Archive for März 2011

Protokoll-Notiz oder Wahn und Wahrheit

März 26, 2011

Der Wahnsinn aus der Nähe betrachtet:

 Da tritt der Geschäftsführer des BDI zurück, weil ein Protokoll richtig war, dass eigentlich falsch hätte sein sollen, weil korrekterweise drinstand, dass der Bundeswirtschaftsminister das Atom-Moratorium der Bundesregierung mit dem Wahlkampf begründet hat, was alle ohnehin wissen, aber eben nicht aussprechen dürfen, weil die Atom-Protestler sonst denken, die Bundesregierung hält sie für hysterisch, was wiederum wahr aber im Wahlkampf nicht sehr hilfreich ist. Und stimmen tut es obendrein.

 Nicht mitgekommen? Dann noch mal ganz langsam und von vorne: Solange der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) keine freischaffenden Schriftsteller als Protokollführer beschäftigt, die aufschreiben, was sie nicht gehört haben, kann man davon ausgehen, dass Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) in einer Veranstaltung des BDI gesagt hat, was alle wissen, dass er und die Bundesregierung es denken: An der Sicherheitslage deutscher Kernkraftwerke hat sich durch Fukushima nichts geändert, aber die Leute sind nun mal aufgeregt, also muss man mit symbolischer Politik erst einmal reagieren.

Ein Risiko, das in Japan kein Rest ist, sondern reale Bedrohung (schwere Beben direkt auf einer geotektonischen Bruchzone, Tsunamis), ein Risiko, dass in Deutschland nicht besteht, hat plötzlich bedrohliche Bilder bekommen und die deutsche Atomangst neu angefacht. Um zu zeigen, dass man die Sorgen ernst nimmt und nicht einfach zur Tagesordnung übergeht, erklären die Kanzlerin und ihre Minister das Moratorium für sieben ältere AKW. Kann man machen, ist nicht sehr logisch, weil Tsunamis und Beben hier eben weder alte noch neue Meiler bedrohen und wenn beide Sorten gleichzeitig und andere Risiken (Terror-Gefahr, Kühlsysteme etc.) auch vor sechs Wochen um 14.30 Uhr hätten überprüft werden können oder nächsten Dienstag um 12 Uhr.

Weil Brüderle das aber nicht gesagt haben will und darf, tritt nicht etwa der Minister zurück, sondern der Geschäftsführer des BDI, Werner Schnappauf, und erklärt das Protokoll für falsch (eine Methode, die Journalisten von Demetis zu autorisierten Interviews kennen). Er bedauert auch die Indiskretion, mit der das Papier an Journalisten gelangt ist, obwohl dessen Fehlerhaftigkeit erst nach der Veröffentlichung aufgefallen ist. Ein korrektes Protokoll einer BDI-Veranstaltung ist aber weder sonderlich spannend, noch eine Entschuldigung wert. Wäre es nicht viel einfacher gewesen, wenn die Bundesregierung einfach öffentlich erklärt hätte: Wir verstehen eure Sorgen, werden auch alle AKW noch einmal überprüfen, halten sie aber weiter für sicher und bis auf weiteres für unverzichtbar. So hat es Alt-Kanzler Helmut Kohl dieser Tage schnörkellos zu Protokoll gegeben, so sieht es die Bundesregierung, und so wäre es ganz einfach die Wahrheit gewesen.

Vielleicht hätte man dann zwar die Anti-Atom-Bewegung nicht überzeugt, aber man hätte wenigstens nicht die eigenen Anhänger vor den Kopf gestoßen, die sich monatelang für die Verlängerung der AKW-Laufzeiten prügeln lassen mussten und nun womöglich bei den Landtagswahlen auch noch frustriert zu Hause bleiben. Nur mal so als Idee.

Der Friederich, der Friederich – das ist kein arger Wüterich

März 5, 2011

Der Protest kam wie erwartet, und er kam hart: Die Kanzlerin solle ihren neuen Innenminister zurückpfeifen und ein Machtwort sprechen, fordert Ali Kizilkaya vom Deutschen Islamrat. Und Kenan Kolat, Chef der Türkischen Gemeinde in Deutschland, findet noch stärkere Worte: Wenn Hans-Peter Friedrich (CSU) Streit wolle, könne er ihn haben, sagte er der BILD-Zeitung. Bei der nächsten Sitzung der Islamkonferenz Ende März wird es wohl heftig krachen.

