Posts Tagged ‘Merkel’

Böhmermanns Aufmerksamkeitserzwingung

April 10, 2016

Man kann, wie Mathias Döpfner, das Schmähgedicht von Jan Böhmermann als Entlarvung der deutschen Bücklings-Diplomatie gegenüber Ankara sehen, allerdings widerlegt sich der Künstler bei dieser Lesart selbst, wenn er ausgerechnet beim Kanzleramtsminister um Beistand nachsucht.

Man kann die Aktion des JB auch als Offenlegung von zweierlei Maß bei Schmähung des Christentums und Schmähung des türkischen Präsidenten verstehen. Man kann aber auch schlichtweg das eine wie das Andere für überflüssig halten.

Um es klar zu sagen:

Ich brauche keine Leute, die mich mit Provokationen  auf Offenkundiges hinweisen wollen. Diese postpubertäre Ästhetik hat sich mit den Jahren etwas abgenutzt. Hauptberufliche Aufrüttler und Spiegelvorhalter genügen vor allem sich selbst.

Ich brauche niemanden, der mir sagt, dass Deutschland sich mit dem Türkei-Deal von der Erdogan abhängig macht. Nachrichten hören/sehen/lesen reicht völlig, um das zu wissen.

Ich brauche niemanden, der mir erklärt, dass es in der Türkei demokratische Defizite gibt.

Ich brauche künstlerisch verbrämte Test-Schmähungen des Christentums ebensowenig, wie solche des Islams. Kritische Auseinandersetzung wäre Herausforderung genug.

Ich brauche keine bereinigten Mediatheken. Wer etwas ausstrahlt, soll auch dazu stehen.

Ich brauche keine Kanzlertelefonate über einen Spaßmacher, der zum Lachen in den Quotenkeller geht.

Und eigentlich brauchen wir auch keine Neuauflage der alten Debatte: Kunst darf alles, aber sie muss es – verdammt noch mal – nicht.

Technik überholt Datenschutz

August 4, 2013

Warum durchsuchen amerikanische Dienste das komplette Internet nach verdächtigen Daten? Weil sie es können!

Schön, dass es diesmal die anderen trifft. Bisher waren es meist Konservative, Lebensschützer und Ethik-Idealisten, die mit ansehen mussten, dass das Machbare immer auch gemacht wird. Jetzt stehen Fortschrittler, Web-Euphoriker und Computer-Nerds plötzlich vor den Trümmern ihres Glaubens an das Gute im Netz. Doch der NSA-Ungeist will partout nicht zurück in die Flasche. Snowden, Jahrgang 2013.

Denn die banale Wahrheit ist: In die digitale Welt kann man die analoge Privatsphäre nicht mitnehmen. Zum einen gibt das technisch Mögliche auch die Anspruchshaltung vor, zum anderen kann auf die „Stärke des Rechts“ (Merkel) nur setzen, wer dessen Einhaltung auch überprüfen und durchsetzen kann. Weil aber im Web 2.1 niemand mehr mit Krokodil-Klemmen an Hubdreh-Relais in Schaltschränken herumwerkeln muss, weil Server-Inhalte von jedem Punkt der Welt aus durchsucht werden und Speichermedien mit geringstem Aufwand fast endlose Kopien ziehen können, ist Datenschutz nach deutschem Gusto eine Illusion.

Selbst wenn man wollte (was weder Rot-Grün noch Schwarz-Gelb getan haben), man könnte den weltweiten Datenstrom gar nicht darauf hin kontrollieren, dass nicht illegal kontrolliert wird. Noch weniger könnte man die USA oder irgendeinen anderen Staat mit Server-Standort zwingen, Regeln durchzusetzen, die dieser nicht will. Dass entscheidende Argument dafür, dass auch in Zukunft das Web nach der Schleppnetz-Methode durchforscht wird, ist aber: Alles andere wäre völlig sinnlos. In Zeiten nahezu unbegrenzter Schnellball-Kommunikation per Mail, SMS, über soziale Netzwerke und Foren kann man im Sinne von Kriminalitäts- und Terrorbekämpfung entweder versuchen, alles zu überwachen oder man lässt es ganz.

Die klassische Variante: Verdächtige Person, Antrag auf Richterbeschluss zum Überwachen, richterliche Genehmigung, Anonymisierungsschutz für Kontaktpersonen, die nicht unter Verdacht stehen… – ein solches Vorgehen wäre ein Witz, wenn man vorhat, tatsächlich Netzwerke aufzudecken oder gar Planungen von Anschlägen im Voraus zu vereiteln. Kurz: Die weltweite Massenkommunikation erzwingt geradezu die weltweite Massenüberwachung. Kleiner Trost: Die schiere Datenmenge, die so gewonnen wird, ist sinnvoll nutzbar nur im Umfeld eines Verdachts. Bei keinem Dienst der Welt würden die Kapazitäten ausreichen, mit all diesen Daten Gesinnungsschnüffelei, Manipulation oder gar gezielten Zugriff nach Art der Stasi zu praktizieren.

All das will man in dieser Deutlichkeit den Bürgern freilich nicht sagen, und es ist schon interessant zu beobachten, auf welche raffinierten Nebengleise die politische Debatte deshalb immer wieder geführt wird: Datenaustausch geschieht nach Recht und Gesetz (Pofalla, Merkel) – stimmt! Deutsche Dienste dürfen Ausländer komplett überwachen (weil diese keine Grundrechteträger im Sinne des deutschen Rechts sind), US-Dienste dürfen ebenfalls fremde Staatsbürger ausspähen, am Ende tauschen die Dienste ihre Informationen aus. Alles überwacht und alles korrekt. Weil alle Beteiligten es so wollen. Nur das gemütliche Verständnis von Privatsphäre vieler Bürger hält mit den Innovationsschüben der Kommunikationstechnik eben nicht mit. Da wird noch von unbeobachtetem Chatten und Surfen geträumt, obwohl längst die Analyse-Algorithmen zahlloser Online-Datenhändler still mitlaufen.

