Archive for the ‘Satire’ Category

Wir zahlen gern: Der Fall Hoeneß und die Deutschen

April 24, 2013

Ob die Deutschen auf dieser Welt noch integrierbar sind, ist nicht ganz sicher. Irgendwie schlagen sie aus der Art. Schon deshalb ist die Suche nach erdähnlichen Planeten in anderen Ecken des Universums für den Rest der Welt nicht ganz sinnlos…

Wenn deutsche Parteien von einem „einfachen, niedrigen und gerechten Steuersystem“ sprechen, bricht ein medialer Sturm der Entrüstung los, als solle eine Null-Promille-Grenze für Gartenzwerge eingeführt werden oder das Bayern-München-Wappen auf die Nationalflagge kommen. Steuererklärungen auf einem Bierdeckel sind des Teufels, Paul Kirchhof ist nicht nur „ein Professor aus Heidelberg“, sondern auch eine Art Finanz-Faschist, der von der Kanzlerin rasch wieder versteckt wird. Und regelmäßig wird gegen „Steuergeschenke“ gewettert, als habe sich das Finanzamt den monatlichen Gehaltsscheck hart erarbeitet und gebe nur aus Kulanz unrunde Restbeträge an den Bürger weiter.

In diesen Tagen wiederum geht ein moralischer Furor über einen Menschen hinweg, der keine Kinder geschändet, keinen Weltkrieg entfesselt und noch nicht einmal über die Dirndl-Tauglichkeit von Bayerinnen gesprochen hat. Uli Hoeneß hat Steuern hinterzogen. Fassungslosigkeit. Wie konnte er uns allen das antun? Selbstanzeige? Ja, ja, aber trotzdem. Die Kindergärten, die von dem Geld hätten gebaut werden können! Die Sozialleistungen, die wegen seiner Gier nicht aufgestockt werden konnten! Schlimm!

Deshalb an dieser Stelle die Pflichtanzeige der deutschen Werte-Papier-Börse: Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. (Wir sind gesetzlich zum Abdruck dieser Erklärung unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt verpflichtet.)

Zwar ist das Schlüpfen durch Steuerlöcher in Deutschland längst Volkssport geworden,

zwar wird in der Steuererklärung der Weg zur Arbeit gern mal um ein paar Kilometer pauschaler Pendelei erweitert,

zwar erfährt der Begriff der Fachliteratur beim Belege-Sammeln oft eine erstaunliche Flexibilisierung,

zwar gilt Barbezahlung von Handwerkern durchaus als Kavaliersdelikt,

zwar ist Steuerverschwendung nicht halb so schlimm wie Steuervermeidung,

zwar gilt die Unschuldsvermutung für „Reiche“ mit Konto in der Schweiz ausdrücklich nicht,

zwar wird das unrechtmäßige Beziehen steuerfinanzierter Sozialleistung völlig ungerechtfertigt und böswillig an dieser Stelle erwähnt,

aber es bleibt immerhin zu hoffen, dass all diejenigen, die durch Datenklau und verkaufte Steuer-CDs zu Millionären geworden sind, ihr Geld nicht auf den Caymans billig bunkern.

Um es kurz zu machen: Die Deutschen zahlen gern Steuern, denn Steuerzahlen ist erste Bürgerpflicht. Zumindest für die anderen. Und für „die Reichen“ doppelt. Vielleicht sollte man das den anderen Europäern sagen bevor wieder mal von der weiteren Vertiefung der europäischen Union die Rede ist. Vielleicht aber auch nicht, sonst verlassen sich die Griechen ganz auf uns…

Bürgerforum: Wenn Politiker es wissen wollen

April 3, 2013

Weihnachten ist knapp vorbei, und es ist schon wieder Wunschzeit. Einsendeschluss 30. April. „Was mir am Herzen liegt“ heißt die jüngste Kampagne der CDU, bei der einfache Menschen sagen können, was die Politik für sie regeln soll. Dem Volk aufs Maul geschaut, das Ohr an der Masse – aber anders als weiland Mielkes Firma Horch & Guck, diesmal soll es gut werden. Was ihr wollt – eine Idee hat Konjunktur. Die Piraten wollten sich flüssiges (liquid) Feedback einschenken lassen, die SPD veranstaltet Bürgerkongresse und will die Deutschen sogar mit einer Haustür-Offensive behelligen. Da legt man sich besser schon mal Stichpunkte bereit, damit man nicht ins Drucksen kommt, wenn Peer Steinbrück dreimal klingelt.

Selbst die beliebteste Kanzlerin aller Deutschen hat unlängst ein „Bürgerforum“ auf ihrer Web-Seite veranstaltet und anschließend die meistgemochten Petenten sogar ins Kanzleramt eingeladen. Darunter Waffennarren und Cannabis-Freaks, die mehr vom Stoff ihrer Träume freigegeben haben wollten und am meisten Anhänger zum Klicken mobilisieren konnten. Gut, dass wir drüber gesprochen haben. Ansonsten blieb der Groß-Dialog folgenlos.

Nichts gegen gelebte Demokratie und lebendigen Bürgerwillen. Aber ein wenig seltsam ist es schon, wenn der König fragt, was er denn heute regieren soll. Im Autosalon möchte ich ja auch nicht mit Konstrukteuren ins Gespräch kommen, sondern zwischen fertigen Autos wählen. Der moderne Regent von heute steht vermutlich morgens etwas unschlüssig in seinem Büro herum, bereit der Weltgeschichte eine neue Wendung zu geben, allein – es fehlt das Rad, das neu erfunden werden will. Interne Arbeitsgruppen, externer Sachverstand, Umfragen – wenn nichts mehr hilft, müssen die Wähler selber ran. Supermann fliegt Warteschleife.

