Archive for August 2011

Länder-Lego: Ausgerechnet in der Krise basteln einige an den „Vereinigten Staaten von Europa“

August 29, 2011

Wenn Wasser nach oben flösse, gäbe es keine feuchten Keller. Ausgerechnet jetzt, mitten in der Euro-Krise, wird wieder heftig am Bundesstaat Europa gewerkelt. „Mein Ziel sind die Vereinigten Staaten von Europa“, sagt beispielsweise Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) im jüngsten „Spiegel“. Gemeint ist das Hamburger Magazin, nicht die heimische Ankleide. Dort wäre es kein Problem.

Denn einerseits zeigt eben jene Krise, dass dieser Kontinent keineswegs zusammensteht, wenn es etwas kostet. Und andererseits hat die gleiche Ursula von der Leyen (CDU) in diesen Tagen selbst vorgeschlagen, Euro-Schuldensünder sollten im Gegenzug für Milliardenhilfen Gold oder andere materielle Werte beim Rettungsfonds in Brüssel verpfänden, damit ihr Sparwille nicht erlahme. Besser kann man zwischennationales Ressentiment nicht illustrieren.

Die nüchterne und für manchen wohl ernüchternde Realität ist, dass das vereinte Europa an seinen Grenzen angekommen ist. Geographisch wie ideell. Die CSU formuliert das in ihrem jüngsten Thesenpapier mit erstaunlicher Klarheit: „Aus der Bündelung von immer mehr Politiken ist aber weder ein europäisches Gemeinschaftsbewusstsein noch die erhoffte politische Union entstanden. Die CSU lehnt die Idee von Vereinigten Staaten von Europa, also der Schaffung eines europäischen Bundesstaates, der auch die sog. Kompetenz-Kompetenz besitzt, entschieden ab und hält den Staatenverbund für die absehbar geeignete Organisationsform der europäischen Integration.“

Man sollte sich vielleicht auch hin und wieder im größten EU-Überschwange klarmachen: Nicht alle Nationen in Europa haben sich in ihrer Geschichte so brachial daneben benommen wie die Deutschen. Oder anders gesagt: Einige europäische Nachbarn haben genügend Nationalstolz durch die Jahrhunderte ihrer Historie gerettet, um nicht euphorisch im großen Ganzen aufgehen zu wollen.

Nun will sich auch die CDU auf ihrem Leipziger Parteitag im November mit dem Euro und seiner Rettung beschäftigen. Vielleicht wäre es dazu hilfreich, erst einmal das eigene Verständnis von Europa zu klären. Die selbst ernannte „Europa-Partei“ CDU schwankt zwischen jenem Flügel, der diesen Titel mit „alles und immer für Europa“ übersetzt und jenem, der freimütig zugibt, dass der fusionierte Kontinent weit an den Köpfen und Herzen der Menschen vorbei geht. „Europa-Partei“ sollte deshalb nicht mit unbedingter Integration – gern auch unter dem Zwang der Krise – verwechselt, sondern als  „Europa-Kompetenz“ für das“richtige“ funktionierende, angemessene Europa verstanden werden. Und da geht es eben nicht nur um die Förderung eines weltweit konkurrenzfähigen Staatenbundes, sondern auch um dessen Schutz vor übereifrigen Enthusiasten, die seine Grenzen nicht erkennen.

Wer die reale EU zwangsweise oder aus Leichtsinn in eine gut gemeinte Wunsch-Union überführen will, gefährdet den Europa-Gedanken mehr als er ihm dient. Weil das so ist, gibt es zwar eine Außenkommissarin aber keine gemeinsame Außenpolitik, weil keine ehrliche Regierung im Ernst will, dass ihre Belange von EU-Brüssel wahrgenommen oder gar geregelt werden. Genauso wird es mit der sogenannten Wirtschaftsregierung sein. Entweder ein loses Gesprächsgremium oder eine Null-Personalie.

Auch wenn Europa nach wie vor kein erotisches Publikumsthema ist, sollte die Kanzlerin und CDU-Bundesvorsitzende den November-Parteitag nutzen und sagen, welches und wieviel Europa sie will. Ein Europa der starken Staaten oder eines der starken Zentrale. Je mehr Kompetenzen und Hoheitsrechte Berlin an Brüssel abgeben will, desto besser sollte sie das den Menschen im Lande erklären. Denn die haben am innerdeutschen Föderalismus schon genug zu knabbern.

