke, vor der der Saalredner gewarnt hatte.

Kann man so machen.

In Wahrheit weiß aber auch Armin Laschet, dass der Mann (ein kluger Arzt aus Frankfurt am Main) auf etwas anderes hinaus wollte: Er wollte darauf hinweisen, dass auch die Menschen in Dresden ein gesellschaftspolitisches Symptom sind, dass man ernstnehmen, analysieren und verstehen müsse. Verbale Prügel ist so wohlfeil und sinnlos, wie Sitzblockaden der Antifa. Doch diese Debatte will Laschet nicht führen.

Ein anderes Ausweichmanöver ist durch die Kanzlerin inzwischen zum allgemeinen und viel kopierten Unionsstandard geworden: Wer nach den gesellschaftlichen Auswirkungen der massisven muslimischen Zuwanderung nach Deutschland fragt, bekommt mit schöner Regelmäßigkeit zu hören: Die Deutschen sollten mal öfter in die Kirche gehen, dann müssten sie auch die Islamisierung nicht fürchten. Wenn aber heute kaum noch wer wisse, was Pfingsten ist, müsse man sich nicht beklagen. Merkels CDU-Stellvertreterin Julia Klöckner brachte in Darmstadt diesen Programm-Block, den die Kanzlerin unlängst bei einem Besuch in der Schweiz vor Studenten ausgegeben hatte.

Nun kann es nie falsch sein, Sprüche des Chefs nachzubeten, signalisiert man doch so mehr oder weniger geschickt Bewunderung und intellektuelle Devotheit. Und wie Merkel beim Original-Auftritt, vermeidet man die Beantwortung der Frage und schweißt die versammelten Anhänger zudem im wohligen Gefühl zusammen, gemeinsam gewissermaßen zur letzten getreuen Christenschar zu gehören. Was freilich auch noch keine Auseinandersetzung mit der eigentlichen Frage ist.

Wenn man allerdings einen Augenblick länger darüber nachdenkt, hinterlässt das Pfingstgleichnis der Kanzlerin ein eher ungutes Gefühl.

 Zuerst einmal lenkt es von der schlichten Tatsache ab, dass in einer Demokratie gesellschaftsprägender Einfluss nicht von der Glaubenstiefe oder der Häufigkeit des Kirchganges abhängt, sondern von Mehrheiten und Minderheiten. Die Frage nach dem numerischen Zuwachs von Muslimen ist somit nur logisch und mehr als berechtigt – ganz gleich, wie man sie denn beantworten mag (noch immer geringer Anteil, Integration gelingt, unbegründet, Leitkultur etc.)

Der zweite Aspekt, der sich hinter der Kirchgänger-Retoure verbirgt, ist eine Art Religions-Battle: Es wird indirekt der Eindruck erweckt, als hinge die kulturelle Prägekraft in diesem Falle davon ab, dass Christen oder Moslems in einen Frömmigkeitswettbewerb träten, den der eine oder andere für sich entscheiden könne. Eine absurde Idee, die auch niemand von den Merkel-Nachsprechern ernsthaft vertreten würde, die aber in der Drückeberger-Argumentation vor der eigentlichen Frage im Kern enthalten ist. Denn im Grunde müsste eine ehrliche Antwort entweder die unpopuläre Botschaft überbringen, dass selbstverständlich das Land sich mehr und mehr den muslimischen Lebenswelten anverwandeln werde oder aber die spannende Erklärung enthalten, dass sich am gesellschaftlichen, sozio-kulturellen Rahmen nichts ändere, auch wenn sich die Bevölkerung im Innern des staatlichen Gefäßes verändere und gewissermaßen auswechsele. Letzteres wäre ein durchaus interessanter Ansatz, vor allem die Begründung.

Drittens und letztens schließlich ist der Hinweis auf die Entchristlichung aber auch das indirekte Eingeständnis des betreffenden Politikers, dass er sich des Problems des Fragestellers nicht anzunehmen gedenke, sondern dies vielmehr an diesen zurückgibt. ,Geh‘ du mehr in die Kirche, dann hast du das Problem nicht!‘ Die Bevölkerung müsse Islamisierung, Wertewelt, gesellschaftlichen Kulturhintergrund unter sich ausmachen. Der Politiker hat ganz offensichtlich nicht vor, sich darum zu kümmern, schließlich lässt er nicht einmal durchblicken, ob er die Problemanalyse teilt, ganz zu schweigen davon, dass er sich herabließe, in die eine oder andere Richtung Einfluss zu nehmen oder Gestaltungswillen zeigen zu wollen.

Am Ende von Regional-, Zukunfts- und anderen Basis-Konferenzen, wie Angela Merkel sie als CDU-Vorsitzende eingeführt hat, kann man sich vormachen, man habe alle Bedenkenträger zu Wort kommen und sich Luft verschaffen lassen. In Wahrheit aber muss man sich nicht wundern, wenn trotz vieler Worte wenig gesprochen wurde.