„Frollein Schröder, fragen sie mal die Leute da draußen, was ich für sie befehlen soll.“ Ich weiß, ich weiß, ich bin vom alten Denken angekränkelt, vom autoritären Virus und einem patriarchalischen Politikverständnis. Ich weiß das alles! Aber mal im Ernst: Ein Kapitän, der nach dem Weg fragt, ist etwa so vertrauenswürdig, wie ein Politiker, der nicht weiß, was schief läuft im Lande. „Guten Tag, ich möchte gewählt werden, und wüsste gern wozu….“ Früher überboten sich Parteien und Politiker im Wahlkampf mit Lautsprecher-Ansagen, was in diesem Lande geschehen müsse und vor allem wie. Heute soll ich ihnen auch das noch sagen. Fehlt nur noch, dass ich mich auch um die Umsetzung noch kümmern soll. Es lebe das Ehrenamt.

Zu den gängigen Führungsqualitäten gehörte früher vor allem Gestaltungswille und ein souveräner Überblick über das eigene Geschäftsfeld. Irgendwas muss sich da im Laufe der Zeit verändert haben. Wache Wahrnehmung und offener Austausch mit der Umwelt gehört eigentlich zur normalen Professionalität. Sollte man meinen. Und mal abgesehen davon, erreicht man das Bundeskanzleramt, alle Ministerien, Parteien, Verbände und Aktivisten heute per Brief, per Mail, per Twitter, auf den Web-Seiten, über Facebook und wenn man will, kann man auch noch zur regulären Bürgersprechstunde mit der Kanzlerin gehen. Auch SPD, Grüne, Linke, CSU und Liberale haben Briefkästen und meistens sogar schon Telefon…

Oder kann es vielleicht sein, dass uns mit all den Mitsprache-Offensiven womöglich jemand einen ganz klitzekleinen, niedlichen Plüschteddy aufbinden will? Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. LOL

Quoten-Kampf: Lassen Sie mich aus dem Spiel, Frau Reding!

September 4, 2012

Nur mal unter uns Männern: Habe ich was verpasst? Sind wir unlängst mit Fußbällen und Bratwurst durch die Innenstadt von Mannheim gezogen und haben für gleiche Rechte demonstriert? Irgendwie muss das völlig an mir vorbei gegangen sein.

Anders kann ich mir die Pressemitteilung von Rita Pawelski (CDU), Vorsitzende der Gruppe der Frauen in der Unionsfraktion des Bundestages, nicht erklären. Sie schreibt: „Auf der Landkarte der Gleichberechtigung verschwindet ein weißer Fleck: In den Aufsichtsräten großer europäischer Unternehmen darf künftig kein Geschlecht mit weniger als 40 Prozent vertreten sein. Das ist ein großartiger, mutiger und längst überfälliger Schritt…“

„Kein Geschlecht“? Wann hatten wir gleich noch die Männer-Quote gefordert, die hier von EU-Vizepräsidentin Viviane Reding flugs und geschmeidig durch die Gleichstellungshintertür eingeführt wird? Oder sind Feministinnen inzwischen auch schon für uns zuständig? Kann ja sein. Ich habe bei Frau Pawelski nachgefragt: Reding fordert die „geschlechtsneutrale Quote“, so die wackere Frau aus Hannover. Nun ist es ja niemandem benommen, den Quoten-Wahnsinn noch die eine oder andere Windung weiterzudrehen. Nur hatte eben kein Mensch um die Männerquote gebeten!

Sollen wir hier ungefragt als Deckmäntelchen für die Frauenquote herhalten und auch rasch eine Quote bekommen?

Hiermit erkläre ich feierlich: Nicht mit mir! Ich will keine Quote! Und wenn Aufsichtsrat und Vorstand komplett in Frauenhand wären – wenn der Laden läuft, ist das ok. Lassen Sie mich aus dem Spiel, Frau Reding! Kämpfen Sie für Ihre Frauen-Quote, wenn Sie es nicht lassen können, aber tun sie nicht so, als müssten alle überall in der Gesellschaft gleich verteilt sein. Es gab Zeiten, da wurden Grüne, Linke und CDU von Frauen geführt – na und? Als nächstes kommen Senioren-, Migranten- oder Homo-Quote – an diesem Wahnsinn will ich mich nicht beteiligen. Liebe Frau Reding, Sorgen Sie sich nicht. Wir kommen schon klar. Wenn Sie noch jemanden suchen, den Sie fürsorglich bemuttern und quotieren können, wäre ich Ihnen verbunden, wenn Sie sich woanders umsehen würden!

Betr. Rückerteilung des Sorgerechts

September 2, 2012

Sehr geehrte Damen und Herren,
hiermit möchten wir beantragen, das Sorgerecht für unsere Kinder Jakob, Luise und Julius zurückzubekommen. Wir sind nicht asozial, können entsprechende Einkommensnachweise bei Bedarf vorlegen, schlagen unsere Kinder nicht und haben keine Vorstrafen. Wir wissen, dass der grassierende Ganztagswahn an deutschen Schulen nicht zu stoppen ist, würden aber dennoch gern von unserem grundgesetzlich verbrieften Recht auf Erziehung unserer Kinder („Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht.“ Art. 6 Abs. 2 GG) Gebrauch machen. Deshalb fordern wir:

Schule und Familie müssen vereinbar sein!

