Archive for Mai 2012

Einsicht und Konsequenz

Mai 23, 2012

Manche nennen es bekloppt, manche nennen es typisch deutsch. Die Debatte über den Euro, die Euro-Rettung und das neue Buch von Thilo Sarrazin wirft vor allem eine Frage auf: Warum können wir nicht einfach alle Europäer sein? Wenn die schöne Vision vom friedlich-geeinten Wohlstandskontinent ganz offensichtlich (noch?) nicht funktioniert – wo unterscheiden wir uns. Warum bringt die Einheitswährung unsere Verschiedenheit an den Tag? Worin liegt sie? Und schließlich: Ist das eigentlich schlimm?

Da die Synchronisierung der europäischen Staaten mit Hilfe der vermeintlich harten Wirtschaftsdaten (Maastricht-Kriterien, Konvergenz etc.) ja offensichtlich irgendwo einen Denkfehler enthalten muss, nähern wir uns den National-Temperamenten mal mit einem anderen Ansatz: Einsicht und Konsequenz. Geht man davon aus, dass die Fähigkeit zur Einsicht in elementare Zusammenhänge einigermaßen gleichverteilt ist auf der Welt und in Europa, so könnte die ent- und unterscheidende Variable in der Konsequenz liegen.

Mit anderen Worten: Womöglich sind nicht all unsere Nachbarn und Freunde ganz so verliebt ins konsequente Umsetzen dessen, was man für richtig erkannt hat. Natürlich wäre es sinnvoll, rechtzeitig für die Rente vorzusorgen, aber wenn es in jungen Jahren gerade nicht passt, wird’s auch so irgendwie gehen. Die Deutschen dagegen schaffen zur staatlichen Umlagen- noch die private Riesterrente, denken rechtzeitig an die Pflege und legen selbst für Ungeborene schon Guthaben in Schatzbriefen an. Die Deutschen haben erkannt, dass es ab einem gewissen Schuldenstand einfach nicht mehr weitergeht und wollen nun einen Fiskalpakt, der festschreibt, dass jeder nur noch ausgibt, was er einnimmt.

Wir Deutsche halten es für ein Naturgesetz, dass man aus gewonnener Einsicht, unbedingt auch die naheliegende, logische Konsequenz ziehen müsse. Deshalb haben wir in unserer Geschichte auch schon mehrfach aus falschen Einsichten konsequent verheerend falsche Schlüsse gezogen und führen in harmloseren Fällen das völlig sinnlose Dosenpfand ein oder versuchen unsere Volkswirtschaft ruinös für einen Klimawandel herunterzudimmen, den wir noch längst nicht verstanden haben. Andere Europäer sehen das viel entspannter. Schließlich kann man auch mit einem eiernden Fahrrad losfahren, wenn man keine Lust zum Reparieren hat.

Dem Französischen Präsidenten Francois Hollande ist das Problem der Verschuldung auch klar, aber er findet es wünschenswert, dass die Wirtschaft wieder wächst, damit man die Schulden aus den künftigen Überschüssen tilgen kann, statt ans Eingemachte zu müssen. Wenn man bisher kaum verschuldet war, kann das Ankurbeln der Ökonomie mit frisch geborgtem Geld funktionieren (an einschneidende Reformen denkt er vermutlich eher nicht). Wenn man aber bereits tief im Schuldenloch sitzt, muss man aufhören zu graben. Deutsche und Franzosen teilen die Einsicht ins Problem und kommen zu unterschiedlicher Konsequenz.

Was nicht weiter schlimm wäre, säße man nicht im gleichen Euro-Boot. Weil aber die europäischen Eliten geradezu vernarrt sind in den Traum vom ge- und vereinten Kontinent, treibt die Gemeinschaftswährung in die Trennung. Denn die politische Integration zu erzwingen, wie es Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) immer wieder wünscht, wird nicht funktionieren. Zumindest nicht auf demokratischem Wege.

Darum hat Thilo Sarrazin schlichtweg Recht, wenn er sagt: „Europa braucht den Euro nicht“. Jedes Land könnte nach seiner Facon finanzpolitisch selig werden, wie es in allen anderen Teilen der Welt funktioniert und hätte ggf. selbst den Schaden, wenn es nicht funktioniert. Und so ist denn inzwischen das Hauptargument für den Euro, dass man ihn  ohne Schaden nicht mehr abschaffen könne, wie man auch Zahnpasta nicht wieder in die Tube und Rührei nicht mehr getrennt bekommt. Viel armseliger geht’s kaum.