Mein Name ist Bond, Eurobond

August 16, 2011

Nichts ist gefährlicher als die gute Absicht. Und weil Eurobonds zur Rettung der europäischen Idee und des Euro gut gemeint sind, werden sie früher oder später kommen. Zum einen, weil es für den – zumindest kurzfristigen – Zusammenhalt der Gemeinschaftswährung vermutlich bald schon keine Alternative mehr gibt. Und zum anderen, weil die gute Absicht noch jeden Kritiker früher oder später als mutlosen Zweifler oder übelmeinenden Quertreiber niederkartätscht hat. Wenn eine Sache wie Europa und der Euro gut ist, erteilt sich leider auch in freien Gesellschaften die Politik das Mandat zum Übergehen nachdenklicher Einwände, weil der schlichte Geist nun mal nicht davon lassen kann, direkt auf seine Ziele zuzumarschieren. Die gemeinschaftliche Schuldenhaftung in Form von Eurobonds hat zudem den tückischen Nebeneffekt, dass das edle Prinzip der Solidarität darin durchschimmert und den irrigen Eindruck erweckt, Euro-Sünder seien hilfsbedürftige Schwache und nicht leichtfertige Verschwender. Und Schwachen muss doch geholfen werden.

Dabei verkennen die Verfechter der Eurobonds, dass schon die Einführung des Euro den gleichen „Solidareffekt“ für die Südflanke der Währungsgemeinschaft hatte: Niedrige Zinsen, die nicht zum Investieren, sondern zum Konsumieren genutzt wurden. Das soll nun mit den Bonds alles besser werden, weil man aus dem Schaden ja klug geworden sei, heißt es. Straffe Regeln sollen künftig erreichen, was die harte Keule der Finanzmärkte bislang nicht geschafft hat: schmerzhaftes Haushalten. Dass auf Regeln im Bereich von Staatsfinanzen zu vertrauen riskanter ist, als Zocken in Las Vegas, müssten dabei eigentlich die handelnden Politiker selbst am besten wissen. Wenn sie ehrlich wären. Denn das bei der nächsten Populismus-Attacke ein Wahlkämpfer irgendeines Euro-Landes sich standhaft neuer Schulden verweigern wird, glaubt nur, wer Tischlein-deck-dich für die Berliner Tafel hält.

Eurobonds sind der Versuch, mit Hilfe eines raffinierten Finanzprodukts die Bemessungsgrundlage des Euro zu schönen und den skeptischen Finanzmärkten vorzugaukeln, der Bond-Eintopf sei trotz einzelner Bitterlinge alles in allem ein schmackhaftes und nahrhaftes Gericht. Dabei ist die Summe der Einzelländer in der Haushaltsdisziplin nur rechnerisch besser: Selbst Musterknabe Deutschland wird die selbst verhängte Schuldenbremse nicht halten können, wenn die Konjunktur sich niederträchtig abschwingen sollte. Von sozialen Härten bis gesetzlich verpflichtenden Leistungen werden sich genügend Gründe finden, den Schluss mit Schulden noch einmal oder zweimal oder dreimals hinauszuschieben. Solange es kein erfolgreiches Geschäftsmodell für die südlichen Euro-Länder gibt, mit dem Lebensstandard-Anspruch und volkswirtschaftlicher Ertrag in Deckung zu bringen sind, so lange wird die Skepsis der Märkte bestehen, und sie wird berechtigt sein. Mit oder ohne Eurobonds.

Zu befürchten ist eher, dass die Europa-Visionäre beim drohenden Scheitern des Euro auch mit den Bonds die wirtschafts- und finanzpolitische Zwangsunion mit ersten bundesstaatlichen Elementen als Notmaßnahme einführen. In Bedrängnis greifen gute Absichtler zu immer gefährlicheren Mitteln, um das Scheitern der guten Sache abzuwenden. Der Zusammenbruch ist am Ende meist schlimmer, als hätte man früher auf die Warnungen gehört. Aber für Euro-Zweifel gibt es derzeit keine Mehrheit. Offiziell jedenfalls nicht. Schließlich hat man schon gewusst, warum etwa die Deutschen bei der Einführung des Euro nicht gefragt wurden. Bei der Weiterführung des Euro sollen sie nun auch gefälligst die Klappe halten. Für die gute Sache, versteht sich.

