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Ethikrat los

März 25, 2016

Das Geschäft mit der Ethik boomt. Kanzlerin Angela Merkel ließ 2011 den beschleunigten Atomausstieg von einer „Ethikkommission“ beschließen, obwohl im Grunde Atomexperten gefragt gewesen wären. Die Fifa beschäftigt derzeit eine Ethikkommission zur Aufarbeitung gemauschelter WM-Vergaben, wo tatsächlich Korruptionsermittler ran müssten. Und in Deutschland gibt es gar einen ständigen Ethikrat, der Empfehlungen für die Bundesregierung erarbeitet.

Wozu?

Ethik klingt super. Nicht so alltäglich, nicht so ganz von dieser Welt, mehr nachdenklich und nach der Reinheit der Gedanken ohne all den irdischen Schmutz und menschliche Niedrigkeit. Doch in Wahrheit läuft das Geschäft der Ethiker meist darauf hinaus, höhere moralische Weihen zu spenden für den weltlichen Selbstlauf der Dinge.

Dieser Tage befasste sich der deutsche Ethikrat mit Embryonenspenden und forderte den Gesetzgeber auf, dafür klare Regeln zu schaffen. Nun kann es nie schaden, Dinge zu regeln, die nicht geregelt sind. Wirkliche Orientierung gibt all das aber nicht. Die Embryonenspende ist dafür ein gutes Beispiel. Bei künstlichen Befruchtungen werden Eizellen außerhalb des Körpers befruchtet und danach der hoffentlich werdenden Mutter wieder eingesetzt. Oft werden dabei deutlich mehr Embryonen erzeugt, als benötigt. Pro Versuch, werden der Frau 3 befruchtete Eizellen eingesetzt, kommt es rasch zur Schwangerschaft, sind die restlichen, noch eingefrorenen überzählig, und können entweder verworfen (vernichtet) oder an andere Menschen mit Kinderwunsch weitergegeben, also gespendet werden.

Und genau hier beginnt eine Rutschbahn ethischer Folgerichtigkeit, die im Grunde nicht aufzuhalten ist: Natürlich ist es moralisch sehr viel plausibler, Embryonen die Chance zum Leben zu geben, als sie zu verwerfen. Daraus ergibt sich die nächste Frage: Wer bekommt diese befruchteten Eizellen? Nur kinderlose verheiratete Paare? Auch Paare ohne Trauschein? Singles? Verpartnerte Homo-Paare? Oder auch unverpartnerte Homo-Paare? Man ahnt die Antwort: Da staatliche Zertifikate längst nicht mehr als unverzichtbare Beglaubigung angesehen werden, wird die Debatte darauf hinauslaufen, welche Partnerschaftsform in Frage kommt. Im Zuge der Gleichbehandlung werden homosexuelle Paare ihr Recht dazu notfalls einklagen.

Doch aus der Embryonenspende ergeben sich naheliegende Konsequenzen: Wenn Homo-Paare als Empfänger von Embryonen in Betracht kommen, gibt es im Grunde kein stichhaltiges Argument gegen die Freigabe des vollen Adoptionsrechts für gleichgeschlechtliche Partner. Und: Das in Deutschland geltende Verbot von Leihmutterschaft, das durch verschiedene Musterklagen bereits indirekt angegriffen ist, dürfte kaum zu halten sein, wenn die Vergabe vom Embryonen auch an biologisch fremde Eltern erlaubt ist. Die Erfahrung hat gezeigt, dass das Kindswohl Ungeborener in der Praxis hinter der eingeforderten Gleichbehandlung Erwachsener fast immer zurücktritt. Deshalb steht weder zu erwarten, dass die lebenslange Suche nach den leiblichen Eltern ein Argument für Restriktionen bei der Embryonenspende sein wird, noch das Aufwachsen mit Eltern beiderlei Geschlechts. Und dass Embryonen vor der Weitergabe etwa auf Erbkrankheiten untersucht werden (PID), liegt ebenfalls in der Natur der Sache. Warum ein Risiko eingehen?!

Das nüchterne und ernüchternde Fazit ist: Ethikräte und –kommissionen sind überflüssig. Egal, ob Embryonen-Selektion durch Präimplantationsdiagnostik, Embryonenspende oder Leihmutterschaft, eine ethisch motivierte Ein- und Begrenzung wird es nicht geben, allenfalls Ausführungshinweise bei der Umsetzung der entsprechenden Gesetze. So empfiehlt der Ethikrat etwa, Kinder, die aus Embryonenspende hervorgehen, im Alter von 18 Jahren über ihre Abstammung zu informieren. Ethik, die menschlichem Tun keine Grenzen setzt, ist so überflüssig wie ein Regenmantel bei Sonnenschein. Um alles zuzulassen, was medizinisch möglich ist, braucht man keine Ethik.

