Archive for April 2011

Folgsames Volk gesucht

April 22, 2011

Die Grünen haben dieser Tage in Baden-Württemberg vor einer schwierigen Entscheidung gestanden: In den Koalitionsverhandlungen mit dem potenziellen Koalitionspartner SPD sollten sie einem basisdemokratischen Volksentscheid über das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ zustimmen, bei dem nicht klar war, was dabei herauskommt. Fiese Demokratie das! In der planwirtschaftlichen Variante war jedenfalls auch die Wählerbefragung besser berechenbar. Mit unverhohlenem Bauchgrimmen haben sie sich schließlich doch noch dazu durchgerungen, den Volksentscheid mitzutragen.

Sorge bereitet den Freunden von Lurch und Sonnenblume vor allem, wie sie im Falle eines Votums zugunsten von „Stuttgart 21“ ihren Wählern wieder unter die Augen treten sollen. Im Wahlkampf hatten die Grünen versprochen, sich gegen den unterirdischen Bahnhof stark zu machen. Sollen sie nun etwa ihren Anhängern sagen, dass es dafür in der Bevölkerung keine Mehrheit gibt und sie sich auch als Regierungspartei danach richten wollen?! Eine ziemlich bittere Pille, wenn man sich als Grüner so verhalten muss, wie die Kanzlerin in der Atompolitik. Dass sich auch Grünen-Wähler womöglich demokratischen Gepflogenheiten unterordnen müssen, deren Einführung sie selbst immer vehement gefordert haben, scheint eine ziemliche Zumutung zu sein.

Das Hauptproblem beim Volksentscheid nach baden-württembergischem Landesrecht ist nämlich, dass für einen Erfolg ein Drittel aller Wähler zustimmen muss – nicht nur eine Mehrheit der Teilnehmenden. Das Quorum sei zu hoch befanden die Grünen deshalb schon im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen, bekommen ohne die oppositionelle Union aber keine Zweidrittelmehrheit für eine Änderung zustande.

Mit dieser Ansicht, die Quoren müssten gesenkt werden, damit mehr Volksentscheide zu klaren Ergebnissen kommen, stehen die Grünen freilich nicht allein da. Viele Initiativen für direkte Demokratie wollen die Mindestteilnehmerzahl bei solchen Befragungen deutlich senken. Auf 25 oder gar 20 Prozent der Wahlberechtigten. Stellt sich nur die Frage, was es noch mit Demokratie zu tun hat, wenn eine Mehrheit von, sagen wir 20 Prozent Teilnehmern für etwas stimmt. Nach diesem Modell könnten beispielsweise zwölf Prozent der Wahlberechtigten dem Rest ihren Willen aufzwingen. Beim Entscheid um das Berliner Projekt „Mediaspree“ lagen die Zahlen etwa in dieser Größenordnung.

Volksentscheide werden so zum billigen Geschäftsordnungstrick, mit dem Minderheiten der lethargischen Mehrheit ihren Willen aufzwingen können und sich dabei auch noch demokratisch dünken. Natürlich kann man es auch halten wie die Schweizer: „Nichtstimmer Maul halten!“,  lautet deren Motto. So rüde würden sich deutsche Demokratie-Theoretiker natürlich nie ausdrücken. „Im Gleichschritt, Marsch“, klingt in deutschen Ohren ohnehin vertrauter…

Zurück an Absender: Die Tragik des Bildungspakets für Geringverdiener

April 19, 2011

Ein Paket wird verschickt, und nirgends kommt es an. Das so genannte Bildungspaket, mit dem Sozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Hartz-IV-Reform flankieren und benachteiligten Kindern Teilhabe an Sport, Musik und Nachhilfe sichern wollte, wird von der Zielgruppe einfach nicht abgeholt. Erst zwei Prozent der Berechtigten haben die Gelder für den Nachwuchs beantragt, ergab eine erste Zwischenbilanz.

Und wie immer bei solchen Gelegenheiten, war guter Rat so teuer wie wohlfeiler Kommentar billig: Ein bürokratisches Monstrum sei das Paket, hieß es. Den Betroffenen seien die neuen Fördertöpfe nicht bekannt, der Gang zum Amt sei ihnen nicht zuzumuten, und es wäre überhaupt besser gewesen, wenn die Schulen das Geld verteilten, die ja eh besser wüssten, wo was gebraucht wird.

