Archive for Dezember 2009

Aus gegebenem Anlass: Frieden

Dezember 24, 2009

Frieden ist ein Ding, dass man ohne Krieger nicht bekommen kann.

Einer von denen reicht, und der friedliebende Rest hat ein Problem. Nun steht es uns gewiss nicht zu, an der Schöpfung und den ihr innewohnenden Regeln herumzumäkeln. Aber als kleinen Verbesserungsvorschlag für kommende Urknalle könnte man sich doch eine Notiz hinterlegen, dass bei Dingen von so zentraler Bedeutung nicht ausgerechnet die Gegner darüber entscheiden, ob es klappt oder nicht.

Mit Gravitation und Quantenmechanik kann man ja leben. Aber es wäre doch schön, wenn auch bei der Erlangung von Frieden das Leistungsprinzip gelten würde. Wenn man nur ordentlich trainiert, – friedlich, friedlicher, am friedlichsten – dann haben die störenden Friedensstörer keine Chance. Könnte gleich ein Naturgesetz von Anfang an sein. Wie das dann in der Praxis genau funktioniert, muss man sehen, wenn die grobe Vorarbeit soweit erledigt ist (die Welt war wüst und leer usw.). Denkbar wäre zum Beispiel, es zu machen wie im Western, nur andersrum: Pater Bancroft befriedet schneller als Tom Dooley zieht. Oder bei „High Noon“ würde Marshal Will Kane mit Schweißtropfen auf der Stirn und aller Macht friedlich sein bis dem Gangster Frank Miller die Knarre aus der Hand fliegt. Analog spielen wir das mit Afghanistan, Nahost oder Hitler durch.

Sind sie zu stark, bist du zu schwach. Dann heißt es, üben, üben, üben. Ab ins Friedenscamp. Unklar ist freilich noch, ob das Prinzip auch in der kompletten Natur zum Einsatz kommen sollte. Nicht auszudenken, wenn sich die Schlange immer wieder frustriert hinfortschlängeln müsste, weil das Kaninchen sie schon wieder befriedet hat. „Misssst“, würde sie noch leise vor sich hin zischen und es mit dem Löwen versuchen, weil der von seinen Niederlagen gegen all die friedlichen Gazellen schon ganz geschwächt und vor allem aggressiv ist. Und wer aggressiv ist, hat schon verloren und wird gefressen. Frieden würde so zum Evolutionsvorteil, die Auslese raffte fiese, räuberische  Arten hinweg und – ähm, naja, ob es dann bis zum Menschen kommen würde, ist natürlich nicht ganz sicher.

Also vielleicht belassen wir es erstmal bei der Idee, und der Papa vom Jesulein denkt nochmal in Ruhe drüber nach. Nichts für ungut.

Das neue Rot heißt Grün

Dezember 16, 2009

Eines ist beim Kopenhagener Klimagipfel unübersehbar: Der Kampf gegen den Klimawandel hat längst das Ausmaß einer neuen Zeitgeist- und Gesellschaftsbewegung angenommen. Ähnlich wie die 68er-, Anti-Vietnam- oder Friedensbewegung, ist die „grüne“ Umweltbewegung zum neuen Sammelbecken eines weltweiten Aufbruchs geworden. Rund 30 000 Vertreter von Nichtregierungsorganisationen aus dem Herzen Afrikas, Ozeanien, Südamerika und anderen Regionen, denen allein die Anreise zum UN-Gipfel schon eine kaum zu bewältigende Herausforderung sein muss, treffen sich am Rande dieses Mammut-Kongresses und feiern den sie vereinenden Geist. Hinter ihnen stehen all diejenigen, die sie daheim unterstützen und die sie geschickt haben.

Die neue „grüne“ Bewegung hat den Charme einer vermeintlichen unideologischen Neutralität (die sie bei näherem Hinsehen natürlich nicht hat) und die unglaubliche Mobilisierungskraft eines Kampfes auf Leben und Tod. Weil „die“ die Zukunft unserer Kinder gefährden, muss man aufstehen, selbst handeln und einem allerdings etwas diffusen Gegner das Heft aus der Hand nehmen. Und welche ultimativere Berechtigung könnte es für einen Aufstand geben als die Zukunft der Kinder?!