Mit Interesse haben wir zur Kenntnis genommen, dass die Ganztagsschule DAS Rezept schlechthin gegen versagende Familien in diesem Land sein soll. Nun könnte man auf die – zugegeben – verstörende Idee kommen, das Versagen von Familien, müsste zunächst in den Familien behoben werden, anstatt einen staatlichen Reparaturbetrieb aufbauen zu wollen. Wenn Autos mit Serienfehlern vom Band laufen, empfiehlt sich ja auch eine werkseitige Korrektur, anstatt die Zahl der Werkstätten zu erhöhen. Aber sei’s drum.

Wir haben bislang geduldig mit angesehen, dass der Religionsunterricht in die Stunden 7 und 8 am Freitag gelegt wurde. Wir haben es geschafft, in den Musikschulen Termine nach 18 Uhr zu bekommen, um nach Ganztagsschulschluss um 17 Uhr noch die Fahrt zum Klavier-, Gitarren- und Schlagzeug-Unterricht zu schaffen. Aber jetzt ist wirklich Schluss.

Jetzt sollen wir eine unterschriebene Erklärung vom Klavier-Lehrer oder dem Pfarrer des Konfirmanden-Unterrichts in der Schule vorlegen, dass die jeweilige Aktivität mindestens zwei Stunden pro Woche fülle, anderfalls werde die Schule auf der Teilnahme an einer Arbeitsgemeinschaft am Nachmittag bestehen, da dies zum „offenen Ganztagsbetrieb“ gehöre.

Sehr geehrte Damen und Herren, Töpfern, Geräteturnen oder die Umwelttheatergruppe „Kleine Helden“ sind sicher verdienstvolle Angebote für junge Menschen, die eine Beschäftigung suchen, von üblen Straßengangs ferngehalten werden sollten oder schon immer davon träumten, einer bedrohten Käferart darstellerisch Leben einzuhauchen. Wir dagegen würden gern den Konfirmandenunterricht, der im Leben vielleicht ebenso viel Orientierung geben kann, wie die „Holzwerkstatt“ oder „kreatives Tanzen“, nicht als Nachtschicht nach den abendlichen Hausaufgaben anfügen. Wir machen auch zu Hause gelegentlich Musik zusammen, können dafür aber keine beglaubigte „Zweit-Stunden“-Bescheinigung beibringen.

Natürlich weiß ich nicht, ob so läppische Beschäftigungen wie Tischtennis-Spielen, Trampolin-Springen oder mit dem Hund rausgehen in dem staatlichen Rahmenplan für anspruchsvolle Ganztagsangebote berücksichtigt werden können. Trotzem beantragen wir hiermit die Wiedereinsetzung in unsere Elternrechte und eine ausnahmsweise Befreiung vom bundesweiten Elternvermeidungsprogramm für Heranwachsende. Da unsere Kinder bereits älter als drei Jahre sind, fällt dafür auch kein Betreuungsgeld an.

In der Hoffnung auf wohlwollende Bescheidung verbleiben wir mit freundlichen Grüßen…

GeTwitter-Warnung

Juni 10, 2012

„Es genügt nicht, keine Gedanken zu haben, man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken.“ Ein Klassiker von Karl Kraus, der bis heute nicht an Gültigkeit verloren hat. Allenfalls eine kleine Aktualisierung ist nötig: „…man muss auch unfähig sein, sie auszudrücken und dies dann allen mitteilen!“

Nun ist „Zwitschern“ (Twittern) zwar nett anzuhören, aber in der Vogelwelt auch nicht als Methode hochverdichteter Informationsübertragung gedacht. Im Gegenteil: konsequenter Sinn-Entzug macht Twittern erst zum wirklichen Vergnügen. Leider hat vor der Fußball-EM niemand eine GeTwitter-Warnung herausgegeben. Deshalb an dieser Stelle mal etwas Flüssig-Nahrung zurück (Liquid Feedback) an die bekloppte Netz-Gemeinde: Haltet vor der Fußball-Glotze einfach mal die Finger still!

Der alltägliche Twitter-Text-Durchfall im Hasenköttel-Format reicht völlig. Niemand braucht jetzt auch noch sinnlose „Tooooooooor!“-Tweets in der Timeline. Spart Euch dämliche Zwischenstände Eures Bierkonsums, Fußball-Binsen und peinliche Icons. Wenn das Hirn auf Standby ist, muss man nicht versuchen, via Smartphone den Rest der Welt zu synchronisieren. Niemand braucht wirre Jubel-Tweets, lustige Lautmalereien oder ahnungslose Prognosen. Wir anderen sehen auch Fußball! Oder nicht! In beiden Fällen verzichten wir gern auf Euren Twitter-Tinitus!

Und weil wir gerade mal dabei sind, liebe Netz-Gemeinde: Für Zwiegespräche kann man SMS oder Mails schicken und muss seine banal-Dialoge nicht an die Twitter-Litfassäule pinnen. Es sei denn, man hält sich für Albert Einstein und will die Welt daran teilhaben lassen. Twitter-Ökologie heißt: Hirn-Müll vermeiden bevor er entsteht! Einfach mal jeden zweiten Tweet weglassen. Löschen statt Sperren gilt übrigens auch für Politiker, die es für modern und zeitgemäß halten, per Twitter eine Art digitalen Arbeitszeitnachweis zu erstellen. „Fahre jetzt zum Feuerwehrfest nach Herne“ oder „Letzte Vorbereitungen für Haushaltsdebatte“ bitte dem Referenten erzählen, nicht dem Twitter-Server.

