Archive for Februar 2012

Alles ad Acta: Freibeuter der Zukunft

Februar 16, 2012

Piraten voraus! Klar machen zum Entern! Seit dem Wahlerfolg im September 2011 in Berlin gelten die „Piraten“ als Polit-Aufsteiger der Saison. Während die Liberalen bei den kommenden Landtagswahlen im Saarland und in Schleswig-Holstein um den Einzug ins Parlament bangen müssen, weisen Umfragen der Partei der Netz-Aktivisten beste Chancen zu und sehen die muntere Truppe selbst bei er nächsten Bundestagswahl im blauen Gestühl des Berliner Reichstags.

Ratlosigkeit macht sich breit bei der Konkurrenz. Für gewöhnlich verfolgen Parteien Ziele, die man teilen oder bekämpfen kann. Wie aber begegnet man einer Truppe, die es charmant findet, von vielen Themen ausdrücklich keine Ahnung zu haben und vielfach auch weder Antworten noch Ziele?

Man müsse die Piraten ernstnehmen, heißt es allenthalben. Nur wie, ist nicht ganz klar. Wer das Aufklappen eines Laptops beherrscht ist noch lange kein Pirat. Und selbst Politiker, die sich nicht dafür zu schade sind, die Welt mit Banal-Gezwitscher via Twitter zu behelligen, bestehen darauf, ansonsten normale, analoge Menschen zu bleiben.

Wenn die Piraten ein Schlaglicht auf die Zukunft des Parteiensystems sind, dann sieht es düster aus. Hatten sich die Grünen weiland noch auf den Teilkosmos der Biosphäre konzentriert mit ihrem politischen Spezial-Angebot, so verengt sich das zu bearbeitende Interessengebiet bei den Piraten auf möglichst ungehinderte Kommunikation per Computer. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass die umfragerelevante Anhängerschaft auch durch Mitnahme-Effekte im allgemeinen Dagegen-Milieu zustande kommt, machen sich bange Ahnungen breit. Oder aber der hauptamtliche Vollzeit-Kritiker von heute ist deutlich weniger wählerisch geworden bei der politischen Trägermasse für seinen Dauer-Protest.

Geht man zurück zu den Wurzeln der Piraten-Bewegung, so landet man in Schweden, wo die Online-Tauschbörse „Piratebay“ aus Gründen des Urheberschutzes dichtgemacht wurde. Die Gegenbewegten nannten sich provokativ Piraten. Schon in dieser Geburtsstunde reichte die Reflexionstiefe der Aktivisten nicht so weit zu erkennen, dass anders als beim Weiterverkauf von CDs auf dem Trödelmarkt, beim Online-Austausch von Musik und anderer Software, identische Kopien erstellt und auf den Markt gebracht werden. Es findet klassische Wertschöpfung statt, die freilich dem Urheber völlig entzogen ist und statt dessen dem Plagiator, zumindest aber dem vom Preise befreiten Endverbraucher zugute kommt.

Wer hätte gedacht, dass aus diesem im Grunde dreisten und aberwitzigen Ruf nach einem Grundrecht auf Schnorren, ein durchaus einträgliches politisches Geschäftsmodell zu machen wäre!

Setzt sich dieser Trend zum eher überschaubaren Anspruchsprofil politischer Partein in Zukunft fort, so dürften der Deutsche Mieterverein oder die Angel-Sparte „Petri Heil“ demnächst als programmatische Volksparteien gelten. Zwar darf man den Piraten zugute halten, dass sie sich nun auch tapfer mit anderen politischen Themen beschäftigen wollen, ihre Kernkompetenz liegt aber nach wie vor in einer Sparte, für die herkömmliche Vollwert-Parteien sich Experten für Urheberrecht halten.