PS: Konsequenterweise müsste der deutsche Datenschutzbeauftragte übrigens regelmäßig Protest gegen das abendliche Fernsehprogramm einlegen: Wenn Garcia („Criminal Minds“) oder McGee („Navy CIS“) mit ein wenig Tastatur-Geklapper intimste Daten, Bewegungsprofile und private Lebensdaten von Verdächtigen durchscannen, müsste das dem engagierten Privatmann auf dem heimischen Sofa eigentlich ein Graus sein. Bislang ist von Protesten in dieser Richtung allerdings nichts bekannt. Das passiert erst, wenn im deutschen „Tatort“ das Etikett einer Bierflasche zu sehen ist oder ein Ermittler unangeschnallt Auto fährt…

Mein Name ist Bond, Eurobond

August 16, 2011

Nichts ist gefährlicher als die gute Absicht. Und weil Eurobonds zur Rettung der europäischen Idee und des Euro gut gemeint sind, werden sie früher oder später kommen. Zum einen, weil es für den – zumindest kurzfristigen – Zusammenhalt der Gemeinschaftswährung vermutlich bald schon keine Alternative mehr gibt. Und zum anderen, weil die gute Absicht noch jeden Kritiker früher oder später als mutlosen Zweifler oder übelmeinenden Quertreiber niederkartätscht hat. Wenn eine Sache wie Europa und der Euro gut ist, erteilt sich leider auch in freien Gesellschaften die Politik das Mandat zum Übergehen nachdenklicher Einwände, weil der schlichte Geist nun mal nicht davon lassen kann, direkt auf seine Ziele zuzumarschieren. Die gemeinschaftliche Schuldenhaftung in Form von Eurobonds hat zudem den tückischen Nebeneffekt, dass das edle Prinzip der Solidarität darin durchschimmert und den irrigen Eindruck erweckt, Euro-Sünder seien hilfsbedürftige Schwache und nicht leichtfertige Verschwender. Und Schwachen muss doch geholfen werden.

Dabei verkennen die Verfechter der Eurobonds, dass schon die Einführung des Euro den gleichen „Solidareffekt“ für die Südflanke der Währungsgemeinschaft hatte: Niedrige Zinsen, die nicht zum Investieren, sondern zum Konsumieren genutzt wurden. Das soll nun mit den Bonds alles besser werden, weil man aus dem Schaden ja klug geworden sei, heißt es. Straffe Regeln sollen künftig erreichen, was die harte Keule der Finanzmärkte bislang nicht geschafft hat: schmerzhaftes Haushalten. Dass auf Regeln im Bereich von Staatsfinanzen zu vertrauen riskanter ist, als Zocken in Las Vegas, müssten dabei eigentlich die handelnden Politiker selbst am besten wissen. Wenn sie ehrlich wären. Denn das bei der nächsten Populismus-Attacke ein Wahlkämpfer irgendeines Euro-Landes sich standhaft neuer Schulden verweigern wird, glaubt nur, wer Tischlein-deck-dich für die Berliner Tafel hält.

Eurobonds sind der Versuch, mit Hilfe eines raffinierten Finanzprodukts die Bemessungsgrundlage des Euro zu schönen und den skeptischen Finanzmärkten vorzugaukeln, der Bond-Eintopf sei trotz einzelner Bitterlinge alles in allem ein schmackhaftes und nahrhaftes Gericht. Dabei ist die Summe der Einzelländer in der Haushaltsdisziplin nur rechnerisch besser: Selbst Musterknabe Deutschland wird die selbst verhängte Schuldenbremse nicht halten können, wenn die Konjunktur sich niederträchtig abschwingen sollte. Von sozialen Härten bis gesetzlich verpflichtenden Leistungen werden sich genügend Gründe finden, den Schluss mit Schulden noch einmal oder zweimal oder dreimals hinauszuschieben. Solange es kein erfolgreiches Geschäftsmodell für die südlichen Euro-Länder gibt, mit dem Lebensstandard-Anspruch und volkswirtschaftlicher Ertrag in Deckung zu bringen sind, so lange wird die Skepsis der Märkte bestehen, und sie wird berechtigt sein. Mit oder ohne Eurobonds.

Zu befürchten ist eher, dass die Europa-Visionäre beim drohenden Scheitern des Euro auch mit den Bonds die wirtschafts- und finanzpolitische Zwangsunion mit ersten bundesstaatlichen Elementen als Notmaßnahme einführen. In Bedrängnis greifen gute Absichtler zu immer gefährlicheren Mitteln, um das Scheitern der guten Sache abzuwenden. Der Zusammenbruch ist am Ende meist schlimmer, als hätte man früher auf die Warnungen gehört. Aber für Euro-Zweifel gibt es derzeit keine Mehrheit. Offiziell jedenfalls nicht. Schließlich hat man schon gewusst, warum etwa die Deutschen bei der Einführung des Euro nicht gefragt wurden. Bei der Weiterführung des Euro sollen sie nun auch gefälligst die Klappe halten. Für die gute Sache, versteht sich.