Die Bildung und die Bürger

August 15, 2011

„Also lautet ein Beschluss, dass der Mensch was lernen muss.“ Auf das Manifest des Lehrer Lämpel bei Wilhelm Busch kann man sich auch in der Union friedlich einigen. Bei allem, was darüber hinaus geht, wird es heikel. Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) hat gemeinsam mit Sachsens Kultusminister Roland  Wöller (CDU) unlängst ein Grundsatzpapier für die „Bildungsrepublik Deutschland“ vorgelegt, und braucht nun für den Schaden nicht zu sorgen. Den hat sie nämlich selbst: Schavan wurde von ihrem Kreisverband Alb-Donau nicht als Delegierte für CDU-Bundesparteitag im November nominiert, der ausgerechnet ein „Bildungsparteitag“ werden soll.

Dabei werfen ihr die verärgerten Unionisten noch nicht einmal so sehr vor, dass Schavan sich als BUNDESministerin für einen BUNDESparteitag mit einem Thema beschäftigt, das in der komplizierten deutschen Föderalbalance nun eindeutig Ländersache ist. Für Unmut sorgt vor allem der Plan, künftig auf ein zweigliedriges Schulsystem aus „Oberschule“ und Gymnasium zu setzen, was im Umkehrschluss auf die Schlagzeile hinausläuft: Die Union schafft die Hauptschule ab. Vor drei Jahren erst hatte sich die Partei „Bildungsvielfalt“ und ein „mehrgliedriges Bildungssystem“ ins Grundsatzprogramm geschrieben. So schnell veralten heute selbst bei Konservativen die Grundsätze.

Das Problem, das hier – wie in der gesamten aktuellen Profil-Debatte der Union – zu Tage tritt, ist allerdings weniger die „Modernisierung“ der CDU als solche, sondern die „unkritische Modernisierung“, die widerstandslose und unreflektierte Übernahme von Zeitgeistbeständen. Das ist einerseits intellektuell nicht sonderlich anspruchsvoll und verwischt andererseits die Konturen (frz. le contour – Umriss, Linie) der Partei. Bildung, Energie, Familie, Gleichstellung – wozu soll man sich in einer politischen Gemeinschaft zusammenfinden, die sich inhaltlich mit anderen Gruppierungen immer stärker überschneidet und sich durch Abgrenzung von anderen so kaum noch kämpferisch motivieren kann?!

Beim Bildungsstreit beispielsweise geht das CDU-Papier in der Vorstellung von Schule noch immer von einer Einrichtung der Wissensvermittlung aus. Das war Schule zweifellos früher. Weil sich aber auch die Union seit geraumer Zeit für auf den gleichen Weg begeben hat wie SPD, Linkspartei und Grüne, heißt Modernisierung Zusammenlegung von Schulen. Freilich ohne es Einheitsschule zu nennen. Das Gymnasium soll bleiben. Heute formuliert aber auch die Union einen so (illusorisch) umfassenden Anspruch an die Lebensertüchtigungsanstalt Schule, dass die alte Formen-Debatte vorgestrig wirkt. Wer freilich zuerst die „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ einseitig als Entlastung der Berufstätigen von der Kinderbetreuung von der politischen Konkurrenz übernimmt, kommt später nicht umhin, die Schule als Familien-Ersatz-Einrichtung aufzuwerten.

Konsequent wäre es daher gewesen, sich ganz von alten Schulformen zu verabschieden und eine Rundum-Erziehungseinrichtung neuen Typs mit ganz neuem Lehrer-Profil zu entwerfen. Da von Alltags- und Kulturtechniken über Sprachkompetenz bis hin zum Ernährungswissen heute alles in der Schule vermittelt werden soll (die Familie war gestern), müssten die modernen Lehrer der Zukunft eigentlich elternähnliche Erziehungslotsen sein, die weniger in Fachgebieten geschult sind, sondern sich mit dem individuellen Entwicklungsstand jedes Kindes beschäftigen. Sie müssten Nachhilfe und Seelennöte ebenso erkennen, wie Begabungen, sinnvolle Freizeit-Ideen entwicklen und heimische Defizite erkennen. Eine Tätigkeit, die mit der klassischen Schule, mit Stundenplan und Hausaufgaben nichts mehr gemein hat. Eine Art anspruchsvolles Ganztagsinternat, dass realistischerweise in der nötigen Breite öffentlich nicht zu finanzieren ist.