Oder rettet uns am Ende nur noch die Schutzgemeinschaft Hirn (Schuhi) vor der mentalen Abraumhalde, die manche da ins Netz schaufeln?!

Gute Vorsätze: Von Zirkustieren und -menschen

Dezember 31, 2011

Alles Gute, und das mit Vorsatz! Rechtzeitig zum Neuen Jahr wollen auch wir allem Schlechten abschwören und den Übeln dieser Welt den Kampf ansagen. Jüngster Feind auf der Achse des Guten: Wildtiere im Zirkus. Sogar der Deutsche Bundesrat sich unlängst mit diesem drängenden Problem der Gegenwart beschäftigt und ein Verbot in Angriff genommen. Die „Süddeutsche Zeitung“ pflichtet in der Silvester-Ausgabe bei: Wildtiere im Zirkus dienen weder der Wissensvermittlung noch dem Artenschutz.

Das ist mal ein interessanter Ansatz und würde auch erklären, warum das Finanzamt bislang das Absetzen von Zirkus-Tickets als Weiterbildungsmaßnahme abgelehnt hat. Wer jedenfalls bisher zur Unterhaltung, zum Spaß und Staunen in den Zirkus gegangen sein sollte, hat gleich einen guten Vorsatz mehr fürs Neue Jahr: Schluss mit müßigen Untugenden und zeitgeistunkonformen Kulturgütern.

Nur Miesepeter und notorische Nörgler werden einwenden, dass man anstelle eines Verbots ja auch einfach die Vorgaben für artgerechte Haltung und einen ebensolchen Transport hätte verschärfen können, anstatt dem ohnehin vom digitalen Sensationszeitalter geplagten Analog-Zirkus einen jahrhundertealten Klassiker aus dem Programm zu schneiden. Aber warum so halbherzig an die gute alte Tiernummer herangehen, wenn sie denn noch nicht einmal dem Artenschutz oder der Wissensvermittlung dient.

Gerade jetzt zum Jahreswechsel ist die Zeit, keine halben Sachen zu machen: Pferdedressur ist den Freunden groß-gütiger Fohlenaugen schließlich schon lange ein Dorn in demselben. Auch ist nicht auszuschließen, dass Trapez-Nummern das Risiko komplizierter und teuer zu therapierender Knieerkrankungen fördern. Hier gilt es, keine falschen Kompromisse zu schließen! Weg damit! Auch das Verschleudern wertvoller Leinwand und teurer Farben im Zeitalter der Digitalfotographie sollte konsequent überdacht werden.

Und überhaupt: Im Neuen Jahr wollen wir uns ganz dem Leben in Tugend und Korrektheit verschreiben. Hinweg mit fettiger Nahrung, die Lebensmittel-Ampel auf der Frontseite der Verpackung kann nur ein erster Schritt sein auf dem Weg zum Triumph des Dinkel-Brötchens. Nehmen wir das Genussmittel als solches ins Visier! Wieviel wertvolles Getreide ließe sich für die Welternährung retten, wenn es nicht in anglo-amerikanischen Destillen zu einem unterdurchschnittlich nahrhaften Getränk gebrannt würde!

Ja, es muss darum gehen, den ganzen Geist dieser Mission für ein sinnerfülltes Leben in seiner Totalität zu erfassen und ihm zu folgen: Fair gehandelte Bio-Produkte waren gestern, wer heute nicht auf CO2-Neutralität besteht, versündigt sich an kommenden Generationen! Und nicht zu vergessen, der Wasser-Index. Fleisch-Esser – wir ahnen es bereits – verbrauchen für ihren gedankenlosen Verzehr das Zehnfache der kostbaren Ressource im Vergleich zum Durchschnitts-Veganer. Der Kohlendioxid-Ausstoß eines Joggers liegt bis zu fünfmal über dem eines moderaten Spazierers. Lässt sich der Berlin-Marathon vor diesem Hintergrund überhaupt noch rechtfertigen oder sollte nicht mindestens eine Aufforstungsabgabe an Robin Wood geleistet werden für diesen Weltklima-Frevel!

Nein, gehen wir mutig ins neue Jahr: Zur Weltrettung braucht es keine Hasenfüße! Es geht um nichts weniger, als um die konsequente Vernünftigung des Menschen und seines Alltags. Unvollkommenes, Spleeniges, Genuss, Tradition, Kultur sind Feinde eines effizienten, nützlichen Lebens.

Wieder einmal sind die deutschen Wirtschaftsverbände auch hier schon einen Schritt voraus. Zum Jahreswechsel haben sie sich mit der Forderung zu Wort gemeldet, das von der CSU durchgesetzte Betreuungsgeld lieber in Betreuungseinrichtungen zu investieren. Es sei ein Irrweg, Eltern zur Betreuung der eigenen Kinder zu ermuntern und sie so vom Erwerbsleben fernzuhalten. Schließlich ist der Fachkräftemangel schon heute spürbar.

Der Mangel an Hirn offenbar auch.

Aber vielleicht habe ich das ja auch alles falsch verstanden, und die Zirkustiere sollen nur verboten werden, weil mehr Zirkusmenschen gebraucht werden. Solche, die nach Dinkel-Brötchen schnappen und klimaneutral den Kreislauf der Wirtschaft bedienen. Diesen Ungeist zu vertreiben, könnte man sich schon ein paar ordentliche Böller kosten lassen.