Und: Wer gegen den Klimawandel etwas tun will, tut automatisch etwas für die Dritte Welt, gegen das Monopolkapital und für das eigene Gewissen. Alles, was ein Bier braucht und der Protestler für zünftige Aktionen. Denn auch hier gilt die alte „Faust“-Formel:  Wenn etwas nicht in Ordnung ist, sind die Vertreter des Bestehenden Schuld daran. In dieser Hinsicht besitzt „Grün“ die wunderbare Multifunktionalität eines Schweizer Taschenmessers. Die Öl-Staaten, die Konzerne, Pharma- und Software-Riesen, Regierungen sowieso – jeder kann sich den Schuldigen aussuchen, der ihn schon immer irgendwie ärgerte. Auch wenn der eine oder andere womöglich zum Lösen der Klimaprobleme recht nützlich sein könnte.

Eines freilich bleibt rasch auf der Strecke: Das Eingeständnis, dass jeder Einzelne mit seinem Lebenswandel zu dem des Klimas beiträgt. Das Predigen von Verzicht ist seit dem Wirtschaftswunder nicht populärer geworden. Und dass man einfach nur modernere Technik einsetzen müsse, um genauso weitermachen zu können, muss man schon glauben wollen, um es zu glauben.

Klima-kterium oder Welt-Wechseljahre der Energie

Dezember 13, 2009

Der Klimawandel ist ein rechter Glücksfall. Nach mehreren erfolglosen Probeläufen wie „Waldsterben“, „Ozonloch“ oder „Tschernobyl“ hat sich endlich eine Katastrophe gefunden, die hinreichend komplex ist, um auch für die kritischste Öffentlichkeit nicht nachprüfbar zu sein. Dass die prognostizierte Entwaldung Deutschlands innerhalb weniger Jahre ausgeblieben ist, ließ sich mit einem schlichten Spaziergang verifizieren. Beim Ozonloch rätselten Wissenschaftler öffentlich darüber, weshalb die vorhergesagte dramatische Ausbreitung sich so nicht zugetragen hat. Und auch das böse Omen immer wiederkehrender Nuklearunfälle bei Atommeilern ist bislang ausgeblieben.

Beim Klimawandel hingegen hat es eine kleine Wissenschaftler-Sparte in der Hand, die gesamte Weltpolitik in Aktion zu versetzen, weil die ausgemalten Folgen gigantisch wären – wenn sie recht hätten. Ein Risiko, auf das es niemand ankommen lassen will. Endlich ist nun ein Weltuntergangsszenario gefunden, dass vorab nicht überprüfbar ist und auf das auch diesmal wie bei den Vorgängern, die geballte Zivilisationsskepsis des Westens, die Kapitalismuskritik der entsprechenden Milieus und die Sehnsucht aller sinnsuchenden Engagierer projiziert weden kann, endlich eine gute, rettende Mission zu verfolgen.

Zwar gibt es Unklarheiten bei den zugrundeliegenden Klimakurven und berechtigte Zweifel, ob nach Millionen Jahren Leben auf der Erde und nur 150 Jahren Wetteraufzeichnung aussagefähige Hochrechnungen möglich sind, aber im Großen und Ganzen bewegt sich die Skepsis der nüchternen Klimabeobachter notgedrungen auf dünnem Eis. Die Alarmisten haben die Datenhoheit, und so gründen sich Zweifel beispielsweise darauf, dass hochkomplexe Klimamodelle miteinander verrechnet werden, deren Fehlerstreuung bereits in den Einzelteilen nur grob kalkuliert werden kann. Beim Gesamtmodell muss sich deshalb zwangsläufig auch die mögliche Fehlervarianz potenzieren, so dass bei der angenommenen Erwärmung ebenso große Abweichungen möglich sind wie bei der Wirksamkeit der geforderten Gegenmaßnahmen.