Fangen wir mit dem Letzteren an: Die Schulen als externe Auszahlstelle der Sozialämter? Hat irgendwer mal über diese famose Idee auch nur einen Augenblick nachgedacht? Soll der Lehrer nach eigenem Gutdünken Gutscheine verteilen oder beim Kontrollieren der Klassenarbeiten die Bedarfsprüfung (Einkommensbeleg der Eltern, Zuwendungsbescheide etc.) gleich mit erledigen? ‚Du kommst klar, du kriegst einen Nachhilfe-Bon.’ ‚Der Kevin ist so musikalisch, der kriegt heute mal einen Musikschul-Gutschein…’

Möglich wäre allenfalls, das zusätzliche Geld in den Bildungsetat der Länder zu geben, damit diese Klassenstärken verringern oder Hilfslehrer einstellen. Damit freilich entfiele die angestrebte individuelle Förderung, und es würden vor allem diejenigen profitieren, die solche Angebote nachfragen, nicht jene, die sie brauchen.

Sozialer Rechtsstaat ohne Bürokratie – um gleich den nächsten Vorwurf aufzugreifen – begünstigt Willkür und Missbrauch. Wer will, dass Geld dort ankommt, wo es hin soll,  wird sich mit Behörden und Beamten anfreunden müssen. Schließlich erwartet auch der steuerzahlende Geber von Sozialleistungen hinterher Rechenschaft über Verbleib und Effekt der Mittel. Staatliche Bildungsgutscheine lassen sich nicht nach dem Prinzip der „Berliner Tafel“ verteilen an jeden der vorbeikommt.

Bleibt schließlich der Punkt Information über das Paket und der Gang zum Amt: Mag sein, dass die Existenz des Bildungspaketes an einigen in der avisierten Zielgruppe vorbeigegangen ist. Aber fragen wir anders herum: Was ist von Menschen zu halten, die eine monatelange Debatte über ihre eigenen Belange nicht zur Kenntnis nehmen? Oder die sie zur Kenntnis nehmen, aber den Gang zum Amt nicht der Mühe wert halten. Ist es unbillig, dass der Sozialstaat einen gewissen Eigenanteil an Engagement und Interesse als individuelle mentale Kofinanzierung für die Leistungen der Gemeinschaft einfordert? Entspricht es einem humanistischen Menschenbild, Schwächere in der Gesellschaft wie von sozialen Vollzeit-Pflegekräften umsorgen zu lassen – selbst auf die Gefahr hin, dass der letzte Aktivitätsreflex in dem Betroffenen gänzlich erlischt? Ist es nicht im Gegenteil sehr viel mehr im Sinne der Menschenwürde, soziale Schwäche nicht mit Entmündigung zu vergelten?

Natürlich ist es das. Und doch kommt man an diesem Punkt nicht weiter: Es geht um die Kinder solcherart antriebsloser Zeitgenossen, die eine Vererbung von Lethargie und Unvermögen als Sozial-Schicksal nicht verdient haben. Und bevor nun gleich der Nächste ein neues Beschäftigungsprogramm für Sozialarbeiter fordert, die die Kinder aus ihren Familien rausholen, sollte man sich vielleicht einfach mal eingestehen, dass auch der Sozialstaat an seine Grenzen stoßen, rat- und hilflos sein kann. Keine schöne Botschaft für Allmacht-erwartende Bürger und allzuständige Poltiker. Aber vielleicht eine ehrliche. Zur Abwechslung.

Sado-Maso-Publizistik

April 7, 2011

In einem sind sich die meisten Kommentatoren der jüngsten FDP-Revolte einig: Der neue Liberalen-Chef Philipp Rösler ist geschwächt, weil er sich das lukrativere Wirtschaftsministerium hätte greifen sollen, um von dort aus die Partei komfortabel zu repräsentieren. Statt dessen habe er nun nach wie vor das schwierige Gesundheitsressort mit seinen komplizierten, kleinteiligen Entscheidungen am Bein, in dem man so  recht die Sympathie der Menschen nicht gewinnen könne.

Nun ist Sado-Masochismus ja inzwischen eine anerkannte Spielart menschlicher Lust, aber dass sie sich seit geraumer Zeit auch in die politische Publizistik infiltriert, ist doch ein bemerkenswerter Befund. Im Klartext heißt der Rat an Rösler nichts anderes, als: Wir Wähler wollen professionell hinters Licht geführt werden. Da wäre mehr drin gewesen!

Botschaft: Rösler hätte den Mühen des realen politischen Tagesgeschäfts raffiniert aus dem Weg gehen und die weniger meritenträchtige Kärrnerarbeit im Gesundheitsministerium bei dieser Gelegenheit einem anderen liberalen Dämelack überhelfen sollen, um in den Augen des ohnehin doofen Publikums heller zu glänzen.