Die aus dem Stand bundesweit organisierten Demonstrationen gegen das Internet-Abkommen Acta haben freilich gezeigt, dass die neue soziale Klasse der Menschen mit Bildschirm-Fixierung durchaus schlagkräftig und mobilisierungsfähig ist. Auch wenn 80 Prozent der Deutschen gar nicht wissen, was Acta ist und etwa 98 Prozent der Netznutzer überhaupt nicht betroffen sind.

Man darf gespannt sein, ob es den nicht-freibeuterischen Parteien gelingt, durch Acta- statt Aktenstudium dem Internet endlich realistische und vor allem durchsetzbare und vollstreckbare Regeln zu geben. Denn das ist die eigentliche Herkules-Aufgabe, die gelöst werden muss. Ganz gleich, was Netz-Nerds und Surf-Lifestyler davon halten.

Wieder Wulff: Der Payback-Präsident

Februar 13, 2012

Selten ist ein Politiker so gnadenlos und so rabiat auf einen Bereich seiner Amtsführung zurückgeworfen worden, der für gewöhnlich sorgsam vom politischen Geschäft abgetrennt wird: die menschliche Eignung.

Je länger die Affäre Wulff andauert, desto peinlicher werden die Gefälligkeiten, Zuwendungen und Freundschaftsdienste, die der einstige Ministerpräsident von vermögenden Gönnern erhalten hat. Es ist die in der Tat verblüffende Quantität geldwerter Nettigkeiten, die in diesem Falle in eine neue Qualität umschlägt.

Während es allerdings vor allem die Medienbranche für eine Zumutung hält, dass ein kungelnder Schnäppchenjäger ausgerechnet das einzige politische Amt besetzt hält, das als moralische und gesellschaftliche Vorbildinstanz angelegt ist, verbittet sich die regierende politische Klasse genau jenen Verweis auf die menschliche Eignung und zieht sich aufs Juristische zurück. Wo kommen wir denn sonst hin!

Mit anderen Worten: Die einen fordern einen vollwertigen Präsidenten, und die anderen meinen: Christian Wulff muss genügen.

Allerdings bleibt der Casus auch beim bloßen Abhandeln der juristischen Fakten nicht frei von Zumutungen. Wenn etwa Wulffs neuer Chef-Verteidiger, Peter Hintze, darauf verweist, dass die Vorwürfe sämtlichst aufgeklärt und beantwortet seien, mutet er der Öffentlichkeit indirekt zu, die windig zusammengenagelten Ausflüchte (Barzahlung, Unwissenheit etc.) als hinreichende Erklärung zu akzeptieren. Eine intellektuelle Beleidigung erster Güte.

Interessant ist freilich der Effekt, dass die häppchenweise Aufklärung zur allgemeinen Übersättigung der Öffentlichkeit geführt hat. Gelten Politiker sonst allgemein als überbezahlte, nichtsnutzige Gauner, die besser mal arbeiten sollten, führen die immer neuen Enthüllungen über das untrügliche Gespür des Herrn Wulff für Kohle dergestalt zum Verdruss, dass man ihm Ruhe und Verbleib im Amte wünscht.

Verkehrte Welt. Auch die Argumentation ist interessant: Rabattjäger-Journalisten sollten sich gefälligst an die eigene Nase fassen und nicht an Wulff abarbeiten. Was denn nun? Wenn es bei Wulff in Ordnung ist, kann man es Journalisten kaum vorwerfen, wenn nicht, dann doch.

Aber es geht nicht nur um den Payback-Präsidenten, der im Falle des Hauskredits im Parlament Halbwahrheiten verbreiten ließ und bei der Finanzierung vom „Nord-Süd-Dialog“ log. Es geht auch darum, dass vom verschwiegenen öffentlichen Geld Bücher gekauft wurden, an denen die Frau vom Sprecher mitgeschrieben hatte. Und darum, dass diese Bücher dann auf einer Veranstaltung verschenkt wurden, die von der Bank gesponsert wurde, die später billig zur Hausfinanzierung beitrug.

Worum es geht, falls das noch jemand wissen will, lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Filz.