Die Grünen haben dieser Tage in Baden-Württemberg vor einer schwierigen Entscheidung gestanden: In den Koalitionsverhandlungen mit dem potenziellen Koalitionspartner SPD sollten sie einem basisdemokratischen Volksentscheid über das Bahnprojekt „Stuttgart 21“ zustimmen, bei dem nicht klar war, was dabei herauskommt. Fiese Demokratie das! In der planwirtschaftlichen Variante war jedenfalls auch die Wählerbefragung besser berechenbar. Mit unverhohlenem Bauchgrimmen haben sie sich schließlich doch noch dazu durchgerungen, den Volksentscheid mitzutragen.
Sorge bereitet den Freunden von Lurch und Sonnenblume vor allem, wie sie im Falle eines Votums zugunsten von „Stuttgart 21“ ihren Wählern wieder unter die Augen treten sollen. Im Wahlkampf hatten die Grünen versprochen, sich gegen den unterirdischen Bahnhof stark zu machen. Sollen sie nun etwa ihren Anhängern sagen, dass es dafür in der Bevölkerung keine Mehrheit gibt und sie sich auch als Regierungspartei danach richten wollen?! Eine ziemlich bittere Pille, wenn man sich als Grüner so verhalten muss, wie die Kanzlerin in der Atompolitik. Dass sich auch Grünen-Wähler womöglich demokratischen Gepflogenheiten unterordnen müssen, deren Einführung sie selbst immer vehement gefordert haben, scheint eine ziemliche Zumutung zu sein.
Das Hauptproblem beim Volksentscheid nach baden-württembergischem Landesrecht ist nämlich, dass für einen Erfolg ein Drittel aller Wähler zustimmen muss – nicht nur eine Mehrheit der Teilnehmenden. Das Quorum sei zu hoch befanden die Grünen deshalb schon im Vorfeld der Koalitionsverhandlungen, bekommen ohne die oppositionelle Union aber keine Zweidrittelmehrheit für eine Änderung zustande.
Mit dieser Ansicht, die Quoren müssten gesenkt werden, damit mehr Volksentscheide zu klaren Ergebnissen kommen, stehen die Grünen freilich nicht allein da. Viele Initiativen für direkte Demokratie wollen die Mindestteilnehmerzahl bei solchen Befragungen deutlich senken. Auf 25 oder gar 20 Prozent der Wahlberechtigten. Stellt sich nur die Frage, was es noch mit Demokratie zu tun hat, wenn eine Mehrheit von, sagen wir 20 Prozent Teilnehmern für etwas stimmt. Nach diesem Modell könnten beispielsweise zwölf Prozent der Wahlberechtigten dem Rest ihren Willen aufzwingen. Beim Entscheid um das Berliner Projekt „Mediaspree“ lagen die Zahlen etwa in dieser Größenordnung.
Volksentscheide werden so zum billigen Geschäftsordnungstrick, mit dem Minderheiten der lethargischen Mehrheit ihren Willen aufzwingen können und sich dabei auch noch demokratisch dünken. Natürlich kann man es auch halten wie die Schweizer: „Nichtstimmer Maul halten!“, lautet deren Motto. So rüde würden sich deutsche Demokratie-Theoretiker natürlich nie ausdrücken. „Im Gleichschritt, Marsch“, klingt in deutschen Ohren ohnehin vertrauter…