PID – Auf der ethischen Rutschbahn

Juli 8, 2011

Der Beschluss des Bundestags zur Freigabe der Präimplantationsdiagnostik (PID) zeigt vor allem eines: Den alles andere dominierenden Opferblick der von den Abgeordneten repräsentierten deutschen Gesellschaft. Nach der eng begrenzten Lesart der PID sind im Jahr in Deutschland etwa 200 Paare von Erbleiden betroffen, die einen Einsatz dieser Methode sinnvoll erscheinen lassen. Das emotionale Hineinversetzen in das schlimme Schicksal dieser Menschen ist der zentrale Beweggrund, der Abstimmung: Niemand möchte unter so qualvollen Umständen um sein Wunschkind ringen oder sogar darauf verzichten müssen, deshalb werden ethische Bedenken, die nahezu alle Debatten-Teilnehmer zugaben, zugunsten wissenschaftlicher Praktikabilität zurückgestellt.

So wird also eine generelle Regelung zur Antastbarkeit werdenden Lebens in das Embryonenschutzgesetz eingefügt, weil es unter 80 Millionen Deutschen 200 tragische Fälle gibt. Um es unmissverständlich zu sagen: Es geht hier nicht um das quantitative Aufrechnen von Schicksalen. Es geht nicht darum, dass man über das Leid von verschwindenden Minderheiten einfach so hinweg gehen dürfte. Es geht vielmehr darum, dass das Grundverständnis der Demut vor dem Leben – auch vor dem menschlichen Leben – einen weiteren Schritt zurückgedrängt wird. Dass es Konstellationen im Leben gibt, die man ertragen muss, weil zur Abhilfe elementare Regel verletzt werden, ist immer weniger gesellschaftlicher Konsens.

Es gibt, um einen ebefalls aktuellen Vergleich anzustellen, auch kein Menschenrecht auf ein Spenderorgan. Selbst wenn mein Nachbar gefahrlos eine Niere hergeben könnte, gibt es keine Rechtfertigung für eine Freigabe der Zwangsspende von Organen. Nur dass in diesem Falle eben „vollwertige“, lebende Menschen die Betroffenen wären, die eine andere Lebensschutz-Akzeptanz genießen als das werdende Leben von Embryonen. Befremdlich ist allerdings, dass angesichts der inzwischen bereits riesigen und in Zukunft weiter wachsenden Möglichkeiten der Manipulation am Embryo die PID-Befürworter nicht wenigstens ein leiser Schauder beschleicht, wozu sie da Vorschub geleistet haben mögen. Aber vielleicht wird auch diese Abwägung von der Empathie mit den erblich belasteten Paaren völlig überschattet.

Dass es keinen ethischen Rutschbahn-Effekt gibt, wie die PID-Befürworter behaupten, wird indes von der Realität schon heute widerlegt. Schon jetzt wird während der Schwangerschaft bereits getestet, was nur getestet werden kann. Wer heute auf eine Fruchtwasseruntersuchung verzichtet, gilt nicht selten als unverantwortlich. Und das Verständnis dafür, dass man sein Kind anzunehmen habe, ganz gleich, wie es auf diese Erde gesandt wird, um den alles überragenden Wert des Lebens nicht zu relativieren, dieses Verständnis ist längst auf dem Rückzug. Und da nicht um des Testens selbst willen getestet wird, steht immer häufiger auch die Entscheidung an, bei erhöhten Wahrscheinlichkeiten von Fehlentwicklungen zu „reagieren“.

Auch die Tatsache, dass zugunsten der PID immer wieder auf die Möglichkeit zur Spätabtreibung verwiesen wird, zeigt, wie die schrittweise erfolgte Freigabe ethischer Grenzflächen immer wieder zu Ausbau und Erweiterung derselben genutzt werden kann und genutzt wird. Glaubt im Ernst jemand, dass in Zukunft weniger schwere Behinderungen oder Fehlbildungen bei Kindern hin- und angenommen werden, während jenseits einer noch zu ziehenden Grenze „schwerwiegende“ Beeinträchtigungen „vermieden“ werden können. Warum das Risiko erhöhter Brustkrebsgefährdung dem eigenen Kind mit auf den Weg geben, wenn man diese Option durch PID ausschließen kann?!

Für gesellschaftliches Klima und Wertewandel gibt es kaum Statistiken. Wer mit Werteverständnis argumentiert, hat es immer schwerer als Leid-Verhinderer, die dramatische Bilder ausmalen und konkrete Schicksale zeigen können. PID wird aber auch deshalb zu einem Bumerang werden, weil viele Behinderungen im Verlauf der Schwangerschaft und der Geburt entstehen. Wer schwere Erbschäden in der Petrischale hat ausschließen lassen und dann wegen Sauerstoffmangels unter der Niederkunft ein behindertes Kind bekommt, wird unter einem gesellschaftlichen Klima der erwarteter Gen-Gesundheit noch schlimmer zu leiden haben, obwohl er selbst dazu beigetragen hat.

Und noch etwas macht das PID-Votum deutlich: Glaube und Wertebewusstsein werden offenbar immer weniger als „verbindlich“ und „bindend“ angesehen. Werteüberzeugungen auch dann anzuwenden, wenn sie im Einzelfall nicht praktikabel sind und einem Gewissensbürden auferlegen, scheint immer unmoderner zu werden. So intensiv und ernsthaft die bioethischen Debatten im Bundestag in den letzten Jahren auch geführt wurden, sie endeten noch immer mit Kompromissen, wo eigentlich keine Kompromisse möglich sind.