In der jüngsten Publikation des Potsdamer Klimaforschers Hans Joachim Schellnhuber über so genannte Kipp-Punkte des Weltklimas befasst sich jede einzelne Problemstudie mit so weit verzweigten komplexen Systemen, dass es am Ende wie unglaubliche Selbstüberhebung anmutet, diese Teilaspekte zu einem Gesamttrend zu verbinden. Wer beispielsweise den Staubeintrag der Bodele-Senke im Tschad in die Atmosphäre mit all ihren Wechselwirkungen verlässlich erfassen  will, hat ein Lebenswerk vor sich. Aber gleich acht Systeme dieses Kalibers miteinander zu einem gültigen Klimamodell zu verflechten, ist ein Unterfangen, dass dem Finden der Weltformel aus Relativitätstheorie und Quantenmechanik in nichts nachsteht.

Vor diesem Hintergrund sind die Behaupter des Klimawandels im Vorteil, weil sie mit Zahlen und Theorien aufwarten, die kein Mensch nachvollziehen kann. Die Skeptiker dagegen können sich nur auf wissenschaftstheoretische Erfahrungen berufen und als unverantwortliche Welt-Hasardeure beschimpfen lassen. Und wenn in zwanzig Jahren kein Klimawandel ist, dann haben nicht etwa die Alarmisten geirrt, sondern werden ihren Erfolg feiern.

Ein Gutes hat die ganze Plotte immerhin: Grundsätzlich schaden kann es so oder so nicht, sich vom Verbrennen fossiler Rohstoffe loszumachen. Nur wäre das eben auch durch Forschungsinvestitionen erreichbar, die vermutlich nur einen Bruchteil der Kopenhagener Milliarden ausmachen würden.

Ein Herz für Kinder

Dezember 12, 2009

Charity-Sendungen entlarven den deutschen Sozialstaat: Der Skandal ist nicht, dass Kinder unterstützt werden, sondern welche Einrichtungen hier mit Spendengeldern bedacht werden müssen. 750 Milliarden Euro werden jährlich in den Sozialsystemen verteilt. Dass trotzdem ein Heim für minderjährige Mütter in Offenburg Spenden braucht, sollte ein Skandal sein.

Das Schablonen-Syndrom

Dezember 11, 2009

Es gibt Menschen, die nehmen Teile von sich wichtiger als ihr Ganzes: Bei Feministinnen ist es das Geschlecht, bei Juden ihr Jüdischsein und bei Ossis die DDR-Herkunft. Bekommt eine Frau einen guten Job, dann kriegt sie ihn „als Frau“, soll heißen trotzdem. Yepp! Ein toller Erfolg. Kriegt sie ihn nicht, dann, „weil sie eine Frau ist“. Bei Ossis ist es analog, und im SZ-Magazin (Nr. 50/2009)  kann man nachlesen wie es bei Maxim Biller (im Streitgespräch mit Henryk M. Broder) funktioniert. Rezensiert ein Jude Billers Buch, ist der Rezensent vorgeschickt, damit sich Juden untereinander prügeln. Schreibt ein Nichtjude über Biller, hat er wenig Chancen nicht als Anti-, Philo- oder sonstiger -semit wegzukommen.

Alles in allem ein interessantes Phänomen, mit dem man hierzulande leben gelernt hat. Und das auf den verschiedensten Gebieten schon beachtliche gesellschaftliche Protestbewegungen hervorgebracht hat. Wer mit dem Schablonen-Syndrom durch die Welt reist und sein Raster grob genug hält, kann stets zwischen Diskriminierung und beachtlichem Sonder-Erfolg pendeln. Es gibt freilich einen fiesen Trick, wie man den Homo Schablonicus aushebeln, erledigen und auf sich selbst zurückwerfen kann: Man zwingt ihn, sich einfach als Mensch zu betrachten.

Und schon hat der Mensch  ein Ziel entweder nicht erreicht oder ist halt erfolgreich gewesen. Nicht als etwas, sondern einfach nur selbst. Obwohl es schon schöner ist, bei Niederlagen der bösen Welt zornig und bei Erfolgen allein durch die feindlichen Heere gebrochen zu sein. So leicht, wird sich das Schablonen-Syndrom deshalb wohl nicht ausrotten lassen. Und weil Ossi-Blogs von den Wessis mit Ignoranz gestraft werden, merkt es wieder keiner…

