Archive for Februar 2011

Von Tigermüttern und irritierten Bildungsbürgern

Februar 27, 2011

Soviel steht mal fest: Am chinesischen Wesen wird die Welt ganz gewiss nicht genesen. Seit die ersten Berichte über das Buch von Amy Chua („Die Mutter des Erfolgs“) in Deutschland zu lesen waren, herrscht breite Einigkeit im Land, dass mit erzieherischem Drill und autoritärem Durchgriff im Elternhaus nichts zu gewinnen sei. Von völlig verfehlt bis „Kindesmisshandlung“ reichen die Urteile in Leitartikeln und Talkshows. Dabei erstaunt weniger die Tatsache, wie leichtfüßig die ansonsten Pisa-gläubige Nation über die weltweiten Erfolge chinesischer Schüler, Studenten und Wissenschaftler hinweg geht, sondern es verblüfft vor allem, wie hartnäckig sich die eingefleischten Verfechter des progressiven Infragestellens aller Gegebenheiten nun ihrerseits selbst hermetisch gegen jeden Hauch des Selbstzweifels durch Chuas Provokation wappnen.

Hält man einen Augenblick inne, so lässt sich der Report aus dem chinesischen Erziehungs-Boot-Camp durchaus auch produktiv machen. Nicht in den Details und Methoden, die in der Tat wohl zu guten Teilen zum Schocken der Öffentlichkeit gedacht sind, sondern vielmehr in der Grundhaltung: Chuas Ansatz geht von einer Welt aus, der Erfolg und Wohlstand mit Disziplin und Kampf gegen die eigene Bequemlichkeit abgerungen werden muss. Setzt nicht darauf, dass ihr etwas vorfinden werdet oder dass man euch etwas wohlfeil überlässt – jeder selbst muss das Erz aus dem Bergwerk des Lebens herausmeißeln oder unwürdig durch den Tag schleichen, lautet ihre Botschaft.

Es ist eine Weltsicht, die dem Menschen keine Gnade, keine Rast, kein Pflichterbe gönnt. Jeder ist, was er sich selbst schafft. Ein Leistungsethos, dass frontal kollidiert mit dem hiesigen Anspruchsprofil. Während Deutsche und Europäer mit Vorliebe Grundrechte formulieren und in Verfassungschartas schreiben, mit bedingungslosem Grundeinkommen liebäugeln und die Gesellschaft in umfassender Bringschuld gegenüber dem Individuum sehen, geht Chua genau andersherum davon aus, dass zuerst das Individuum seinen Teil zur Gemeinschaft beizutragen habe, bevor es Anspruch auf irgendeine Dividende erheben kann. Auf wünschenswerte Mindeststandards und ideell fixierte Wohlstandszusagen verlässt man sich in ihren Augen besser nicht. Sie können funktionieren, müssen es aber nicht. Was man selbst kann, hat man sicher. Kurz: Während der Europäer sein Recht einfordert, erst nach einer stärkenden Mahlzeit auf die Jagd zu gehen, hält es der Chinese sicherheitshalber andersherum. Und wird dafür gescholten.

Die „Kampfhymne der Tigermutter“ (so der amerikanische Originaltitel) ist in der Tat kaum tauglich, als praktischer Erziehungsratgeber zu dienen. Zum einen sind in Chuas Augen Pauken und Drill Selbstzweck und werden dadurch uneffektiv, weil die Analyse fehlt, auf welchen Gebieten das Kind tatsächlich sinnvollerweise gefördert und gefordert werden sollte und wo man effizienterweise mit Mittelmaß zufrieden sein kann. Zum anderen – und das ist das viel größere Manko – geht diese Methode grundsätzlich von einem Erfolg als Funktionieren im vorgefundenen System aus. Nur das wird trainiert. Gerade wer an die Spitze will, muss aber über bestehende Grenzen hinaus und weiter denken und das Selbstbewusstsein haben, das Undenkbare zu denken und sich über das umgebende Mittelmaß hinwegzusetzen. Besser sein im Anpassen, heißt Chuas Rezept. Es trägt vermutlich eine Weile, aber nicht an die Spitze. Wer etwa Kinderzeichnungen nach dem Grad der Kopierpräzision betrachtet, leitet viel kindliche Energie fehl in das Ab- und Nachbilden, anstatt die Vertiefung des Realitätsblicks gerade durch Überzeichnung, Steigerung, Verzerrung etc. zu fördern. Auch waren viele große Komponisten keine guten Instrumentalisten. Das ordentliche Beherrschen eines Instruments ist gewiss eine Tugend, aber nicht deren Gipfel.