Zumindest aber einen guten Single Malt!

Übererfüllt: Der Gysi-Wagenknecht-Index

November 7, 2011

Früher, also vor etwa 15 Jahren, klopfte man einem Fernseher couragiert aufs Gehäuse, wenn mal wieder das Bild fest hing, seitlich weg flatterte oder sonstwelche Spirenzchen machte. Bei modernen Flachbildschirmen hat man da kaum noch Angriffsfläche. Dafür hängt auch heute das Bild nicht mehr, werden Sie sagen. Wer sich allabendlich die Talkshow-Strecke von ARD und ZDF zu Gemüte führt, wird da rasch Zweifel kriegen.

Inzwischen gelingt es nur noch geübten TV-Nutzern mit Profi-Anspruch, anhand winziger Details den Unterschied zwischen einem Bildschirmschoner und den Gesichtern von Gregor Gysi und Sahra Wagenknecht zu erkennen. Wann immer über Griechenlandkrise, Bankenkrise, den Euro oder die Bundesregierung gesprochen wird, sind Gysi und Wagenknecht schon da.

Insider behaupten, getreu dem Märchen von „Hase und Igel“ säßen die beiden Linksparteiler immer schon im Studio auf ihren Stühlen, wenn die Scheinwerfer angehen und Maybrit Illner oder Günther Jauch zum ersten Probe-Durchlauf hereinkommen. „Ick byn allhier“,  ruft der grinsende Gysi dann und weigert sich standhaft, seinen Platz wieder zu verlassen.

Auch ist der Gysi-Wagenknecht-Index inzwischen zu einer anerkannten medienwissenschaftlichen Kenngröße für die TV-Dauerpräsenz geworden. Wer der magischen Zahl von 1 GW nahekommt, und das schaffen nur die wenigsten, kann für sich sagen: Ich habe es geschafft. Selbst Oskar Lafontaine erreicht in besten Zeiten heute nur noch 0,8 GW und muss sich mit einem wenig schmeichelhaften dritten Platz vor Heiner Geißler (0,74 GW) zufrieden geben.

Um so tückischer, dass sich auch der Soundtrack zum Standbild immer gleicht. Schuld sind immer die Banken oder die Amerikaner oder beide. Griechenland braucht außerdem einen Marshall-Plan, sagt Gysi in monotoner Endlosschleife, damit sie wieder auf die Beine kommen. Was er – selbstgefällig im Sessel hängend – freilich nicht sagt: Die Schulden der Griechen müsste Europa nebenher trotzdem bezahlen bis sein Marshall-Plan in vielleicht zehn oder 15 Jahren die ersten Erträge abwirft. Mit anderen Worten: Ein Land, was die niedrigen Zinssätze des Euro jahrelang verfrühstückt hat, bekommt als Aufmunterung nach dem selbst verschuldeten Kollaps Schuldenhilfe und eine neue Wirtschaftsbasis gesponsort. Man wird sich das gregorgysianische Zeitalter wohl in etwa so vorstellen dürfen, wie das Jenseits, auf das islamistische Selbstmordattentäter gern hinarbeiten.

Bleibt am Ende lediglich die Frage, was deutsche Talkshow-Redaktionen treibt, es mit dem Linkspartei-Proporz derart zu übertreiben. Warum achtet niemand annähernd so liebevoll darauf, dass CSU oder FDP regelmäßig zu Worte kommen? Warum muss eine intellektuell überschaubare Botschaft (Verstaatlichung von Banken, mehr Schulden gegen die Schuldenkrise) mantra-artig im Repetier-Modus abgespielt werden und interessanten Gesprächsbeiträgen die Redezeit rauben?

Fragen über Fragen. Einzige Hoffnung: Vielleicht arbeiten Gysi und Wagenknecht in diesen Tagen ihre TV-Quote der nächsten zehn Jahre ab. Dann hätten wir spätestens ab Januar 2012 unsere Ruhe!

 

 

Mit Sicherheit unsicher: Die Deutschen und das Atom

Mai 18, 2011

Soweit ist es gekommen! Da gerät man in den Ruf, ein Atom-Freak zu sein, nur weil man in einem Akt rationaler Notwehr den Dammbruch jeglicher Irrsinns-Barrieren am nationalen Phobie-Rückhaltebecken verhindern möchte.

Kein Mensch bei Sinnen hängt seine innersten Überzeugungen an eine Maschine oder an eine Technologie. ,Ich glaube einfach an diese Edelstahl-Fräse!’ Oder: ,Das Elektroschweißen gehört zum Kernbestand der festen Wertebasis in der Union.’ Ähnlich absurd wäre irrationales Reaktor-Kuscheln, dem hierzulande auch gar niemand das Wort redet. Nur völlig drangeben möchte man deshalb ein Mindestmaß an Restrationalität denn doch nicht.

Da gerät in Fukushima ein Atom-Meiler in Not, weil er zwar ein deutlich schwereres Erdbeben aushält, als veranschlagt, nicht aber den anschließenden Tsunami. Darauf hin überprüft die deutsche Reaktorsicherheitskommission (RSK) die 17 deutschen Akw und findet das einzige heraus, was man schon vorher wusste: Gegen Flugzeugabstürze sind die meisten Meiler schlecht oder gar nicht gewappnet. Das ist 2002 schon einmal untersucht worden und hat mit Fukushima im Grunde nichts zu tun. Dass jeder deutsche Reaktor mindestens einen vollbetankten A 380 aushalten muss, nimmt man inzwischen ja im Sinne maximaler Risikominimierung hin – obwohl Meteoriten bei diesem Szenario sträflich vernachlässigt werden.

