Archive for Dezember 2014

Warum der Bundespräsident sein Thema verfehlt hat

Dezember 24, 2014

… weil er unausgesprochen alle Pegida-Demonstranten in die fremdenfeindliche Ecke stellt und sie damit in ihrer trotzigen Außenseiter-Selbstwahrnehmung und Politikabneigung bestätigt.
… weil er leichthin alle Nicht-Demonstranten für das Lager der Zuwanderungszufriedenen vereinnahmt.
… weil die Schweiz vorgemacht hat, dass man über das Ob und erst recht über das Wie von Zuwanderung gesellschaftlich diskutieren und sogar abstimmen kann, ohne Menschen in Nazi-Nähe zu rücken.
… weil, und das ist der schwerwiegendste Punkt, sein Thema genau die Ängste der Menschen auf der Straße gewesen wäre: Ohne Zuwanderung wären die Deutschen ein aussterbendes Volk, mit Zuwanderung wird sich Deutschland verändern und vermutlich auch islamischer werden, wie es nach der Wiedervereinigung protestantischer geworden ist. Wie wollen wir mit dieser Zuwanderung leben? Wie wollen wir mit den Zuwanderern leben? Welche Regeln sollen gelten? Wie können wir offen bleiben für Verfolgte und Erniedrigte? Wie deutsch soll/muss Deutschland bleiben? Muss man sich vor dem Wandel fürchten, wenn man ihn ganz offensichtlich nicht verhindern kann?
Kurz: Er hätte die Fragen stellen und beantworten müssen, für die die Menschen in Dresden oft genug medial an den Pranger gestellt wurden. Nichts treibt den Druck im Gesellschaftskessel rasanter in die Höhe, als Fragen, die nicht gestellt werden dürfen. Ja oder Ja, Alternativlosigkeit in Rede und Meinung sind das Ende der Demokratie. Allemal ein Thema für den Bundespräsidenten.

Unheilige Nacht – Ein Trauerspiel in drei Akten

Dezember 21, 2014

1. Es ist ein Ethik-Putsch mit Ansage. Das schwule Paar, das jetzt vor dem Bundesgerichtshof die Anerkennung von (in Deutschland verbotener) Leihmutterschaft durchgesetzt hat, hatte sich bereits vor Jahren auf den Weg gemacht, mit Musterklagen die ethischen Koordinaten des deutschen Rechts zu verändern. Das haben sie jetzt geschafft, der Kollege Heribert Prantl von der SZ feiert mit ihnen.
Dabei ist nicht sonderlich interessant, dass hier ein schwules Paar erreichte, was kinderlosen Hetero-Eltern nicht gelang, sondern dass offenbar die Ausbeutung von Frauen als Austrägerinnen ebensowenig von argumentativem Gewicht ist, wie das gezielte Herbeiführen einer „Familien“-Situation, die man dem Kind im Sozial- und Trennungsrecht aus gutem Grund zu ersparen sucht.
2. Es gibt diese Momente, in denen man sich von ethischer Düsternis unselig und unentrinnbar umfangen fühlt: Mitten in Berlins Zentrum darf jetzt Plastinator Gunther von Hagens seine Leichen als Dauer-Attracktion ausstellen, auch das hat ein Gericht verfügt. Dass es zwischen Tussaud’s Wachsfiguren und menschlichen Körpern einen Unterschied gibt, empfinden wohl immer weniger Zeitgenossen.
3. Ein befreundeter, schwer krebskranker älterer Herr wurde bei Gelegenheit einer immer öfter nötigen Bluttransfusion dieser Tage vom medizinischen Personal gefragt, ob er sich denn diese Tortur noch lange antun oder ob er nicht mit seiner Familie darüber sprechen wolle, all das schmerzfrei zu beenden. Immer wieder haben wir davor gewarnt, dass die Debatte um Sterbehilfe rote Linien verschiebt, die wir brauchen – und sei es, damit man sie spürt, wenn man sie überschreitet. Aber dass der Tod des Patienten schon längst ein Rezept im Ärztekoffer ist, dass einem Patienten aktiv geraten wird, die finale Therapie zu überdenken, treibt mich regelrecht zur Verzweiflung.
Mit Links-Regierungen und anderen realpolitischen Verirrungen kann und muss ich notfalls leben. Dass aber der Kompass dort, wo es um den Kern des Menschseins geht, völlig versagt, ist unerträglich. Und wird doch wenig mehr als ein öffentliches Schulterzucken auslösen.