Brandenburger Weg ins Abseits

Dezember 8, 2009

Über eines sind sich nahezu alle Akteure der Brandenburger Landespolitik einig: Das Stasi-Thema darf  „nicht politisch instrumentalisiert werden“. Wer bislang nach den Ursachen für jene seltsame politische Windstille im Berliner Umland suchte, wer sich über die eigentümliche Sonderkultur des Potsdamer Landtags wunderte, findet hier den Kern des „Brandenburger Wegs“: Es ist das im Grunde vordemokratische Herauslösen ganzer Gesellschaftsthemen aus dem politischen Geschäft. Das Gegenteil ist richtig: Alles muss politisch instrumentalisiert und auf dem parlamentarischen Streitplatz verhandelt werden. Gern dürfen dabei auch Fetzen fliegen.

Streit klärt und erklärt. Es ist gerade die Aufgabe der Politik, sich all den Dingen zuzuwenden, die ein Gemeinwesen betreffen und umtreiben, anstatt eine Harmonie-Kultur zu pflegen, die eine Weiterführung der Volkskammer mit anderen Mitteln zur Folge hat. Noch in den 90er Jahren verließen einzelne SPD-Abgeordnete den Saal, wenn der damalige CDU-Generalsekretär Thomas Klein ans Rednerpult ging, weil er „so böse“ Reden halte. Klein ist damals auch an dieser Debatten-Kultur gescheitert. Und an der Tatsache, dass sich die Opposition auf diesen Regierungsstil des innenpolitischen Appeasements eingelassen. So, wie es lange dauerte, bis man verstanden hat, das nicht die Ausklammerung aus ökonomischen Handelsmechanismen das Klima rettet, sondern gerade die Einbeziehung des Emissionshandels in das Marktgeschehen der Umwelt einen konkreten Gegenwert verleiht, so sollte man auch in Brandenburg zwanzig Jahre nach der Wende endlich lernen, dass es keine Thmen außerhalb der Politik gibt. (Auch das Gesundheitswesen krankt ja daran, dass es gerade keinen funktionierenden Markt für Gesundheit und Medizin gibt.)

Das Thema Stasi verlangt geradezu danach, politisch „instrumentalisiert“ zu werden. Die Stasi war eine politische Kampforganisation – die Entscheidung für oder wider die Stasi war mithin keine Privatsache. Heute kann, soll und muss mit aller Härte zwischen den Parteien als Organen der politischen Willensbildung darüber gestritten werden, wie mit der Stasi und ihren Zuträgern umzugehen ist. Das MfS in eine Art außerpolitischen Sonderfonds, einen nachgelassenen Schattenhaushalt der DDR auszulagern, nützt am Ende nicht dem Gemeinwesen, sondern dem alten Geheimunwesen. Mag sein, dass sich das Wahlverhalten der Brandenburger durch saftige Debatten nicht ändert, aber sie können dann eben bewusst entscheiden, ob sie die Partei der „Läufer“ tatsächlich mehr schätzen als die der „Mitläufer“. Die CDU muss sich in solchen Debatten ebenso ihrer Vergangenheit stellen, wie die Linkspartei und die FDP.

Es ist höchste Zeit, dass endlich souveränes parlamentarisches Leben in den Mauern des alten SED-Kremls einzieht, und dass sich die Opposition nicht länger vom zweckdienlichen Dunst vermeintlicher Friedenspfeifen einlullen lässt.

Fundsache: Dieter Nuhr

Dezember 7, 2009

Der Comedian Dieter Nuhr im Umfeld der Minarett-Debatte: „Mit der Toleranz ist es meist genau dort zuende, wo Muslime die Mehrheit haben.“  Klingt böse, ist aber was dran. Manche Wahrheiten muss man einfach mal aussprechen.

Klima und Verzicht

Dezember 5, 2009

Nichts ist in der westlichen Welt so unpopulär wie Verzicht. Und so ist es denn dieser Tage auch nicht verwunderlich, dass in der Klima-Debatte immer wieder versucht wird zu erklären, wir könnten den Klimawandel durch moderne Technologie ohne Verzicht und Brüche aufhalten. Man könnte diese Rhetorik auch als „Einheits-Syndrom“ bezeichnen: als die Angst handelnder Politiker ein unzweifelhaft sinnvolles Projekt (wie ehedem die deutsche Einheit) dadurch zu gefährden, das der träge Lümmel Volk womöglich keine Lust hat. Nun mag dies tatsächlich mitunter vorkommen, dass die Erwartung von Erschwernis, zu kollektiver Verhinderung führt. Im Falle der ehrgeizigen Klimaziele, die sich die eifrigen Retter der Welt selbst gesteckt haben, wird das kaum möglich sein. So ernst sollten die Vorkämpfer fürs Klima ihre eigenen Ansagen schon nehmen.