Und wieder geht ein Gespenst um in Europa, nur diesmal ist es das Gespenst der „Renationalisierung“, wie Jane Teller in der WELT schreibt. Eine These, die hinten und vorn nicht stimmt. Denn erstens gibt es gar keine „Entnationalisierung“, zweitens sind selbstbewusste Nationen kein Gespenst, und drittens ist ihr Essay eine hübsche Liste, dessen, was alles Geschehen müsste, damit Europa zusammenwächst. Und wenn der Mond an die Welt stieße, könnte man hinüberhüpfen.

Und noch etwas spricht für Sarrazins Euro-Thesen: Wenn der Euro den Kontinent so kolossal voran brächte, müssten Weltbank, EZB und IWF auf Krisengipfeln besprechen, wie man den europäischen Wachstumsmotor weltverträglich herunterbremsen kann. Statt dessen beschäftigt sich eine endlose Abschiedstournee von EU-Krisengipfeln mit der Perma-Reanimation des monetären Hoffnungsträgers.

Wäre es nicht an der Zeit, der Realität endlich ins Auge zu blicken, hübsch Schnittlauch auf das Rührei, eine Prise Salz, und hinterher anständig Zähne putzen…

Lustig ist das Piratenleben – faria, faria ho

Mai 1, 2012

Schon irgendwie putzig, diese Piraten. Wieder mal eine Partei, der man beim Erwachsenwerden zuschauen darf. Nun, da die Grünen aus dem Gröbsten raus sind…

Die Piraten sind schon eine echte Bereicherung der deutschen Parteienlandschaft. Endlich mal ein neuer Politikstil, neue Offenheit, Freiheit statt Fraktionszwang. Der neue Vorsitzende der Piraten, Bernd Schlömer (41), hat diesen neuen Stil auf dem Parteitag in Neumünster überzeugend demonstriert. Er habe keine Probleme mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr, sagte der Regierungsdirektor im Bundesministerium der Verteidigung. Aber „wenn die Piraten dagegen sind, bin ich das auch.“

So geht Geradlinigkeit. Man teile mir meine Meinung mit, sagte der Vorsitzende und betrat das Talkshow-Studio. Für einen, der im Verteidigungsministerium arbeitet, ist es schließlich unerheblich, ob er die Mandate des Parlaments nach Feierabend bekämpft und im Dienst umsetzt. Es muss endlich auch mal Schluss sein mit dieser krampfhaften Kosequenz, die die uncoolen Alt-Parteien da häufig an den Tag legen. Dieses „Uijuijui, da muss ich aber um meiner Überzeugung willen zurücktreten und mir einen neuen Job suchen…“ Pustekuchen. Bei Bedarf kann man sich die aktuelle Meinung auch direkt als FlüssigFeedback aufs iPad mailen lassen, damit man auf dem neuesten Stand ist. Viele Old-School-Politiker sind gerade bei der eigenen Meinung häufig gar nicht auf dem Laufenden.

Überhaupt sind die Piraten gerade für die wachsende Schar der Nichtwähler ein überzeugendes Angebot. Das raffinierte Rezept: Nichtpolitik für Nichtwähler. Einfach genial. Bernd Schlömer zum Beispiel meint, er frage sich, ob eine Partei wirklich zu allen Themen eine programmatische Antwort haben müsse und könne sich gut vorstellen, auch ohne eine Haltung zum Nahost-Konflikt zur Bundestagswahl anzutreten.

Nun zählt ja der Nahost-Konflikt gewissermaßen zu den Bagatellen der Weltpolitik, mit denen man sich als Netzaktivist nicht auch noch rumschlagen kann. Und weil die anderen das Middle-East-Game bislang auch nicht geknackt haben, hält man die eigene Programmatik besser schlank, spart sich lästige Online-Votings (Israel: ja, nein, weiß nicht) und kann hinterher allemal zu der eigenen Politik stehen. Hammer Methode das.

Und wenn die Piraten in Zukunft auch Wahlen so bravourös gewinnen, wie bislang die Umfragen, könnte sich das Prinzip Schmalspur als durchaus zukunftsträchtig erweisen. Welcher Wähler will schon noch wissen, wie eine Partei zum Nahost-Konflikt steht, solange das Internet frei ist. In jedem Falle wird Bernd Schlömer auch dazu die aktuelle Meinung unverzüglich zugestellt.