Die RSK hat durch die Bank alle denkbaren Katastrophen durchgespielt (Erdbeben, Hochwasser, Stromausfälle, Gas-Explosionen etc.) und zu den bisher angenommenen Schadensintensitäten immer noch eins drauf geschlagen. Fazit: Die deutschen Akw sind weitgehend robust gegen solche Unfälle und sicher. Dass dies für große Teile der Öffentlichkeit so nicht akzeptabel ist, hätte man freilich vorher wissen können. Schließlich beginnt das Problem ja schon bei den „denkbaren Katastrophen“, denn die deutsche Öffentlichkeit erwartet selbstverständlich die Absicherung gegen undenkbare Störfälle.

Die Mehrheitsschlagzeile lautete denn auch am Tag danach: Deutsche Atom-Kraftwerke sind nicht sicher! Begründung: Das Gutachten bescheinige nicht allen Akw in allen Kategorien die höchste Sicherheitsstufe 3. Stimmt. Wenn ein Reaktor gar nicht in einer Flutgefährdungszone liegt, muss er auch nicht die 10 000jährliche Maximalflut aushalten (auf die die RSK sicherheitshalber noch einen Meter draufgeschlagen hat). Stufe 2 könnte unter Umständen ausreichen. Allerdings nicht im Land der Fahrradhelme und Überversicherten.

Im Grunde stand die Kommission von Anfang an auf verlorenem Posten. Die Deutschen wollen in puncto Atomkraft einen überirdischen Sicherheitsstandard vollkommener Risikolosigkeit. Und selbst dann würden sie vorsichtshalber doch lieber aus dieser Technik aussteigen. Nun ist des Menschen Wille bekanntlich sein Himmelreich. Sei’s drum. Erstaunlich ist allerdings, dass dieser Absicherungsdrang nicht konsequenterweise etwa auf Kreuzfahrtschiffe, auf Stadien als Terrorziele oder industrielle Chemieanlagen übertragen wird. Oder anders gesagt: Die Deutschen hatten verdammtes Glück, dass sie bis heute überlebt haben. Toi, toi, toi!

Der bin-Laden-Coup im Spiegel der deutschen Stil-Kritik

Mai 6, 2011

Wer bisher glaubte, der Gipfel von Dekadenz werde in Wein-Kolumnen („samtiger Abgang mit einem Hauch Holunder und seeseitig blühendem Majoran“) oder den Fukushima-Episteln des ZEIT-Feuilletons („orgasmische Entladung“) erreicht, wurde in der zurückliegenden Woche eines noch Schrägeren belehrt: Die Stil-Kritik des internationalen Anti-Terror-Einsatzes gegen Osama bin Laden.

Es beginnt mit einem absoluten „No Go“ der Militär-Etikette: Das Erschießen eines weltweit gesuchten Groß-Terroristen ohne Warnanruf, Verlesung der Rechte und Überprüfung auf Bewaffnung. Die Akribie, mit der die Details des Hergangs hierzulande analysiert wurden, lassen zudem den Schluss zu, dass der Ehrenkodex des großen Western-Helden Wyatt Earp direkten Eingang in die UN-Charta der Menschenrechte gefunden hat: Mannhaft im Feuergefechte hätte man bin Laden gerade noch füsilieren dürfen. Für den Fall, dass er womöglich unbewaffnet war, erfolgt die publizistische Überstellung der diensthabenden Navy Seals an das Kriegsverbrechertribunal in Den Haag. Schließlich hätte man fairerweise auch warten können, bis Leibwächter oder andere Verstärkung auf Seiten des Terror-Drahtziehers, der Aktion wieder zu sportlicher Fairness verholfen hätten.

Dass die kulturlosen Amerikaner den Tod des wohl bekanntesten Hass-Video-Darstellers feiern und sich die deutsche Bundeskanzlerin gar noch darüber freut, ist ebenfalls ein klarer Fall zum Nachsitzen im Al-Qaida-Benimm-Kurs. Stillosigkeit Nummer drei: die Seebestattung. Mit muslimischem Beerdigungsritus nur schwer in Einklang zu bringen, schrieben verschiedene Feuilletonisten, die sich zu diesem Zwecke eigens in die Kulturtraditionen islamischer Glaubensrichtungen einlasen.

Man muss sich also kaum noch wundern, dass die Amerikaner auch bei der Wahl des Code-Namens der Operation einen unverzeihlichen Stil-Fauxpas begingen: „Geronimo“! Ausgerechnet „Gironimo“! Die Fachzeitschrift „Terror In Style International“ würde diesen geschmacklosen Rückgriff auf den Legendären Apachen-Führer in ihrer wöchentlichen Kolumne „Hass Du mich gesehen!“ vermutlich mit drei schwarzen Kalaschnikows abwärts bewerten. Fassungsloses Kopfschütteln auch bei den versammelten Army-Anstandskritikern von „Vier gewinnt“ auf n-tv.