Wer bis 2050 80 bis 100 Prozent der CO2-Emissionen abschaffen will, der verordnet sich selbst einen Technologie-Sprung, gegen den die industrielle Revolution ein (klimafreundlicher) Pups war. Das Problem ist, dass gerade in den reichen Ländern sich viele um die einfachsten naturwissenschaftlichen Zusammenhänge nicht mehr kümmern und überhaupt „die Gesellschaft“ als eine dritte Person jenseits ihrer selbst sehen. Wer auf Elektro-Autos umsteigt, mag ein gutes Gefühl haben, am Energieverbrauch ändert er gar nicht (erster Hauptsatz der Thermodynamik). Erst wenn die komplette Energieversorgung auf regenerative Quellen umgestellt ist, wird das der Fall sein. Bis dahin entsteht der Dreck nur nicht mehr beim Auspuff, sondern woanders. Bis aber etwa Transatlantikflüge per Batterie möglich sind (und neben die Akkus noch Fluggäste passen), dürfte noch einige Zeit in die Welt gehen.

Mit anderen Worten, das Versprechen von bruch- und verzichtsloser Klimarettung ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine Mogelpackung. Tatsächlich werden wir beispielsweise unsere Mobilitätskonzepte überprüfen müssen: Vielleicht wird dann nicht mehr jedes Ziel der Welt für jeden kurzfritstig zu erreichen sein. Vielleicht werden wir nicht mehr über zig Kilometer pendeln und nur aus dem wirtschaftlichen Nahfeld konsumieren.

Und auch die gewaltigen Transfer-Summen, die in Kopenhagen verhandelt werden (zwischen 300 und 500 Milliarden USD jährlich) werden bezahlt werden müssen. Und außer uns Menschen ist niemand da, der das tun würde. Flugbezinbesteuerung und Abgaben auf Frachtschifffahrt liegen auch in Europa schon als Konzept in der Schublade. Fazit: Flugreisen werden teurer und alle Güter mit verschiffbaren Teilen. Wer also immer wieder mit Nachdruck von der Politik die Rettung des Weltklimas fordert, der sollte zunächst einmal an sich selbst heruntersehen und sich fragen, was er dafür an Opfern zu bringen bereit ist. Schnäppchen-Logik wird es beim Klima nicht geben.

Fundsache: Wowereit

Dezember 1, 2009

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hat das Urteil der Karlsruher Verfassungsrichter als „Rückschritt für das Christmas-Shopping“ bezeichnet.

Dazu müsste man eigentlich nichts weiter sagen. Besser kann man die Gemütslage des obersten Hauptstädters wohl nicht sezieren! Hat dieser Mann überhaupt begriffen, worum es in dem Verfahren ging? Passt auf den mentalen Flachbildschirm dieses deprimierenden Bürgermeisters nichts anderes als „Rückschritt für das Christmas-Shopping“? Jeder Freizeit-Gewerkschafter (dass ist eine Arbeitnehmer-Vertretung, der die SPD einmal nahe stand) versteht mehr von Wochenendschichten vor Weihnachten im Einzelhandel, von zerrütteten Familien und dem Stress des nie endenden Geschäftsrummels als Wowereit, der mehr Vize ist als SPD.

Man muss schon die Leuchtreklamen am Picadilly Circus für blühende Landschaften halten, um die Fragen der Sonntagsöffnungszeiten auf einen „Rückschritt für das Christmas-Shopping“ zu reduzieren. Wenn es denn einen Grund zum Beten gibt, dann den, dass der Herr uns verschonen möge mit Regierenden, deren Menschenbild und Verständnis von der Gesellschaft so eindimensional ist, dass ihnen zu einer Frage des Zusammenlebens vor dem wichtigsten Fest des Abendlandes nichts anderes einfällt als „Rückschritt für das Christmas-Shopping“.