Nun erwartet niemand von der Union solche Visionen. Es würde schon reichen, wenn sich die Parteien mit dem C im Namen darauf besinnen würden, dass es nicht reicht, die Familien Arbeitswelt-kompatibel zu machen, sondern wenn es ihnen ernst damit wäre, die Arbeitswelt familienfreundlicher zu machen. Aber das klingt ja schon wieder irgendwie altbacken nach Heim und Herd. Und so „unmodern“ möchte die moderne Union schon lange nicht mehr sein.

Broder, Biedermänner und die Brandstifter

August 7, 2011

Es ist höchste Zeit, dass die verheerende Rolle der Gebrüder Grimm bei der Vertreibung des Wolfes aus den europäischen Kulturlandschaften endlich schonungs- und tabulos aufgearbeitet wird. Kampfschriften wie „Rotkäppchen“ oder „Die sieben Geißlein“ haben in ihrer Verherrlichung anti-wölfischer Gewalt-Exzesse viel zu lange unwidersprochen den intellektuellen Nährboden für die nahezu flächendeckende Ausrottung des Wolfes (canis lupus) geliefert…

Die Debatte darüber, ob deutsche Islam-Kritiker wie Henryk M. Broder oder Necla Kelek Stichwortgeber oder gar ideelle Anstifter des Oslo-Attentäters Anders Breivik sind, ist so albern und abwegig, dass Sie eigentlich keiner weiteren Erörterung bedürfte. Schon als vor Jahren bekannt wurde, dass die Attentäter des Schul-Massakers von Beslan Musik der deutschen Gruppe „Rammstein“ auf ihren Mp3-Playern hatten, wurde im Feuilleton diskutiert, ob sich mitschuldig macht, wer gewissermaßen den Soundtrack für kranke Hirne liefert.  Damals wie heute eine abstruse Vertauschung von Ursache und Wirkung, von Täter und Zeitgenossen, auf die im Übrigen keiner gekommen wäre, hätten die Mörder ihre Gewaltphantasien mit brachialer Beethoven-Klangkulisse orchestriert.

Dass es dennoch lohnt, einige Worte zum Thema zu verlieren, liegt daran, dass die Diskussion einige interessante Streiflichter wirft. Da ist zum einen das Denkmuster vor allem linker Publizisten, dass an das Prinzip der Partisanen-Vergeltung erinnert: Ermordeten Partisanen etwa auf dem Balkan einen Soldaten der Wehrmacht, ging diese zur Vergeltung daran, das gesamte Umfeld der mutmaßlichen Täter auszulöschen, Dörfer niederzubrennen und Familien bis zum Kleinkind zu massakrieren.

Mit ähnlicher Blindwütigkeit erklären einige Multikulturalisten die argumentative Auseinandersetzung mit dem Islam zur Tat-Beihilfe, unterstellen dem Islamkritiker eine fies verschwiegene aber im Grunde zwangsläufige Weiterdenke hin zum Mordgelüst und plädieren damit in der Konsequenz für ein präventives, radikales Denkverbot in von ihnen selbst abgesteckten Bezirken. Wer nach Erklärungen dafür sucht, wie es zur Kampagne gegen „entartete Kunst“ kommen konnte, findet sie in diesem Fehlverständnis von Debatte und Verbrechen.

Die mutwillige Umdeklarierung des Mit-Denkers zum Mit-Täter legt freilich gerade in der Islam-Debatte einen heiklen Rückschluss nahe, den die Kritiker der Islam-Kritiker nicht wollen können: Wenn die konsumierte intellektuelle Software von Terroristen grundsätzlich mit auf die Anklagebank gehört, muss der Koran logischerweise neben islamistischen Attentätern auf die Richtstatt. Der gravierende Unterschied ist allerdings: Es ist nicht bekannt, dass Broder, Kelek & Co. jemals zu Kreuzzügen, Flugzeug-Attacken oder dem blutigen Kampf gegen Muslime aufgerufen hätten. Ein Umstand, auf den man eigentlich nicht eigens hinweisen muss. Eigentlich.