Und doch ist das Buch eine spannende Selbsthinterfragung einer Gesellschaft, die das Anrecht auf positive Beurteilungen verbrieft hat, in der immer mehr Kinder zur logopädischen Behandlung müssen, weil sich Eltern selbst das Korrigieren falscher Aussprache als vermeintlich autoritäre Attitüde verbieten. Die erzieherische Verunsicherung zwischen Kinds-Kumpel und Zuchtmeister geht hierzulande so weit, dass notorische Regelverletzer am liebsten in einem exotischen Camp in der texanischen Wüste über den Umweg der gnadenlosen Natur damit konfrontiert werden, dass sie sich in ein gesellschaftliches Umfeld einfügen müssen. Eine klare Ansage zu Hause ist als unmoderne Erziehungsmethode verpönt.

Und noch etwas fällt in Chuas Welt auf: Die Familie – so karriereorientiert ihre Mitglieder auch sein mögen – ist in der Pflicht beim Nachwuchs. Könnte es sein, dass unser Konzept, auf das Versagen von Familien mit deren Entlastung zu reagieren, am Ende womöglich nicht aufgeht? Gerade wird in Berlin und anderen Ländern über Programme diskutiert, mit denen Sozialpädagogen in sechsstelliger Zahl an die Schulen gebracht werden sollen, um die Lehrer bei Wissensvermittlung, Trainieren von Sprache, Kulturtechniken und allgemeiner Lebensertüchtigung zu unterstützen. Ein so umfassendes Unterfangen, möglichst große Teile der Kindesenwicklung familienersatzweise in Einrichtungen zu bewältigen, kann im Grunde nur scheitern: an den nötigen menschlichen und finanziellen Kapazitäten. Und kommende Generationen werden absehbar immer größere Teile der Kinder-Familien-Arbeit verlernt haben, weil sie selbst nichts davon erlebten.

Zu zu Guttenberg II: Gegendarstellung

Februar 23, 2011

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Bundesverteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) hat weder persönlich die Atombombe über Hiroshima ausgeklinkt, noch an Massenerschießungen in den Abruzzen teilgenommen. Er hat keine Berichte über Mitarbeiter seines Büros an den KGB verkauft, keine Geheimdossiers an die Amerikaner weitergeleitet, war nicht bei der Stasi, hat nicht im Vollrausch ein Schulkind totgefahren, keine Spende von Kraus-Maffai entgegengenommen und ist auch nicht in flagranti mit Bettina Wulff erwischt worden. Karl Theodor zu Guttenberg hat für seine Doktorarbeit abgeschrieben.

Wer in diesen Tagen Kommentare über die moralische Untragbarkeit des Ministers, seinen Ansehensverlust und die Beschädigung des deutschen Rechtsstaats durch zu Guttenbergs bodenlosen Vertrauensbruch liest, könnte rasch zu falschen Schlüssen kommen: Der Skandal lautet Abgeschrieben. Niemand heißt das gut, niemand verteidigt den Verteidigungsminister, niemand fordert mildernde Umstände. Nun liegt es natürlich allen Beteiligten fern, ihr parteipolitisches Mütchen an dem Sympathiträger zu kühlen (feix! prust!), aber es fällt eben doch auf, dass Abschreiben im Vergleich zum kompletten Infragestellen und Bekämpfen der freiheitlichen Grundordnung offenbar das schlimmere und vor allem unverzeihliche Vergehen ist.

Ein Ex-Außenminister durfte sich in Sympathie von Öffentlichkeit und Medien sonnen, obwohl er einst zum randalierenden Autonomen-Lager gehört und Konferenzen der PLO besucht hat, als diese noch Terror-Truppe war. Ein früherer Umweltminister, der einst als Linkssektier seine politische Karriere begann, kann heute ohne Aufschrei der Empörung den Rücktritt zu Guttenbergs fordern und erhält Schützenhilfe von Kommentaroren, die ihre einstigen Ausflüge ins linksdogmatische Lager heute eher als amüsante biografische Fußnote betrachten. Zu Recht, solange offen und reflektiert damit umgegangen wird. Von Leuten wie Gregor Gysi, die sich eigentlich dreimal täglich bedanken müssten, dass ihre Doktorarbeit zum „sozialistischen Recht“ einfach mal stillschweigend mit allen anderen Abschlüssen im Zuge der Wiedervereinigung anerkannt wurden, ganz zu schweigen. Von dieser Seite sind Kommentare gänzlich unangebracht.