Was war geschehen? Friedrich, bis Donnerstag noch CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, hatte kurz nach seiner Ernennung zum Innenminister wiederholt, was er schon vorher gesagt hatte. Er teile die Aussage von Bundespräsident Christian Wulff nicht, wonach der Islam zu Deutschland gehöre. Dafür gebe es auch keine historischen Belege. Der Sturm der Entrüstung von Seiten der islamischen Verbände und der Opposition brach sich also Bahn.

Dabei scheint niemandem aufgefallen zu sein, dass die Situation noch viel absurder und despektierlicher wäre, wenn Friedrich im Amte seine Meinung plötzlich geändert hätte. Amtsträger sagen höfliche Worte fürs Protokoll, an die sie als Politiker nicht glauben, wäre die Botschaft gewesen. Wären die Islam-Verbände mit so einem Spruch etwa zufrieden?

Im Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung greift Georg Paul Hefty die Causa Friedrich auf und findet ein schönes und durchaus passendes Bild für das Verhältnis des Islam zu Deutschland. Er stimmt Friedrich in der historischen Perspektive zu und widerspricht ihm mit Blick auf die Zukunft. Es verhalte sich hier wie mit den Partnern der eigenen Kinder, die nicht fehlen, solange die Kinder nicht liiert und Verheiratet sind. Dann jedoch gehören die ehemals Fremden selbstverständlich zur Familie und würden bei Abwesenheit fehlen.

Ein interessanter Vergleich, der freilich auch in eine ganz andere Richtung weist: Durch eingeheiratete Partner verwandelt sich die Familie auch den Neuen an. Die nachfolgenden Kinder wachsen mit den Wertewelten der hinzugekommenen Partner auf, akzeptieren den Verwandschaftsstrang beider Eltern ganz selbstverständlich gleichwertig und verschieben durch diese Fusion die geistige Spur ihrer Herkommenschaft unmerklich aus der Bahn ihrer Vorväter.

Selbstverständlich und unbestritten gehören die Muslime zu Deutschland, da Wulff aber den Islam als Teil der hiesigen Wertewelt genannt hat, läuft es auf die Hefty-Metapher hinaus: Der Islam wird zu Deutschland gehören, wenn Deutschland islamischer geworden ist. Und damit sind nicht tote Bauwerke wie Moscheen gemeint, sondern eine weniger säkuläre Gesellschaft, eine, deren Rechtsverständnis sich in Akzenten wieder der Strafarchaik nähert, Resozialisierung oder Gnade skeptischer sieht und dem Regeln erfüllenden Dienst an der Gemeinschaft hier und da mehr Gewicht beimisst, als dem Individuum und seiner freien Entfaltung. Man kann das wünschen oder fürchten. Es wäre ein Prozess, der jenem der deutschen Einigung ähneln könnte. Die Vorhersagen, die Bundesrepublik werde östlicher und protestantischer werden, haben sich ja durchaus erfüllt. Nicht nur im Politikstil der Kanzlerin und in der Marginalisierung des konservativen Flügels der Union.

In diesem Sinne ist die Ansange des neuen Innenministers eine Ankündigung, die Muslime in Deutschland willkommen zu heißen, aber das Land nicht mit dem Islam „verheiraten“ zu wollen. Es ist das Selbstverständnis eines souveränen Gastgebers, der nicht im Wulff’schen Duktus alles mit allem liieren will: Den Islam mit Deutschland, das Christentum mit der Türkei und den Buddhismus mit der ganzen Welt. Friedrich ist der Realist, der akzeptiert, dass die Hagia Sophia eine Moschee ist. Und die Muslime, die darin beten, müssen nicht das Christentum adoptieren, dass 1500 Jahre dort seine Wurzeln geschlagen hatte. Es wäre schon genug, wenn sie die Christen im Lande nicht diskriminieren würden.

Wulffs harmoniesehnsüchtige Wunsch-Worte vertrauen nicht darauf, dass man auch mit Unterschieden fröhlich und friedlich leben kann. Sie liegen auf einer Linie mit all jenen, die die Türkei in die EU aufnehmen wollen, damit sie westlicher, europäischer werde. Das aber ist, um im Familienbilde zu bleiben, schlicht die falsche Reihenfolge: Man heiratet schließlich, weil eine Seelenverwandtschaft da ist, nicht, um sie herbeizuführen. Das ist eher das anatolische Modell.