Eigentlich ist es zum Heulen.

Der Sonntag und die Ruhe

Dezember 1, 2009

Am peinlichsten sind die dümmlichen Polemiken, die Kirchen wollten beim Verweis auf die Sonntagsruhe ja nur ihre leeren Gotteshäuser füllen. Als würde das Verrammeln der Läden die am Shoppen gehinderten Schäflein umgehend in die Heilige Messe oder den Gottesdienst treiben. Der wirkliche Glücksfall dieses Urteils liegt in einer ganz anderen Richtung: In dem Zeichen, dem rotierenden Wirtschaftleben eine Zäsur zu verordnen und diese zu pflegen.

Die weltweite Wirtschaftskrise ist vor allem ein Strecken-Kollaps im Wirtschaftswettlauf. Ein Zusammenbruch mitten im Rennen um die Renditen, der auch damit zu tun hat, dass wir irrigerweise daran glauben, das Tempo immer weiter steigern und immer mehr herausholen zu können. Wie bei den Fabel-Rekorden im Sprint, wird das aber nur für die allerwenigsten, mit unredlichem Doping oder irreparablen Schäden gelingen. Die viel beschworene „Gier“ als Ursache der Wirtschaftskrise ist viel mehr als eine auf Einzelpersonen bezogene Charakterschwäche. Sie ist ein Synonym für eine Gesellschaft der vernetzten Hamsterräder und -rädchen. Die immer weiter fortschreitende Durchökonomisierung ist dabei der Transmissionsriemen. Eine Gesellschaft die sonntags einkaufen will, wird früher oder später sonntags arbeiten müssen.

Die flexiblen Eliten der Web-, Medien-, Banken- und Dienstleistungsbranchen wollen zur Aufrechterhaltung ihrer zum Teil selbstausbeuterischen Effizienz in den variablen Korridoren ihrer Freizeit möglichst alles rasch und zeitsparend erledigen und nicht vor verschlossenen Türen stehen. Damit drängen sie Verkäufer, Zulieferer, Werkstätten, Hilfsgewerbe etc. ebenfalls in rotierende Schichten und Dienste, obwohl die meisten Beschäftigten dort eher wenig verdienen und kaum Zeitausgleich bekommen. Waren es früher wenige Dienstleister, die „trotz“ des Sonntags arbeiteten, so geht ein schleichender Trend dahin „wegen“ des Sonntags zu arbeiten, weil dort lukrative Geschäfte winken. Das Ergebnis ist eine Ruhelose Gesellschaft ohne Zäsur, eine ungesunde Gesellschaft.

So kommt die familienfressende Stress- und Bereitschaftsspirale auch bei Kleinverdienern an, die nun ‚Betreuungsangebote brauchen und damit ihrerseits soziale Dienstleistungen in die volle Flexibilisierung treiben. Bei all dem Druck soll die Lebensqualität nicht auf der Strecke bleiben, Schulgeld, Vorsorge für die Rente, Urlaub, kleine Freiräume – der Finanzdruck zwingt zu rentabelster Geldanlage und zu Jobs mit maximalem Ertrag für die ganze Selbstaufopferung.

Wenn wir weiter nach der Maxime vorgehen wollen, um so vieles effizienter zu sein, wie unser abgesichertes Leben die Produkte teurer macht, werden wir als hochtechnologisierte Spitzen-Nation als erste unsere Gesellschaft von innen heraus ruinieren. Die Werte, die Rituale und den Zusammenhalt. Überall dort, wo internationale Konkurrenz herrscht, werden wir diesem Wettbewerb kaum ausweichen können, weil er der ureigene Motor aller Weiterentwicklung ist. Aber wo es schadlos möglich ist, sollten wir dem immer rasanter rotierenden Effizienz-Rad in die Speichen greifen. Der arbeitsfreie Sonntag ist genau so eine Stelle.

Deshalb wäre es angemessen, wenn auch werktätige Atheisten am kommenden Sonntag mal in der Kirche vorbeischauen würden, kurz der Musik lauschen und sich im Stillen bedanken für die Klage der großen Kirchen in Karlsruhe.