Nur, warum ist Weltanschauliche Verwirrung eine lässliche Sünde, während Abschreiben als bodenlose Verkommenheit deklariert wird, die den Ausschluss aus der Gesellschaft der Anständigen nach sich zieht. Liegt da nicht die ganz verschämte Frage nahe, ob hier womöglich die Maßstäbe etwas ins Purzeln geraten? Ist Kleinklau beim Arbeitgeber ein Kavaliersdelikt, Abschreiben beim Doktor dagegen Kapitalverbrechen? Wie wäre es, wenn man sich vorher überlegen würde, wo der politische Reinstraum beginnen und wo er enden soll, anstatt mit der Flex-Moral durchs Land zu ziehen, jenem eine Ethik-Flatrate mit kostenlosen Freischüssen anzubieten und dem Nächsten die Alles-oder-Nichts-Falltür ohne Publikumsjoker zu verordnen. Denn den hat zu Guttenberg nach wie vor im Ärmel. Vielleicht liegt das daran, dass die Anklage allzu konstruiert und politikfern klingt – und das selbst in den Ohren eher politikferner Zeitgenossen.

Oder anders gesagt: Die Lichtgestalt zu Guttenberg ist Mensch geworden. Für die Kreuzigung kann man getrost warten, bis er einen wirklich schweren Fehler begeht.

Blender, Trixer, Täuscher: Wir Guttenbergs

Februar 20, 2011

Ein paar „vergessene“ Fußnoten und vereinnahmte Zitate in akademischen Arbeiten, zu „Auslandssemestern“ aufgepustete Studienreisen, Praktika bei der Zeitung als „freier Journalismus“ – jeder kennt solche Kreativ-Lebensläufe und die meisten machen es genauso. Die „Enthüllungen“ über Karl Theodor zu Guttenberg gehen weiter, und sie offenbaren viel mehr als die kleinen Retouchen eines ehrgeizigen Menschen, der weiß, dass er gut ist und es auch zeigen will. Was hier unversehens ins Licht der Öffentlichkeit gerät, ist das flächendeckende Prinzip der Blender, Trixer und Täuscher, des schönen Scheins und der plastischen Vita-Chirurgie.

Vor allem die Ossis mussten nach der Wende lernen, ich zu sagen, wo eigentlich Gruppen am Werke waren. „Ich drehe gerade einen Spielfilm…“ – mit 200 Leute am Set. „In meiner Show…“ treten die Stars auf, und „Ich habe Ruhrstahl saniert…“ Das in der DDR verpönte „Ich“ trat auf einmal in der übersteigerten Selbstdarstellung der bundesdeutschen Konkurrenzgesellschaft ins graue Ostelbien und hielt nur in seltenen Fällen, was es zu sein versprach.

„Ich spreche Englisch“ ist die Standardwendung für Fremdsprachenkenntnisse, bei der ich noch heute zusammenzucke. Ich habe keine Probleme auf der Weltklima-Konferenz und kann die Taiwan-Frage international erörtern, und doch fehlen mir bei amerikanischen Sitcoms mitunter ganze Sätze. Spreche ich also Englisch? Wer mal Gitarre gelernt hat, nennt sich Gitarrist, und die Thematiken mancher Master-Arbeiten, die ich im Laufe der Zeit gesehen habe, degradieren den akademischen Betrieb zum Feuilleton mit Fußnoten.

Eigentlich müsste angesichts der Guttenberg-Enthüllungen beträchtliche Hektik ausbrechen im Lande: Web-Seiten mit Lebensläufen müssten diskret überarbeitet, Bewerbungsmappen stillschweigend redigiert und vermutlich müsste auch das Bundestagshandbuch rasch einer kritischen Sichtung unterzogen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass für die Aussicht auf schöne Scheine der schöne Schein ein wenig heruntergedimmt wird, ist allerdings nicht sehr groß. Vielleicht sollte nur die Herablassung gegenüber den Guttenbergs ein wenig gedämpfter ausfallen.

Ein Gutes hat die Affäre freilich: Ossis, die ehedem stets beklagten, ihre Biographien würden wegen „kleiner Jugendsünden“ wie etwa Bespitzelung und Anschwärzens entwertet, müssten jetzt zufrieden sein. Es gibt noch Gerechtigkeit im Lande – unter Wessis reichen schon unterschlagene Fußnoten, um von der großen Bühne zu stürzen.