Nun wissen wir, dass Politik so funktioniert, und vermutlich hätte der lächelnde Viet-Niedersachse diesen Deal auch praktiziert, wenn er ihn intern denn durchbekommen hätte. Nur dass die politverstehenden Kommentar-Klassenbesten solche Ränke gar noch einfordern, ist denn doch ein wenig zu viel des Miesen. Wie wäre es, wenn man von Rösler gute, verständliche Gesundheitspolitik und liberale Strahlkraft erwarten und verlangen würde?! Wie wäre es, wenn man als medialer Sachwalter der einfachen Bürger nicht den ausgebufften und abgewichsten Politikberater mimen, sondern echtes politisches Talent fordern würde? Wie wäre es, wenn man politisches Schmierentheater entlarven und kritisieren würde, statt es zum Ideal zu erheben?

Die Ethik der Angst

April 5, 2011

Angst ist ein guter Ratgeber, wenn man auf Unbekanntes trifft. Seit der ersten Begegnung mit einem Mammut, ist der Mensch gut beraten, seine Gegenüber erst einzuschätzen, bevor er den Kampf mit ihnen aufnimmt.

Angst ist ein schlechter Ratgeber, wenn es um den Umgang mit bekannten Phänomenen geht. Hier hilft der Verstand in der Regel weiter. Angst ist oft trügerisch. Oder wie ist zu erklären, dass vor dem Straßenverkehr niemand Angst hat, obwohl in den letzten fünfzig Jahren allein auf Deutschlands Straßen mehr Menschen starben als Bielefeld Einwohner (325 000) hat? Man kann es damit erklären, dass es ein vereinzelter Tod ist, kein Massensterben und damit, dass jeder glaubt, es werde ihn schon nicht erwischen. Und doch ändert das nichts daran, dass der Tod im Straßenverkehr ein manifestes Risiko ist und kein restliches. Beim Strahlentod hingegen, gehen die meisten Deutschen davon aus, dass er sie erwischen könnte. Das ist zumindest seltsam.

Allein schon der Vergleich von friedlicher Atomkraft und Verkehrstoten (weltweit Jahr für Jahr mehr als 600 000) wird gemeinhin als zynische Zumutung empfunden, obwohl selbst bei konservativster Rechnung daran nicht so viele Menschen gestorben sind. Auf die Idee, dass an der Risikowahrnehmung etwas nicht stimmen könnte, kommt hierzulande trotzdem niemand.

Nun gut, wenn die Deutschen nun mal möglichst sofort aus der Kernenergie aussteigen wollen, sei es halt so. Demokratie ist keine Wahrheitskommission und kein Expertenrat, sondern Mehrheitswille. Ethikkommission hin oder her – auch sie wird den Menschen nicht sagen: Leute, ihr spinnt und habt einen Flitz mit dem Atom. Ganz einfach wird das mit dem Ausstieg allerdings nicht werden, schließlich müssen drei Energielücken gleichzeitig gefüllt werden:

Erstens muss die Energie ersetzt werden, die durch die abgeschalteten Atommeiler wegfällt.

Zweitens muss die zum Erreichen der ehrgeizigen deutschen Klimaziele der Kohle-Komplex der Energiewirtschaft kompensiert werden.

Und drittens wird der Energiebedarf der Industrienationen in absoluten Zahlen weiter steigen. Und auch dafür muss zusätzliche Energie her.

Letzteres liegt zum Beispiel daran, dass angeblich die nächste Generation des Automobils elektrisch betrieben wird. Auch nach dem Atomausstieg bleibt das Auto so tödlich wie bisher, aber wenigstens ist dann sein Antriebsstrom nicht mehr so mordsgefährlich.

Apropos Israel

April 3, 2011

Man muss schon genau hinsehen, wenn man Bewegung erkennen will. Wenn man genau hinsieht, erkennt man sie aber durchaus. Die Regierung unter Palästinenser-Premier Salman Fayyad jedenfalls scheint sich große Mühe zu geben, einen funktionierenden Staat aufzubauen. Ein kleiner Wirtschaftsaufschwung hilft ihr dabei und könnte dazu führen, dass Ramallah mit Stabilität in Vorleistung tritt, damit Israel irgendwann liefern muss. So zumindest die Hoffnung, die ja in dieser Region schon zu häufig getrogen hat. Die ganze Geschichte hier….

Und noch etwas tut sich im Heiligen Land: Investoren aus Israel interessieren sich ausgerechnet für die neuen Bundesländer. Neonazis sind offensichtlich kein Thema. Und wenn man es sich genauer überlegt, ist es schon kurios, dass ausgerechnet eine israelische Firma in Deutschland Altenpflegeheime baut – für die deutsche Kriegsgeneration…