Posts Tagged ‘Verteidigungsminister’

Zu zu Guttenberg II: Gegendarstellung

Februar 23, 2011

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Bundesverteidigungsminister Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) hat weder persönlich die Atombombe über Hiroshima ausgeklinkt, noch an Massenerschießungen in den Abruzzen teilgenommen. Er hat keine Berichte über Mitarbeiter seines Büros an den KGB verkauft, keine Geheimdossiers an die Amerikaner weitergeleitet, war nicht bei der Stasi, hat nicht im Vollrausch ein Schulkind totgefahren, keine Spende von Kraus-Maffai entgegengenommen und ist auch nicht in flagranti mit Bettina Wulff erwischt worden. Karl Theodor zu Guttenberg hat für seine Doktorarbeit abgeschrieben.

Wer in diesen Tagen Kommentare über die moralische Untragbarkeit des Ministers, seinen Ansehensverlust und die Beschädigung des deutschen Rechtsstaats durch zu Guttenbergs bodenlosen Vertrauensbruch liest, könnte rasch zu falschen Schlüssen kommen: Der Skandal lautet Abgeschrieben. Niemand heißt das gut, niemand verteidigt den Verteidigungsminister, niemand fordert mildernde Umstände. Nun liegt es natürlich allen Beteiligten fern, ihr parteipolitisches Mütchen an dem Sympathiträger zu kühlen (feix! prust!), aber es fällt eben doch auf, dass Abschreiben im Vergleich zum kompletten Infragestellen und Bekämpfen der freiheitlichen Grundordnung offenbar das schlimmere und vor allem unverzeihliche Vergehen ist.

Ein Ex-Außenminister durfte sich in Sympathie von Öffentlichkeit und Medien sonnen, obwohl er einst zum randalierenden Autonomen-Lager gehört und Konferenzen der PLO besucht hat, als diese noch Terror-Truppe war. Ein früherer Umweltminister, der einst als Linkssektier seine politische Karriere begann, kann heute ohne Aufschrei der Empörung den Rücktritt zu Guttenbergs fordern und erhält Schützenhilfe von Kommentaroren, die ihre einstigen Ausflüge ins linksdogmatische Lager heute eher als amüsante biografische Fußnote betrachten. Zu Recht, solange offen und reflektiert damit umgegangen wird. Von Leuten wie Gregor Gysi, die sich eigentlich dreimal täglich bedanken müssten, dass ihre Doktorarbeit zum „sozialistischen Recht“ einfach mal stillschweigend mit allen anderen Abschlüssen im Zuge der Wiedervereinigung anerkannt wurden, ganz zu schweigen. Von dieser Seite sind Kommentare gänzlich unangebracht.

Nur, warum ist Weltanschauliche Verwirrung eine lässliche Sünde, während Abschreiben als bodenlose Verkommenheit deklariert wird, die den Ausschluss aus der Gesellschaft der Anständigen nach sich zieht. Liegt da nicht die ganz verschämte Frage nahe, ob hier womöglich die Maßstäbe etwas ins Purzeln geraten? Ist Kleinklau beim Arbeitgeber ein Kavaliersdelikt, Abschreiben beim Doktor dagegen Kapitalverbrechen? Wie wäre es, wenn man sich vorher überlegen würde, wo der politische Reinstraum beginnen und wo er enden soll, anstatt mit der Flex-Moral durchs Land zu ziehen, jenem eine Ethik-Flatrate mit kostenlosen Freischüssen anzubieten und dem Nächsten die Alles-oder-Nichts-Falltür ohne Publikumsjoker zu verordnen. Denn den hat zu Guttenberg nach wie vor im Ärmel. Vielleicht liegt das daran, dass die Anklage allzu konstruiert und politikfern klingt – und das selbst in den Ohren eher politikferner Zeitgenossen.

Oder anders gesagt: Die Lichtgestalt zu Guttenberg ist Mensch geworden. Für die Kreuzigung kann man getrost warten, bis er einen wirklich schweren Fehler begeht.