Das Fazit: Der weltweit meistgesuchte Terrorist ist gefasst, ABER das allein kann es ja doch wohl nicht sein! Völkerrechtlich unzulässig, mit Pakistan nicht abgesprochen, und in der Umsetzung so peinlich wie ein Chateau Lafite-Rothschild zum Dessert oder hellblaue Socken zur braunen Hose. Eine formvollendete Entschuldigung beim Generalsekretariat von Al Qaida und angemessene Ausgleichszahlung an den Witwen-Fonds erfolgreicher Selbstmord-Attentäter ist das Mindeste, was Washington nach dieser peinlichen Pleite schuldig ist…

Entschuldigungszettel (Gastbeitrag für FAS)

Januar 6, 2011

Liebe Frau Gesine Lötzsch, Sie haben im Fachblatt für den jung gebliebenen Alt-Dogmatiker „Junge Welt“ erklärt, dass der „Weg zum Kommunismus steinig“ werde, aber man müsse sich halt immer wieder aufmachen und ihn ausprobieren. Ich persönlich möchte Ihnen für diesen Weg alles erdenklich Gute wünschen, würde aber, wenn es sich einrichten ließe, diesmal gern nicht wieder mitmachen. Ich hatte (ungefragt) die Gelegenheit, beim ersten Versuch 25 Jahre meines Lebens mit von der Partie zu sein, und bitte darum, beim nächsten Mal aus familiären Gründen aussetzen zu dürfen. Es hat mir – aber das ist meine ganz private Meinung – nicht so viel Spaß gemacht, wie man uns versprochen hatte. Meine Skepsis bezüglich eines weiteren Versuches bitte ich daher zu entschuldigen. Besonders weit waren wir ja auch nicht gekommen, wenn man es genau nimmt. Wenn ich mich recht erinnere, wollte die SED zuletzt die „Grundlagen der entwickelten sozialistischen Gesellschaft“ aufbauen. Aber diese ganzen Phasen und Phrasen waren ein wenig verwirrend. Vielleicht verwechsle ich das auch.

Willy Brandt hat einmal gesagt, der Fortschritt sei eine Schnecke. Bei der SED-PDS-Linken bringt dieses ansich sympathische Häuslebauer-Tier das Kunststück fertig, mit nur einem Schleimfuß sogar auf der Stelle zu treten. Was das Weltbild anbelangt, lernen Sie, liebe Frau Lötzsch, ganz offensichtlich aus den Fehlern aller anderen, dass Sie aus Ihren eigenen nichts lernen müssen. Ihr Thüringer Parteifreund Bodo Ramelow hat feinsinnig erklärt, dass Sie mit Kommunismus selbstverständlich nicht den „Stalinismus“ meinen. Kommunismus, das habe ich noch in der ersten Reisegruppe dorthin gelernt, ist gekennzeichnet durch die „Führung der revolutionären Partei neuen Typs“ und Vergesellschaftung der Produktionsmittel. Wenn Sie jetzt womöglich etwas anderes unter Kommunismus verstehen, sollten Sie es der Verständlichkeit halber auch anders nennen. Oder ist Blau das neue Rot und der Weg zum Kommunismus führt diesmal nach Dubai? Zum Kommunismus jedenfalls ist historisch gesehen alles gesagt, wenn man mal davon absieht, dass es noch einige Ochsen und Esel gibt, die ihm nachlaufen wollen.

Allein die Tatsache, dass ich mir im Abendprogramm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens eine Talkshow über das Für und Wider des Kommunismus ansehen muss, ist für mich schon eine Zumutung. Ihr Auftritt war eine intellektuelle. Sie sprechen jetzt gern davon, dass Sie den „demokratischen Sozialismus“ aufbauen wollen. Nun gut, das will die SPD auch. Von Ihnen würde ich nun gern wissen, ob der „demokratische Sozialismus“ also das Gleiche ist wie der „Kommunismus“, nur besser klingt oder ob es da doch noch Unterschiede gibt. Dann müssten Sie uns bitte erklären welche und warum Sie nun doch nicht mehr für den K. sind, sondern den DS anstreben.

Mag sein, dass der Weg, Ihr Weg, zum Kommunismus steinig wird. Der Weg des Kommunismus selbst war blutig, und der Weg aus dem Kommunismus wieder heraus war elend und erbärmlich. Ich hatte bisher angenommen, dass Sie und die maßgeblichen Leute Ihrer Partei das zumindest das in den vergangenen zwanzig Jahren gelernt hätten und es inzwischen ähnlich sähen. Ich habe mich getäuscht. Selbst wenn Sie unter Kommunismus nicht das leninistisch starre Theorie-Gebilde sehen, sondern eine eher abstrakt gefasste Gesellschaft gleicher, freier und engagierter Menschen, eine Art glücklicher Kommune eben (die wohl Klaus Peymann in seinen Plädoyers meint), dann wissen selbst durchschnittlich begabte Zeitgenossen heute, dass es solche Inselchen der Seligen nicht gibt. Sie scheitern am Menschen und seinen Unzulänglichkeiten, seinem Wunsch nach mehr, der die Welt zwar voranbringt, aber eben mitunter auch zerstört. Darum wird eine humane Gesellschaft immer eine ungleiche unzulängliche Gesellschaft sein, in der Wettbewerb herrscht, bei dem es Gewinner und Verlierer gibt. Die meisten anderen Parteien arbeiten daran, diese unvollkommene Gesellschaft besser zu machen und Korrekturen anzubringen, wo es aus Fehlern etwas zu lernen gibt. Sie dagegen wollen irgendwohin anders aufbrechen. Da mache ich nicht mit. Dass Sie den Weg dahin ausgerechnet mit der DKP-Vorsitzenden und einer Ex-Terroristin beim Rosa-Luxemburg-Kongress diskutieren wollten, gibt mir aber weiterhin einige Rätsel auf, was den Kompass Ihrer humanen und sonstigen Gesinnung angeht.