Thema verfehlt: Pamphlete wider die Islamkritik

Februar 18, 2011

Was haben Sahra Wagenknecht und Mohamed Atta gemeinsam? Nichts, außer dass sie beide Weltbildern anhängen (anhingen), die Terror und Tod über die Menschen gebracht haben. Dabei spielt es so gut wie keine Rolle, dass Attas Wahn politisch instrumentalisierter Religion und Wagenknechts Kommunismus einer ins Religiöse gesteigerten vermeintlich wissenschaftlichen Weltanschauung entspringt. Und genauso, wie es Milliarden friedlicher, braver, frommer Muslime auf dieser Welt gibt, gibt es vermutlich einige Millionen Kommunisten, die ihre Überzeugungen völlig ungefährlich ausleben. Berechtigt all das zu der Feststellung, dass Islamismus und Kommunismus harmlose Doktrinen seien?

Patrick Bahners, Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, bringt an diesem Wochenende sein Buch „Die Panikmacher. Die deutsche Angst vor dem Islam“ (Verlag C.H. Beck) in die Buchläden, und sein Kollege Thomas Steinfeld vom Feuilleton der Süddeutschen Zeitung hat ihm dazu schonmal vorab gratuliert. Im Visier: Die „Islamkritiker“ wie Necla Kelek, Henryk M. Broder oder die Holländerin Ayaan Hirsi Ali, die als “ vebale Eingreiftruppe“ im Dienste eines vermeintlichen antiislamischen McCarthyismus gesehen werden. Vor allem der Furor, mit dem hier gegen „die Islamkritik“ und den dahinter vermuteten Rassismus zu Felde gezogen wird, verstört einigermaßen.

Bahners versucht dabei zunächst in seinem Essay jeglichen Verweis auf mögliche textliche Quellen von Hass, Aggression, Autoritarismus und Alleinvertretungsanspruch des Islam in Koran und Hadithen mit theologischer Einordnung zu widerlegen. Das ist scharfsinnig, wenn auch nicht immer lesefreundlich aufgeschrieben, geht aber am Kern der Debatte vorbei. Theologische Texte sind kryptisch und widersprüchlich und entfalten ihre konstruktive oder destruktive Wirkung vor allem durch die Katalyse der Zeit, in der sie stehen und gelesen werden. Christi Liebesbotschaft und der „Neue Bund“ in den Evangelien haben das Christentum nicht vor Kreuzzügen und Inquisition bewahrt, und all die Manifeste zur Befreiung der werktätigen Massen haben praktizierende Sozialisten/Kommunisten nicht davon abgehalten, gerade auch jene Massen zu meucheln und auszuhungern.

Nachdem im Namen des Islam in relevanter Qualität und Quantität gemordet und Terror gesät wurde, ist offensichtlich, dass diese tödliche und Drangsalieruns-Potenz auch diesem Denkgebäude innewohnen kann, wenn es im richtigen Zeitgeist-Kontext angespielt wird. Es ist also „nicht sehr hilfreich“ – um einen Terminus der Kanzlerin zu verwenden – wenn Bahners und Steinfeld nun viel Energie an den Nachweisversuch verwenden, dass der Islam auf gar keinen Fall Hintergrund und Ursache des islamistischen Terrors sein könne. Er kann, wie man gesehen hat, und die spannende, wichtige Frage ist, unter welchen Bedingungen er es tut. Anstatt den Islam als rein und unschuldig gegen Leute zu verteidigen, die den Autoren ganz offensichtlich in vielerlei Hinsicht nicht passen, wäre es produktiver darüber nachzudenken, ob und wie man Exzesse, diesmal im Namen des Islam, verhindern kann.

Die politische Stellung der islamischen Welt gegen den Westen ist hier ebenso mit Sorge zu betrachten, wie die Tatsache, dass sich reformatorische Strömungen mit namhaften Vordenkern im Islam derzeit nicht ausmachen lassen. Hinzu kommt, dass die Einordnung von Religion in eine säkulare Welt zwangläufig einen Verlust an Verbindlichkeit mit sich bringt, den viele Muslime in der westlichen Welt mit einer gewissen Verachtung beobachten und mithin aus der Hermetik ihres eigenen Glaubens eine gefühlte Überlegenheit ziehen, die ihnen im weltlichen Alltag bitter fehlt.

Kurz: Kommunismus, Christentum, Islam und etliche andere –ismen haben längst ihre Unschuld verloren, und es ist genauso demagogisch, in Talkshows zu behaupten, der bisherige Kommunismus sei gar nicht der richtige gewesen, wie es fahrlässig ist, den Islam leichthin aus der aktuellen Problemzone wegzuloben. Islamkritik, Kritik am Islam und Auseinandersetzung mit ihm ist heute wichtiger denn je. Auch, um den braven Gemüsehändler von den Attas und den gutwilligen Gewerkschafter vor den Wagenknechts zu bewahren.