Der Kommunismus ist ein gesellschaftliches Idealbild, am ehesten vielleicht noch mit dem christlichen Paradies vergleichbar. Wer beides im Diesseits zu errichten versucht, endet unweigerlich in der Tyrannei. Es ist kurios genug, dass ein Kongress über „Wege zum Kommunismus“ überhaupt abgehalten wird. Stellen Sie sich vor, die Evangelische Akademie Tutzing veranstaltete ein Seminar „Wege zum Paradies“ – man würde die ehrwürdige Einrichtung zu Recht für verrückt erklären, und es zögen auch unschöne Assoziationen von Sektierertum und Gotteskriegern vor dem geistigen Auge auf. Völlig folgerichtig, weil sich bei solchen visionären Großprojekten wie dem Kommunismus immer auch die Frage des Umgangs mit Abweichlern, Zweiflern und kritischen Flügeln stellt. Und wie gehabt, wird die schöne, hehre Vision ihren Verfechtern auch beim nächsten Anlauf zu groß und wertvoll sein, als dass man sie wegen mangelnder Einsicht einiger Querulanten aufgeben wollte.

So werden Sie also auch in Ihrer angestrebten klassenlosen All-You-Can-Eat-Gesellschaft sich alsbald mit jenen auseinandersetzen müssen, die am Gemeinschaftsbuffett ihre Teller zu voll machen oder über die zugeteilten Mengen zumindest diskutieren wollen. Da wird wiederum hartes Durchgreifen gefragt sein, und Diskussion ist ja bekanntlich der Beginn der Zersetzung.

Ich muss allerdings sagen, dass Ihr Gesellschaftsbild, wie Sie es etwa bei Maybritt Illner gezeichnet haben, von so atemberaubender Schlichtheit und Naivität geprägt ist, dass ich mich gefragt habe, wie man es damit an die Spitze einer Partei schaffen kann. Die Freiheit koppeln sie völlig an das materielle Vermögen der Menschen. Nur wer genug besitzt, sagen sie, kann die Freiheit in diesem Lande auch nutzen. Welch kolossales Missverständnis! Freiheit setzt die Menschen in die Lage, entsprechend ihrem Geschick und ihrer Leistung Anteile an materiellen Gütern zu erwerben. In Ihrer Logik ist Wohlstand gewissermaßen eine voraussetzunglose Vorbedingung für die Inanspruchnahme von Freiheit. In diesem Weltbild wäre ein Gefängnis mit Vollverpflegung einem Lagerfeuer in freier Wildbahn vorzuziehen.

Wahrscheinlich ist das Punkt, an dem wir uns niemals einigen werden. Freiheit darf keine Bedingungen haben. Eher können wir darüber reden, was man tun kann, dass möglichst jeder die Chancen der Freiheit auch wirklich nutzen kann. Sie hingegen machen die Mehrheit zu Opfern, denen man erst etwas austeilen muss, bevor sie sich um sich selbst kümmern können. Damit tun Sie den Betroffenen Unrecht und dem Rest auch, der die zu verteilenden Güter erwirtschaften soll.

Interessant an der K-Debatte fand ich auch die Kritik von Ihrem Vorgänger Gregor Gysi, der darauf hingewiesen hat, dass eben viele Menschen – im Westen mehr als im Osten – bei dem Wort Kommunismus noch immer an Pol Pot, Stalin und den Gulag dächten. Das ist sehr verständnisvoll von Herrn Gysi, und ich möchte darauf hinweisen, dass diese Assoziationen nicht ganz aus heiterem Himmel und als kindlicher Aberglauben in den Köpfen herumspuken. Das alles gab es wirklich. Wenigstens macht Gysi aber keinen Hehl daraus, dass er die Wähler nicht verschrecken, sondern mit harmloserer Wortwahl einlullen will. Das ist sein gutes Recht als Politiker. Da ich aber wie viele Menschen meine Erfahrungen aus der Vergangenheit herleite, halte ich Antikommunismus ausdrücklich noch immer für eine Tugend. Aber vielleicht gelingt Ihnen ja der Gegenbeweis.

Liebe Frau Lötzsch, wenn wir schon dabei sind, eine kleine Bitte noch zum Schluss: Würden Sie die neue Staffel von DSDK bitte nicht wieder hier starten. Ich bin in meinem Leben genug umgezogen und würde es ungern wieder tun. Ich denke, der revolutionären Vorhut ist ein Ortswechsel vielleicht im Dienste der Sache eher zuzumuten.

So kann ich Ihnen am Ende für Ihren Weg zum Kommunismus nur gutes Gelingen wünschen. Wer wollte sich schließlich dem Projekt einer sozialen, gerechten und freien Gesellschaft ernsthaft verschließen. Niemand tut das. Meinungsverschiedenheiten gibt es lediglich über den Weg dorthin. Eines kann ich Ihnen allerdings versichern: Wenn bei Ihrer Kommune Nummer zwei auch nur eines der drei Attribute fehlen sollte, wenn der erste Oppositionelle am Pranger steht oder die Reisefreiheit eingeschränkt wird, bekommen Sie großen Ärger. Ich zumindest werde nicht wieder so lange unentschlossen, rat- und tatenlos zusehen. Sie haben in Ihrem Wahlkreis Berlin-Hohenschönhausen viele wackere Wähler. Ich weiß aber auch einen Ort in Hohenschönhausen, wo ich jederzeit mit Unterstützung rechnen kann.

In diesem Sinne alles Gute für Sie und uns